Start up für Engagement
Von der Gesellschaft wird uns eine Stimmung vorgelebt, in der das Vertrauen in Politik schwerlich wachsen kann, da Politikerinnen und Politiker vor allem als macht- und geldgeil gelten und davon ausgegangen wird, dass keiner von ihnen je halten wird, was er/sie verspricht. So erlebe ich es immer wieder, dass ich mit unfreundlichem Unverständnis gefragt werde, warum ich mich denn in der Politik engagieren wolle, warum ich denn in der SPD sei und wie ich bei einen von "denen" arbeiten könne. Politik gilt als unattraktiv und immer wieder ist von dem typischen Bild einer Partei zu lesen: verkrustet, verkastet, verfilzt, gähnend langweilig. Kein Wunder also, dass so wenige Jugendliche neugierig auf Politik sind.
Auch in der SPD hat man das Problem erkannt, dass die Mehrheit der Jugend nüchtern und passiv zu- oder wegschaut bei dem, was auf der politischen Bühne passiert. Die Partei scheint unserer konsumorientierten Generation nichts zu bieten. Ihr hängt nicht nur der Geruch von Filz und Kruste an, sondern sie wirkt auch altmodisch, abstrakt und langweilig.
Jungen Leuten ein anderes Bild der Partei zu präsentieren und ihr damit einen attraktiven Neuanstrich zu geben, ist das Ziel der Berliner SPD, das sie mit dem Jugendaktionswettbewerb ALEX 2000 verfolgt. Schon die Erstauflage des ALEX-Aktionswettbewerbs im vergangenen Jahr war erfolgreich. Daher ist in diesem Jahr die überarbeitete, größere Nachfolgeversion ALEX 2000 angelaufen. Da ich im letzten Jahr bei der Organisation des Wettbewerbs und den dazugehörigen Veranstaltungen beteiligt war, verfolge ich nun das Geschehen rund um ALEX mit Freude und Interesse.
Der Landesverband der Berliner SPD hat damit ein ehrgeiziges Projekt gestartet im Kampf gegen jene "Anti-Haltung" gegenüber der Politik und insbesondere gegenüber der SPD. Schirmherr des Wettbewerbs ist in diesem Jahr SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Berliner Jugendliche zwischen 14 und 30 Jahren sollen ihre Träume, Visionen und Ideen wahr werden lassen, so steht es in einer Pressemitteilung. Die Berliner SPD unterstützt alle Teilnehmer mit Rat und Tat bei der Realisierung, soll heißen, dass Konzepte gemeinsam erstellt werden, Kontakte geschlossen werden und zwei Büros im Landesverband offen stehen für die jungen Aktiven mit Telefon- und Computerbenutzung, inklusive Internetzugang.
Im Vorfeld zur Erstauflage von ALEX im letzten Jahr hatten wir uns einige Male in einer kleineren Gruppe von jungen Leuten getroffen, die noch aus den turbulenten Wahlkampfzeiten des Sommers 98 übrig geblieben war. Gemeinsam hatten wir uns Gedanken darüber gemacht, wie es möglich wäre, gegen die in unserer Generation weit verbreitete "Null-Bock-Stimmung" anzukommen, junge Menschen zur Eigeninitiative zu bewegen und Lust auf Politik zu wecken. Dass wir es nicht schaffen würden, andere Jugendliche für eine "gemeinsame Sache" zu mobilisieren, war uns von Anfang an klar. Einen Anreiz bieten konnte nur, den verschiedenen eigenen Interessen der Jugendlichen und daran gekoppelten Projektideen freien Lauf zu lassen und zu versuchen, die entstehenden Projekte innerhalb eines Jugendaktionswettbewerbs zu bündeln. Zum Abschluss des Wettbewerbs gehört deshalb die Prämierung des jeweils kreativsten, nachhaltigsten und sozialsten Projekts durch eine prominente Jury.
Dieses Jahr sollen nach aktuellem Stand mindestens 50 Projektideen umgesetzt werden. Sie befassen sich mit allen Bereichen, die die Jugendlichen in ihrer realen Lebenssituation in Berlin vorfinden: von Sport, Musik, Film und Theater über Internet-Foren bis hin zu sozialen Fragen, Ausländerproblematik, Zeitgeschichte und anderen politischen Themen.
So haben Schülerinnen aus Weißensee das Projekt "Kunst bricht Klischees" ins Leben gerufen. Auf der von ihnen organisierten Ausstellung in der Brotfabrik in Prenzlauer Berg wurden Kunstwerke von über 30 jungen Künstlern zum Thema "Zukunftsvisionen" gezeigt.
