(Un-)heimlich rechts - Putins unheilige Allianz
E s war eine merkwürdige Gesellschaft, die sich am letzten Mai-Samstag des Jahres 2014 in Wien zusammengefunden hatte. Während draußen die Benefizveranstaltung „Life Ball“ den „Garten der Lüste“ vor dem Rathaus in ein Blumenmeer verwandelte, versammelten sich im Stadtpalais des Fürsten Liechtenstein Rechtspopulisten, christliche Fundamentalisten, Nationalisten, Unternehmer, Aristokraten und russische Eurasier, um zu beraten, wie Europa vor der Schwulenlobby und dem Liberalismus zu retten sei. „Gipfeltreffen mit Putins fünfter Kolonne“ titelte der Züricher Tagesanzeiger, der das Treffen aufdeckte – trotz strengster Geheimhaltung und zugezogenen Gardinen. Das Ziel der Versammelten: Die Wiederherstellung der gottgegebenen Ordnung.
Offizielles Thema der diskreten Zusammenkunft war laut Einladung der Wiener Kongress, der vor 200 Jahren mit Gründung der „Heiligen Allianz“ den Europäern „ein Jahrhundert der relativen Ruhe und des geopolitischen Gleichgewichts“ gebracht habe. Tatsächlich sei im Festsaal aber wenig über Geschichte als vielmehr über die Zukunft gesprochen worden – die es notwendig mache, „den Geist der Heiligen Allianz aufleben zu lassen“. Ein Redner erblickte in Wladimir Putin gar den „Erlöser“ und die Reinkarnation von Zar Alexander dem Ersten, dem Architekten der „Heiligen Allianz“, so ein Teilnehmer später laut Tagesanzeiger.
Moskaus fünfte Kolonne will Europas Zerfall
Eingeladen zu dem Treffen hatte der russische Oligarch Konstantin Malofejew über seine Stiftung „Sankt Basilius der Große“, die auch schon bei einem Russland-Besuch von AfD-Vize Alexander Gauland eine Rolle spielte. Der als „orthodoxer Biznismen“ bekannte Mitvierziger war wegen Betrugsverdacht in Moskau schon mal kurzzeitig festgenommen worden. Doch der Strenggläubige hat einen guten Draht nach oben. Über Vater Tichon, den Beichtvater Putins, hat er Zugang zum russischen Präsidenten.
Als Stargast brachte Malofejew nach Wien Alexander Dugin mit, der als einer der Vordenker in Putins Russland gilt und sich für ein europäisch-asiatisches Bündnis unter Führung Russlands stark macht. Dugin, der von Putin zur Feier der Krim-Annexion in den Kreml eingeladen worden war, hatte in einer Fernsehansprache im April 2014 vorgeschlagen, Europa zu einem russischen Protektorat zu machen und es damit vor Homoehen, Pussy Riot und sich selbst zu schützen: „Wir müssen Europa erobern und anschließen.“ Dazu müsse man nicht nur das Militär, sondern auch Strategien der „Subversion, Desinformation und Destabilisierung“ nutzen, und darauf hinarbeiten, Europa über geeignete Partner parlamentarisch zu unterwandern. Fest stehe, so Dugin in der Fernsehansprache weiter, „dass uns eine prorussische fünfte Kolonne in Europa unterstützt. Das sind europäische Intellektuelle, die ihre Identität stärken wollen.“
Wo man Udo Voigt als »Antifaschist« feiert
Bei Dugin zeigt sich auch eine Verbindung von Putins rechtem Netzwerk nach Deutschland: Seine Idee einer „Eurasischen Union“ durfte er ebenfalls im April 2014 in der zugleich rechtspopulistischen und moskaufreundlichen Zeitschrift Compact von Jürgen Elsässer schildern: „Russland hört hier nicht auf, sondern trägt Aktivitäten nach Europa, die das Hauptelement der Europäischen Konservativen Revolution darstellen werden. Europa beginnt zu zerfallen: Einige Länder stehen hinter den USA, aber mehr und mehr werden auf Russland hören. … Ein neuer großer Kontinentalbund formiert sich als Konföderation von Europa und Eurasien … von Lissabon bis Wladiwostok.“
Weniger feierlich, aber annähernd genauso konspirativ wie bei dem Treffen in Wien ging es zehn Monate später beim „Russischen Konservativen Forum“ in Sankt Petersburg zu. „Neonazi-Treffen in Russland: Moskaus rechtsradikale Internationale“ – so beschrieb Spiegel Online die Zusammenkunft von Vertretern von mehr als zehn europäischen Rechtsparteien. Amerika müsse man gemeinsam bekämpfen, lautete die dort ausgegebene Parole. Stargast war Udo Voigt, der frühere Chef und heutige Europaabgeordnete der NPD. Alexej Schurawljow, Duma-Abgeordneter der Putin-Partei Einiges Russland, erklärte Voigt via Twitter prompt zum „Antifaschisten“ – ungeachtet dessen Sympathie für das Dritte Reich und seiner Einschätzung von Adolf Hitler als „zweifellos großem Staatsmann“.
