In der Bunten Republik Neustadt
Seitdem wird die BRN traditionell am dritten Wochenende im Juni gefeiert und hat sich mit über 100.000 Besucherinnen und Besuchern zu dem Kultur- und Musikfest der Stadt entwickelt. Treue Initiatoren des Festes beklagen, dass die BRN leider nicht mehr das ist, was sie einmal war. Das harmlose, selbst organisierte Nachbarschaftsfest mit eigenem Geld und dem unverkennbaren Micky-Mouse-Wappen in der DDR Fahne habe sich zu einer unpersönlichen Touristenattraktion gewandelt. Das Vertrauen vieler Gründer in ihre Republik ist also getrübt. Wir setzen uns an den Rand einer der zahlreichen Bühnen am Martin-Luther-Platz und stellen unsere schwierige Frage.
„Ich vertraue meinem Freund“, antwortet die 33-jährige Almut. In sieben Jahren Beziehung sei sie noch nie enttäuscht worden. Und wie steht es um ihr Vertrauen in die Demokratie? „In Sachen Demokratie fühl ich mich im Osten wie eine Exotin. Hier haben die Leute das ja nie richtig gelernt.“ Obwohl sie im sächsischen Landtag arbeitet, zweifelt sie am politischen System: „Bei uns wird viel zusammengeschustert, es sind halt alles nur Menschen. Aber wenn ich selbst mitverantwortlich bin, ist das Vertrauen größer.“
Neben ihr auf der Bierbank sitzt Cindy. „Am meisten vertraue ich mir selbst“, sagt die Erzieherin. „Selbstvertrauen ist wichtig.“ Institutionen könne sie dagegen „nur bis zu einem gewissen Punkt vertrauen“. Der 25-jährige Till vertraut auf überhaupt nichts mehr außer auf sich selbst. Er steht am Grill und verkauft Steaks mit Chili-Sauce für 2,50 Euro. Seine Kunden sind zufrieden. Till lacht und unterhält sich gern. Besonders kräftig lacht er bei der Frage nach dem Vertrauen in die Politik: „Man kann Politikern nicht vertrauen, denn die steuern nur das Allgemeine und tun zu wenig für die einzelnen Menschen.“ Aber wozu soll man dann wählen gehen? Antwort: „Wählen gehen ist sinnlos.“ Für Till macht Vertrauen sogar abhängig, und das sei gefährlich. Vielleicht hat die Politik ihn tatsächlich so enttäuscht. Vielleicht hat seine Einstellung aber auch mit der Tatsache zu tun, dass seine Freundin vor kurzem fremdgegangen ist. Danach war Schluss – mit der Freundin wie mit dem Vertrauen.
Und weiter geht’s mit Live-Konzerten, Essen und natürlich Bier. Auf der Wiese, lässig und gemütlich, sitzen Bianca und Paul. Sie schauen etwas verwirrt angesichts unserer Frage. „Ich vertraue nur der Tatsache, dass es in Deutschland keine Todesstrafe geben wird“, antwortet die 25-jährige Medizinstudentin. Und darauf, weiter rauchen zu dürfen. Das Gesetz zum Schutz der Nichtraucher sei ihr „egal“. Für Paul ist Vertrauen eine Frage der Berechenbarkeit, dass sich die Dinge nicht zu schnell verändern. Es sei ein schwieriges Unterfangen, der Demokratie zu vertrauen. „Das haben wir nie gelernt“, erklärt der 28-jährige Soziologiestudent. Er geht trotzdem wählen. Denn: „Nicht wählen zu dürfen, ist scheiße.“ Das habe ihm sein Vater beigebracht.
„Die Politik ist korrupt“, sagt der Bauleiter
„Vertrauen ist, deinem Liebsten zu vertrauen. Vertrauen hat mit Liebe zu tun.“ Diese schöne Definition stammt von Andreas, einem Single auf der Suche nach Liebe. Doch beim Thema Vertrauen in die Politik verdunkelt sich seine Miene. „Die Politik ist korrupt“, sagt der Bauleiter. Jedoch unterscheidet er zwischen Politik und Demokratie. Er gehe schon deshalb wählen, um die NPD zu verhindern. Mit sanfter Stimme erklärt er, dass die NPD nicht demokratisch ist und deshalb nicht das Volk vertreten kann. „Die NPD sucht sich Anhänger unter ungebildeten und unerfahrenen Menschen“, weiß der 43-Jährige. Die NPD ist ein Grund, weshalb er das Vertrauen in die Politik verloren hat. „Die Politiker sind Schuld daran, dass die NPD in Sachsen im Parlament sitzt.“
Die Nacht bricht herein, aber nicht das Vertrauen. „Es soll gar kein Vertrauen in die Politik geben, denn Politik ist Macht, und Macht hat nichts mit dem Volk zu tun.“ Das sagt Ulf, ein 45-jähriger Berliner. „Es gibt kein Vertrauen in die Demokratie, solange Politiker Jobs in der Industrie machen und da nicht getrennt wird“, erklärt der selbständige Elektroniker. Für Ulf ist Vertrauen in einen Freund aber ebenso gefährlich. Sagt’s, und verschwindet auf die Tanzfläche.
Anja ist zusammen mit ihrer Freundin Antje hier. Und Antje hat kürzlich eine andere Frau geküsst. „Jetzt ist das Vertrauen weg. Eigentlich kann ich zurzeit nur mir selbst vertrauen“, sagt Anja. „Welchen Sinn hat Vertrauen, wenn die Frauen mich betrügen?“ Zwischen den beiden entzündet sich eine lebhafte Diskussion. Beide gehen aber immer noch liebevoll miteinander um. „Eigentlich muss ich dich kontrollieren, damit ich dir wieder vertrauen kann.“ Anja will im Handy nachschauen, mit wem Antje telefoniert und was sie so macht: „Ich lieb’ sie über alles!“
Die „Bunte Republik“ findet kein Ende. Wir aber finden unser Ende. Das Fest bleibt laut, lebendig, freundlich – bunt eben. Nur die Frage nach dem Vertrauen bleibt in dieser Nacht überschattet und nebulös. Ob die BNR ein Spiegel dessen ist, was heute unter Vertrauen verstanden wird? Vielleicht, denn für das Fest gibt es keinen Hauptorganisator mehr. Alle Stände, Bühnen, DJs werden selbst organisiert. Hier vertraut man auf das eigene Angebot und die eigene Kraft, etwas Kreatives und Ansprechendes anzubieten. Und es klappt. Wir wissen, dass im nächstenJahr wieder eine BRN ausgerufen wird. Und wir hoffen, dass sie sich genauso treu bleibt wie jedes Jahr. Für heute Nacht dürfen wir darauf vertrauen!
Bunte Republik Neustadt, Dresden – im Netz: www.brn-dresden.de