Mit dem Team "Total Sozial" haben es sich Jugendliche zur Aufgabe gemacht, ein regelmäßiges Football- und Boxtraining für Schüler an Kreuzberger Hauptschulen anzubieten. Ihre Idee: Die im Sport vermittelten Regeln sollen ein rücksichtsvolles und freundschaftliches Zusammenleben in ihrem Kiez fördern.
Durch solche Projekte will ALEX neue Angebote für Jugendliche schaffen. Sie sollen motiviert werden, sich zu engagieren für ihre unmittelbare Umgebung, für ihre Stadt und die Menschen, die in ihr leben. Es geht darum, junge Leute neugierig zu machen auf die Partei und ein attraktives Forum für engagierte Jugendliche jenseits der Ortsvereine, der klassischen Berliner "Abteilungsfalle" zu schaffen, für jene, die zwar etwas bewegen wollen, aber deshalb nicht gleich bei den Jusos einsteigen und deren Politik mitmachen wollen.
Den meisten der Teilnehmer des Aktionswettbewerbs mag es vielleicht nur um ihr eigenes Projekt gehen. Aber durch das Erlebnis der Teilnahme bei ALEX, die Berührung mit Parteistrukturen und die Zusammenarbeit mit den sechs Praktikanten der SPD und dem hauptamtlichen Organisator und Gründer von ALEX, kommt es zu einer anderen Wahrnehmung der Partei. Politik wird greifbar. Die Möglichkeit der aktiven Mitgestaltung und Teilhabe sowie das Gefühl, als junger Mensch mit seinen Ideen und Visionen bei einer Partei auf offene Ohren zu stoßen und ernst genommen zu werden, ist eine wichtige Erfahrung.
Für die SPD steckt im Grunde die Absicht dahinter, neue junge Mitglieder zu werben und gleichzeitig das Image der Partei zu verbessern. Das halte ich für legitim, da die Jugendlichen in erster Linie bei der Umsetzung ihrer Projekte betreut werden und nicht offensiv versucht wird, sie in die Partei hineinzuziehen.
Bei den anderen Veranstaltungen, die rund um den Projektwettbewerb organisiert werden, geht es vor allem um gegenseitiges Kennenlernen. Gleichzeitig soll Politik live erlebt werden - zum Beispiel bei einer Podiumsdiskussion mit den Berliner Senatoren Gabriele Schöttler und Klaus Böger oder den jungen Bundestagsabgeordneten Andrea Nahles und Carsten Schneider. Diese Veranstaltungen fanden denn auch breites Interesse. Zur letzten Diskussionsrunde kamen über 100 Jugendliche, die den Abgeordneten ganz ungezwungen und gar nicht schüchtern ihre Fragen stellten.
Ob es gelingt, einige der jungen Leute auf diese Weise in die Partei zu integrieren, ist noch offen. Immerhin kommen Hunderte von Berliner Jugendlichen mit den Projekten in Berührung und besuchen die verschiedenen Veranstaltungen des ALEX-Jugendaktionwettbewerbs. Aufgefangen werden sollen die Jugendlichen, die weiteres Interesse an der Parteipolitik haben, durch die Juso-Hochschulgruppen, die eigens ins Leben gerufene Juso-Gruppe mit dem Namen Juso-Visionen 21 und die Politikagentur.
Zumindest ein paar junge Leute aus dem letzten Jahr ALEX sind der SPD erhalten geblieben. Viele weitere haben den SPD-Landesverband als ein offenes Haus erlebt. Und auch in diesem Jahr finden Jugendliche dort wieder viel Unterstützung durch persönlichen Einsatz vom ALEX-Team. Wenn die Mehrheit von ihnen sich am Ende überlegt: "Mensch, die SPD ist gar nicht so ein verkrusteter, altmodischer Laden", dann wäre schon viel gewonnen. Im Ergebnis führt das vielleicht auch dazu, dass die Arbeit von Politikern anders bewertet wird und Politik gar nicht mehr so abstrakt erscheint.
Die große Teilnehmerzahl und der sich für dieses Jahr wieder abzeichnende Erfolg des ALEX-Aktionswettbewerbs macht deutlich, dass wir Jugendlichen nicht pauschal als "die Generation der Unpolitischen" bezeichnet werden dürfen. Uns muss jedoch Möglichkeit und Anstoß gegeben werden, unseren Visionen, Ideen und gesellschaftlichem Engagement Ausdruck zu verleihen. Die Berliner SPD hat mit ALEX ein beispielhaftes Forum für Engagement geschaffen.