Voigt dankte die Absolution prompt, indem er für Putins Politik warb und dem Westen „Kriegstreiberei“ in der Ukraine-Krise vorwarf. Organisiert wurde das Treffen von der stramm nationalistischen Partei Rodina (Heimat), deren Gründer Dmitri Rogosin russischer Vizepremierminister ist. Umso absurder wirkte später die Behauptung von Kreml-Sympathisanten, es habe sich bloß um eine private Veranstaltung gehandelt. Zumal Oppositionsparteien in Russland keine großen Hotels für Großveranstaltungen anmieten, geschweige denn ohne massive Störmanöver tagen könnten.
Besprochen werden sollte auf der Zusammenkunft unter dem Motto „Rechtsradikale aller Länder, vereinigt euch“, wie man gemeinsam gegen die nach der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen der EU vorgehen könne. Schließlich waren bei den Europawahlen 2014 viele Rechtsradikale in das Straßburger Parlament eingezogen. Offizielles Ziel des Petersburger Kongresses war es, „die national-konservativen Kräfte“ angesichts des amerikanischen Drucks auf Europa und Russland zu vereinigen.
Die Beteiligten solcher Treffen bemühen sich normalerweise um Diskretion. So war es sicherlich ein Betriebsunfall, als – offenbar aus Geheimdienstquellen – bekannt wurde, dass Moskau den rechtsradikalen Front National in Frankreich finanziert. Die „Erste tschechisch-russische Bank“ hatte der Partei von Marine Le Pen einen Kredit über neun Millionen Euro gewährt – wie später sogar die russischen Staatsmedien einräumen mussten.
Die Finanzspritze, die geheim bleiben sollte, hatte sich der Front National redlich verdient: Nach Russlands Überfall auf die Krim reisten der FN-Abgeordnete Aymeric Chauprade und andere rechtsradikale Abgeordnete als „Wahlbeobachter“ zum Referendum auf die Halbinsel und bescheinigten diesem Legitimität. FN-Chefin Le Pen zollte Putin zudem „eine gewisse Bewunderung“ und attestierte nach der Annexion der Krim, der russische Präsident habe „praktisch fehlerfrei“ agiert.
50 Rechtsextreme und vier Linksparteiler
Der Front National ist keine Ausnahme: Aus allen Ecken Europas werden auffallende Kontakte zwischen Rechtsextremen und Putin gemeldet. Wie das Budapester Political Capital Institute bereits 2014 in seiner Studie The Russian Connection nachwies, bekennen sich unter den 24 einflussreichsten Rechtsparteien Europas 15 offen zu Moskau und streben einen gemeinsamen Weg unter der Leitung des Kremls sowie abseits der EU an.
Im Ukraine-Konflikt wurde Putins Allianz mit den Rechtsradikalen erstmals offenkundig. Um die Machtergreifung angeblicher „Faschisten“ in Kiew zu verhindern, lud er mehr als 50 Politiker aus der EU als „Wahlbeobachter“ zu seinem völkerrechtswidrigen Referendum auf der Krim ein. Abgesehen von vier Mitgliedern der deutschen Linkspartei handelte es sich bei diesen so genannten Beobachtern der Abstimmung laut Recherchen der tageszeitung ausschließlich um Vertreter rechtsextremer Parteien.
Ein passendes Werkzeug für die Unterstützung und Koordinierung rechtsextremer Bewegungen in Europa besitzt Moskau (neben den Geheimdiensten) ebenfalls: das World National-Conservative Movement (WNCM). Antreibende Kraft hinter dem WNCM sind die Russische Imperiale Bewegung sowie die Petersburger Abteilung der erwähnten Partei Rodina. Dem Moskauer Sova Center, das sich mit Extremismus beschäftigt, wurden interne Unterlagen des WNCM zugespielt, die einen tiefen Einblick in die Organisation erlauben. Erklärte Feindbilder sind die EU und die Nato, zudem wird, kaum getarnt, eine jüdische Weltverschwörung vermutet, wie der Rechtsextremismus-Forscher Anton Schechowzow feststellt. Das internationale Partnernetzwerk des WNCM hat weltweit 58 Organisationen zur Zusammenarbeit eingeladen – darunter die British National Party, Jobbik aus Ungarn, die Wahren Finnen, Falanga aus Polen, die Goldene Morgenröte aus Griechenland und auch die NPD.
