Texte so detailreich wie Modellschiffe

» Café Einstein Stammhaus « Jürgen Neumeyer trinkt, isst und raucht mit Günter Bannas, dem Leiter des Hauptstadtbüros der FAZ im Stammhaus des Café Einstein, Kurfürstenstraße 58, 10785 Berlin (Montag bis Sonntag 08:00 bis 01:00 Uhr)

Ich treffe Günter Bannas vor einer Villa und bin erstaunt, dass es unweit des U-Bahnhofs Kurfürstenstraße überhaupt Villen gibt. Wir stehen vor dem Café Einstein Stammhaus. Ich rauche noch. Schnell werden wir uns einig, dass wir auf die Terrasse gehen sollten. Bannas ist auch Raucher. Doch die Terrasse ist geschlossen und wir finden unseren ersten Platz in der Beletage. Obwohl Donnerstag ist, ist recht viel Betrieb. Kaffeehausatmosphäre. Tiefe, weich gepolsterte Sitzbänke, alte Stühle, kleine Tische, dunkles Holz.

„Ich gehe nicht oft aus“, sagt Bannas. Im Rahmen seiner Arbeit natürlich schon, ins Borchardt, ins Dressler oder ins Café Einstein Unter den Linden. Hier im West-Berliner Stammhaus gefällt es ihm aber besser: „Hier ist es nicht so schickimicki.“ Die livrierte Bedienung ist sehr aufmerksam. Wir bestellen Wiener Saftgulasch mit Serviettenknödel (14,50 Euro) und Burgenländer Backhendl mit Gurken- und Erdäpfelsalat (16 Euro). Beides lecker. Tafelspitz und Wiener Schnitzel gehören im Stammhaus ebenfalls zu den Klassikern.
Günter Bannas ist 58 Jahre alt. Zur FAZ nach Frankfurt kam  er 1979. Zwei Jahre später wechselte er ins Bonner Büro seiner Zeitung, wo er mit 29 Jahren der Jüngste war. Inzwischen ist er der dritte Leiter des Berliner Hauptstadtbüros. Zunächst wurde Bannas mit der Berichterstattung über „alles, was jung erschien“ beauftragt: Jugend, Familie und die Grünen. „Die Grünen waren thematisch ein Rohdiamant“, sagt er. Die Fraktionssitzungen mit Fischer, Schily, Kelly und Co. waren damals noch öffentlich. „Man konnte alles mitbekommen: Kleinkrieg, Parteipolitik, persönliche Gemeinheiten – und vor allem, wie Politik funktioniert.“

Vorbehalte gegen ihn, den Korrespondenten von der konservativen FAZ, hat Bannas nicht gespürt. „Wir standen ja nicht im Verdacht, eine grüne Zeitung zu sein. Andere Journalisten wurden gefragt, ob sie den Realos oder den Fundis näher stünden.“ Von der Regierungsfähigkeit der Grünen sei er überzeugt gewesen, als zwei ihrer Mitarbeiter in einem Papier die Westintegration Adenauers begrüßten. In den späten achtziger Jahren war das. „Darüber habe ich sogar geschrieben.“


Wir wechseln ins Raucherzimmer in der zweiten Etage: zwei Stehtische, vier Hocker, eine helle Lichtkuppel und hintergrundbeleuchtete Alkoholika, die flaschenweise zum Verkauf angeboten werden. Unser Bier, Neuköllner Rollberg naturtrüb (0,3 Liter für 3,70 Euro), haben wir aus dem Restaurant mitgenommen. Hier oben gibt es keinen Service. Aber eine gute Entlüftung.

Auch bei den Journalisten gibt es Generationenfragen. Günter Bannas erzählt von den Bonner Journalistenclubs. Es gab die eher konservativen, den „Ruderclub“ oder den „Adlerkreis“, und die eher linken wie „Gelbe Karte“. Bannas gründete einen eigenen Zirkel, den „Wespennest-Kreis“, benannt nach dem gleichnamigen Lokal. „Wir waren jung und hatten keine Beziehungen. Also nahmen wir alle anderen Beziehungslosen in unseren Kreis auf – von FAZ bis taz.“ Als die Truppe zu groß wurde, zerfiel sie wieder.

