Trinken für den Frieden

In den Kneipen der Kastanienallee am Prenzlauer Berg entsteht eine Friedensbewegung, wie sie noch keiner gesehen hat

Friedensdemos in 600 Städten, 15 Millionen Menschen sind weltweit auf den Straßen. Grund genug, auf einer der szenigen Ausgehmeilen von Berlin zu prüfen, ob da eine neue Friedensbewegung entsteht. Und nachzufragen, was sich der urbane Nachwuchs der Hauptstadt so über Amerika denkt. Kurz nach der Millionendemo hängen in den Schaufenstern der Kastanienallee noch die "Kein Krieg"-Schilder. Hier scheint die neue Friedensbewegung zu Hause zu sein. Hier sind wir richtig.


Der jüngste Schuppen der Straße heißt H2O (Cocktails Montag und Sonntag 3 Euro). Hier klärt man uns erst einmal darüber auf, dass in dieser Straße schon seit über 170 Jahren gesoffen wird. "Wenn es Orte gibt, an denen Trends entstehen, dann ist die Kastanienallee mit Sicherheit einer davon", lernen wir. Es gibt hier Vinylplattenläden, "verrückte Frisörläden", billige Imbissbuden, ein kleines Programmkino, Kollwitzplatznähe und Kiez-Zusammenhalt. Also mal den Trendsettern aufs Maul geschaut.


Im Café An einem Sonntag im August treffen wir sofort Friedensaktivisten. Max ist 21 und studiert Politik. Er war auf der Demo am 15. Februar. Zu neunt zogen sie sich Anzüge an, die mit roter Farbe bespritzt waren: "Kollateralschaden". Natürlich alles für den Frieden. Max behauptet, sie gehörten zu jener Minderheit von Leuten, die allein aus Eigeninitiative aktiv sind: kein Verband, keine Organisation, einfach Menschen, die an den Frieden glauben und dabei sein wollten. Menschen, die nicht nur mitlaufen, sondern was tun.


Max meint, dass die rot-grüne Koalition ihre Sache derzeit ganz gut macht. "Es ist völlig richtig, dass der Schröder Nein sagt. Auch ich bin dafür, dass es keinen Saddam gibt. Aber es gibt einen Haufen Saddams auf der Welt, die wir nicht alle mit Krieg beseitigen können." Rot-grün findet Max im Prinzip gut. "Allerdings haben die keine klare Linie", schränkt er ein. "Sie sagen zwar Nein zum Krieg, gehen aber nicht weit genug." Wie weit "weit genug" wäre, muss nach dem vierten Bier (der halbe Liter Berliner Pils zu 2,85 Euro) offen bleiben.

Eigentlich geht es nur um die bewegten Bilder

Im Mary Jane sammelt sich das männliche Stammpublikum des Alten Europa. Alternde Kiffer tragen die Buttons der Friedensdemo. Die Luft ist grasgeschwängert, der halbe Liter Bier kostet 2,70 Euro. Wer nicht gerade Kicker spielt, redet wenig. Vielleicht liegt das am psychedelischen Interieur, das ab und an im Schwarzlicht schimmert, vielleicht an der Rockmusik, die ein DJ im fahlen Licht einer Pilzlampe auflegt. Vielleicht aber auch an den Quellen des Innenluftaromas. Die These vom Trendsetting scheint sich zu bestätigen: Innovativ verbinden sich hier Kiffen und Sport. Alle schauen gebannt auf den Fernseher. Da läuft das Buick International auf Premiere Sport, und auch Jan kennt sogar den amerikanischen Golfmeister. Jan ist im Mary Jane, weil "das so illegal aussieht", so "ranzig, modisch abgewarzt". Wie die Stimmung in der Friedensszene ist, das wüsste er auch gerne mal. Klar ist er für Frieden. Aber: "Hier ist eher so ne Hängenbleibkneipe." Jan guckt noch ein bisschen zu den amerikanischen Golfern rüber: "Eigentlich geht es nur um die bewegten Bilder."