Warum die Rechten für Moskau so nützlich sind
In den geleakten Unterlagen finden sich zudem Pläne für ein gemeinsames „Camp für militärische und athletische Instruktion“ mit dem Ziel, freiwillige internationale Brigaden aufzustellen, die in Konfliktzonen eingesetzt werden können. Das WNCM verstehe sich somit weniger als ein Netzwerk, sondern sei auf „Aktion fokussiert“, so Schechowzow. Sein Fazit im September 2015: „Es mag noch zu früh zu sein, um die Alarmglocken zu läuten, aber die Formierung einer von Russland unterstützten internationalen ultrarechen Bewegung mit einer militärischen Komponente kann eine ernsthafte Bedrohung für die demokratischen Gesellschaften in Europa werden.“
Organisationen wie das WNCM oder die Russische Imperiale Bewegung gibt es weltweit. In Putins Russland werden sie oft vom Staat gefördert und teilweise auch von diesem eingesetzt. Rechtsradikale Gruppen wie die Russische Nationale Einheit können dort seit Jahren mit offenkundiger Duldung oder gar Hilfe des Geheimdienstes arbeiten, sagt Nikolaj Mitrochin von der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen: „Für den Kreml und den Inlandsgeheimdienst FSB sind Rechtsradikale, die oft paramilitärisch ausgebildet sind, nützlich, weil sie die Ideologie russischer Größe und Expansion teilen und sowohl in Russland wie auch außerhalb einsatzbereit sind.“
Putin instrumentalisiert den rechten Bodensatz
Der rechtsradikale Bodensatz, den es in jeder Gesellschaft gibt, wird unter Putin gezielt für den politischen Kampf instrumentalisiert. Hierin liegt eine der Gemeinsamkeiten des von Putin errichteten Systems mit dem Faschismus in seiner klassischen Definition – nicht zu verwechseln mit dem Nationalsozialismus als einer spezifischen Ausprägung. Und diese Gemeinsamkeit liefert auch den Schlüssel zum tieferen Verständnis für die offenbar wechselseitige Anziehung zwischen der Regierung in Moskau und den Rechten bis Ultrarechten in Europa. Vor diesem Hintergrund ist es besonders abstrus, dass Putin sich selbst als „Antifaschisten“ darstellt und seinen Widersachern vorwirft, Faschisten zu sein. Er steht in der Tradition des „antifaschistischen Mythos“ der Sowjetunion, der bloß eine Lüge war.
So wird die Zusammenarbeit von Hitler und Stalin zwischen 1939 und 1941 in Russland immer noch verdrängt. „Die Freundschaft zwischen den Völkern Deutschlands und der Sowjetunion, die mit Blut besiegelt ist, hat alle Grundlagen, lange und fest zu sein“, schrieb Stalin am 25. Dezember1939 an Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop. Drei Monate zuvor, kurz nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen, hatte Stalin erklärt: „Sollte aber, entgegen den Erwartungen, Deutschland in eine schwierige Lage geraten, so kann es überzeugt sein, dass das sowjetische Volk Deutschland zur Hilfe kommt und nicht zulässt, dass Deutschland erwürgt wird. Die Sowjetunion ist interessiert an einem starken Deutschland und wird es nicht zulassen, dass Deutschland auf den Boden geschmissen wird.“
Fast 76 Jahre später, im Mai 2015, verteidigte Putin ausgerechnet im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau noch einmal den „Molotow-Ribbentrop-Pakt“ – und warf den Polen de facto vor, am deutschen Überfall auf ihr Land selbst schuld gewesen zu sein. Mit Blick auf die Opfer des Paktes zwischen Hitler und Stalin forderte der russische Präsident, man dürfe „nicht in den Phobien der Vergangenheit“ leben. Die Sowjetunion habe eine „Masse Anstrengungen“ unternommen, um eine antifaschistische Front in Europa aufzubauen. Hier schließt sich der Kreis zum Persilschein für den deutschen NPD-Mann und „Antifaschisten“ Voigt. Letztlich sieht Putin seinen Pakt mit den Ultrarechten in ganz Europa wohl ebenfalls als „antifaschistisches Bündnis“, so wie Stalin auch von 1939 bis 1941 seine Propaganda weiter gegen den Faschismus kämpfen ließ – Hitler und die Nazis ausgenommen.
Dieser Beitrag basiert auf dem Buch „Putins verdeckter Krieg: Wie Moskau den Westen destabilisiert“, das im Ullstein Verlag erschienen ist. Es hat 336 Seiten und kostet 19,99 Euro.