„Es kann anderen doch egal sein, welche Meinung ich habe“

Günter Bannas hat Volkswirtschaft und Politikwissenschaft studiert. Nebenher schrieb er für 20 Pfennig die Zeile. Später, beim Deutschlandfunk, verdiente er mehr. Damals lernte er, Agenturmaterial unter Zeitdruck zusammenzufassen: „15 Zeilen sind eine Minute.“ Und diktieren lernte er. Das kommt ihm heute noch zugute, wenn er mit Politikern im Ausland unterwegs ist. „Da ist nach den Treffen eine Pressekonferenz, und eine Stunde später ist Abflug. Ich muss das dann vorher per Telefon absetzen. Im Flieger kannst du das nicht mehr übertragen.“ Bannas hat sein Handwerk noch auf der Schreibmaschine gelernt: „Ich kann das nicht, so mit dem Laptop auf dem Schoß.“

Inzwischen ist die Bar neben dem Raucherraum offen. Sie heißt „Lebensstern“. Man hat die Wahl zwischen Sesseln in Wohnzimmeratmosphäre oder Barhockern an der Theke. Wir nehmen zwei Sessel. Es gibt zwar Bier, aber nur in kleinen Flaschen. Wir wechseln zum Wein (der offene Rote für 7 Euro, der offene Weiße für 5 Euro pro Glas). Der kurze Blick vom Balkon zeigt andere Villen und viel Grün. Unsere Mäntel werden uns nach oben gebracht.

Wir reden über den Berliner Politikbetrieb, über journalistisches Arbeiten, ein wenig über die SPD und über Personen. Hier in der Bar bleibt vieles privat. Das passt auch zum Ambiente. Mich interessiert, ob es etwas gibt, das ihn an seiner Arbeit stört. „Die Unvollständigkeit der Quellen“, sagt Bannas. „Reibereien, die nach außen dringen, sind in Wahrheit meist noch viel größer. Aber wer daran beteiligt ist, sagt entweder nichts oder nur die Hälfte.“ Journalisten seien eben gehobene Theaterkritiker und selbst nicht beteiligt. 


Bannas meint, ihm liege eher das Berichten und Analysieren als der Kommentar: „Es kann anderen doch egal sein, welche Meinung ich zu einem Sachverhalt habe.“ Woher kommt das Ethos in der Arbeit? – „Bitte keine Überhöhung.“ Wir reden über Vorbilder (Friedrich Karl Fromme bei der FAZ und Hanns Gorschenek beim Deutschlandfunk) und Grundsätze: „Keine Bestechung“. Das fiel ihm schwer, als ein großer Konzern zur Tour de France einlud. Bannas las das Programm, hatte die Sportler vor Augen, die Strecken und die Luxushotels der Tour, sah die Liste mit den Kollegen. Dann sagte er ab. Aus Verantwortung gegenüber den Lesern, der Zeitung „und natürlich aus Verantwortung gegenüber einem selbst“.

Was beschäftigt den Journalisten außerhalb seiner Arbeit? Wie entspannt er sich? „Modellschiffe“, sagt Bannas, „Passagierschiffe aus Karton“. Sein derzeitiges Projekt ist die „Normandie“. „Das Schiff ist eines der schönsten seiner Zeit“, meint Bannas und holt Reliefbuchstaben aus seiner Manteltasche, die er kurz vor unserem Treffen gekauft hat. Zuerst muss er den Maßstab auf 1:250 vergrößern, dann geht es um die Details, um Farben und Formen und kleine Ausprägungen. Mich erinnert das an seine Texte: detailreich und genau. Mit dem Unterschied, dass er sich bei seinen Modellen viel mehr Zeit nehmen darf.

Der Abend ist fortgeschritten. Unsere Kellner haben die Knabbereien, den Aschenbecher und unsere Weingläser ausgetauscht, sehr oft, sehr dezent. Es ist angenehm im Einstein, mit einem Hauch von Privatheit. Den abschließenden Schnaps vertagen wir auf ein anderes Mal. Übrigens versucht Bannas stets, Professionelles und Privates zu trennen: „Ich möchte privat nicht in die Lokale gehen, in denen es wahrscheinlich ist, dass ich jemand aus dem Beruf treffe.“ Diese Gefahr bestand heute im Einstein-Stammhaus nicht. Oder doch? Schließlich schreibe ich ja über unseren Abend. « 


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