Im Café Schwarzsauer sitzt trotz gefüllter Tische und lauter Gespräche um Mitternacht immer noch ein Buchleser und trinkt Schwarztee. Henriette kommt aus dem Wendland, sitzt alleine am Tisch und wartet auf eine neue Bekanntschaft von der Friedensdemo. Sie ist aus der Hausbesetzerszene und fühlt sich hier "eher wie in der Wartehalle". Wir trinken ein Krombacher (der halbe Liter zu 3 Euro). Derweil erklärt uns Bernward, dass hier die Oranienstraße des Ostens ist. Dass hier "Schicki-Micki-Publikum" wäre, "sagen nur die anderen". Sagt Bernward. Als wir eine Stunde da sind, steht Henriette auf und geht, ohne ihre Friedensdemobekanntschaft. Der Buchleser sitzt immer noch am Tresen. Er liest auf Seite 8. Im Café Schwarzsauer wartet man weiter für den Frieden.


Weiter ins Café Ohne Namen. Hier war während der Friedensdemo viel los, sagt die Kellnerin, "aber eher wegen der Berlinale". Zwischen tief liegenden Hockern, indirekter orangefarbener Beleuchtung, Siebzigerjahrelampen aus der DDR und frischen Paradiesvögelblumen, kann man hier der vom DJ gemachten Musik lauschen und Krombacher (zum Kastanienallee-Höchstpreis von 3,10 Euro für den halben Liter) oder einen Cocktail trinken (6,50 bis 8,50 Euro). Marco trinkt Milch mit Honig (zu 2 Euro). Er war auf der Demo und fand sie "erst mal kalt". Eigentlich wünscht er sich "für die Friedensdemonstrationen so was wie die Love Parade in über 100 Städten". Er ist gegen Bushs Politik, aber nicht gegen "die Amis".

Lafi findet, dass Bush selber ein Terrorist ist

Obwohl im Tex-Mex-Restaurant Speedy Gonzales (Tortillas zu 4,20 bis 5,50 Euro; Enchiladas zu 5,20 bis 6,80 Euro) Werbung für "America′s quality Beer", Grease-Devotionalien und eine Art Klassenfoto mit ganz viel Stars & Stripes zu finden sind, redet man hier Klartext. Lafi findet, dass "Bush selber ein Terrorist" ist. Nach den Friedensdemos war der Laden voll, aber selber hingehen? "Lohnt sich nicht." Shaheen meint, dass "Schröder und Fischer das gut machen". Schließlich lebe Saddam "im eigenen Land und alle sind zufrieden". Die Betreiber dieser Cantina Mexicana kommen aus Bangladesh.


Im Café Morgen_Rot war gerade eine der Comic-Lesungen von Gerhard Seyfried. Volles Haus. Früher besetzt. Das "veganische/vegetarische Café" ist "in kollektiver Verwaltung". Die Leute, die hierher kommen haben sehr unterschiedliche Positionen zum Krieg, erklärt uns Felix: "Einige sind dafür, die meisten aber völlig dagegen." Man ist hier stolz auf die Vielfalt. In diesem Lokal, wo auf der Männertoilette in Graffiti "Nazi raus, Demokratie verteidigen" geschrieben steht, treffen sich klassische Autonome, Antiimperialisten, ältere Semester, Punks und Antideutsche. Was denn ein "Antideutscher" sei? Felix zögert ein wenig: "Schwer zu sagen. Einfach Leute, die gegen Deutschland sind." Aha.

Alle absolut korrekt gegen den Krieg

Dirk, 29, findet, SPD und Grüne hätten die richtige Position, "absolut korrekt". Er will nicht falsch verstanden werden: "Was die Regierung angeht, bin ich immer sehr kritisch. Aber in diesem einen Punkt liegt sie richtig." Dirk findet gut, dass in Berlin eine halbe Million Menschen auf die Straße gingen: "Es ist zwar keine neue Friedensbewegung. Aber beachtlich ist es schon. Sie alle sind gegen den Krieg. Das Zeichen war unmissverständlich."


Und Dirk selbst? Ist er einer der neuen Aktivisten? "Zur Zeit nicht. Leider keine Zeit. Ich schreibe gerade meine Magisterarbeit." Bestimmt auch für den Frieden. Irgendwie.

h2o - Cocktail Lounge - Kastanienallee 16
mary jane - Psychedelic Kneipe - Kastanienallee 24
cafe schwarzsauer - Café und Cocktailbar - Kastanienallee 13
an einem sonntag im august - Café -Kastanienallee 103
ohne namen - Café und Cocktailbar -Kastanienallee/Ecke Zionskichstraße
speedy gonzales - Cantina Mexicana -Kastanienallee 26
café morgen_rot - Kastanienallee 85

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