Türöffner für die Menschen



Was unterscheidet Wahlkampf in den USA und Wahlkampf in Deutschland? In Amerika glauben die meisten Menschen ihren Politikern, wenn die ihnen versichern, die besten Zeiten lägen noch vor dem Land. In Deutschland gilt man schon als unverbesserlicher Träumer, wenn man davon spricht, möglichst viel vom erreichten Wohlstand retten zu wollen.

Was das mit dem geplanten neuen Grundsatzprogramm der SPD zu tun hat? Eigentlich alles! Die SPD leidet darunter, dass sie heute von vielen Wählern nicht einmal mehr als die „Schutzmacht der kleinen Leute“ wahrgenommen wird. Dabei ist die Herausforderung tatsächlich noch viel größer: Um mehrheitsfähig zu bleiben, reicht es nicht, allein „Schutzmacht“ zu sein. Die SPD muss wieder zum „Türöffner“ für die Menschen werden und ihnen mit ihrer Politik Zukunftschancen erschließen.

Die deutsche Sozialdemokratie war in ihrer Geschichte immer dann besonders stark, wenn die Menschen in ihr nicht nur einen Schutz vor der Unbill des Lebens sahen, sondern auch an die „sozialdemokratischen Versprechen“ glaubten: an die Möglichkeit des Aufstiegs durch Leistung, an die Verbesserung der Lebensverhältnisse für alle, an eine gute Zukunft. Das war so, als die SPD gegründet wurde. Es war so im Kaiserreich, auch noch in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, und erneut in den sechzigerer und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Dieses Versprechen muss die SPD mit ihrem neuen Grundsatzprogramm glaubhaft erneuern und den Menschen wieder Zukunftsoptimismus vermitteln. Zu diesem Optimismus gehören ganz vorneweg die Zuversicht, aus eigener Kraft sozial aufsteigen zu können; die Gewissheit, gegen die großen Lebensrisiken solidarisch abgesichert zu sein; die Selbstverständlichkeit, gleiche Bildungschancen zu haben; die Notwendigkeit, vom Arbeitslohn den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können; und die Sicherheit, nicht durch Alter, Geschlecht, Herkunft oder aus anderen Gründen in den eigenen Chancen beeinträchtigt zu werden.

Mehr bessere Bildung für alle!

Prinzipiell werden wohl Politiker aller Parteien diese Forderungen unterschreiben können. Was ist der Unterschied zwischen den Ansätzen der SPD und denen der politischen Konkurrenz? Wie will die SPD diese Leitziele im konkreten Alltag der Menschen erreichen?

Am Anfang der sozialdemokratischen Antwort steht die Bildung: Bildung für alle, mehr Bildung als heute, bessere Bildung als heute, die Möglichkeit zum lebenslangen Weiterlernen. Denn in der modernen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft müssen junge und ältere Menschen eine bessere Bildung und Ausbildung haben als je zuvor in der Geschichte. Wer keine Berufsausbildung hat, wird in Zukunft so gut wie keine Chance mehr auf einen Job und damit auf sozialen Aufstieg haben.

Wer dagegen einen gleichberechtigten, von der sozialen oder ethnischen Herkunft unabhängigen Zugang zu Bildung besitzt, der kann aus eigener Kraft sozial aufsteigen, teilhaben an der Gesellschaft und seine Zukunft selbst bestimmen. Hier unterscheidet sich die SPD von Union und FDP: Wir wollen flächendeckend Ganztagsschulen. Wir wollen langes gemeinsames Lernen. Wir wollen eine besondere und gezielte Förderung für Kinder, die durch ihre Herkunft aus bildungsfernen Schichten – häufig mit Migrationshintergrund – in ihren Bildungschancen benachteiligt sind. Wie jedes gute Parteiprogramm wird auch das neue Grundsatzprogramm diese Spannung aus allgemeinen Zielen und überzeugenden konkreten Projekten brauchen.

Nur wer auf einem sicheren Fundament steht, ist bereit, Neues zu wagen, zu experimentieren, Zeit und Kraft in Bildung, Ausbildung, Familie und Beruf zu investieren. Viele Menschen sind heute mit gering bezahlten, ungeschützten und belastenden Jobs konfrontiert. Junge Menschen erleben immer häufiger, wie unbezahlte Praktika, Zeitverträge und Scheinselbständigkeit den Einstieg ins Berufsleben erschweren. Das wichtigste Instrument gegen dieses Gefühl der Unsicherheit ist die solidarische Absicherung der großen Lebensrisiken Krankheit und Arbeitslosigkeit sowie der gesellschaftlich erwünschten Nichterwerbsphasen wie Erziehung und Alter. Wir Sozialdemokraten wollen mehr Eigenverantwortung in diesen Sicherungssystemen, lehnen aber die Umstellung auf rein private, kapitalbasierte Sicherungen ab.

Stattdessen bedürfen die solidarischen Sicherungssysteme einer Anpassung an die neuen Erwerbsbiografien. Beim Thema Erziehung ist dies mit den sozialdemokratischen Instrumenten Elterngeld, Ganztagsschule und Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente schon ganz gut gelungen. Jetzt müssen die anderen Politikfelder folgen.

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