Unser privater Vermittlungsskandal



Wie viele andere Abiturienten dieser Tage hat mein Sohn seinen gewünschten Studienplatz nicht bekommen und ist wieder bei uns zuhause eingezogen. Ein Jahr muss überbrückt werden. Zugegebenermaßen ein Luxusproblem, das er denn auch mit einem Luxusvorschlag lösen wollte: „Ich fahre zum Snow­boarden nach Kanada und überwintere dort.“ Doch dafür braucht man Geld. Viel Geld. Woher nehmen?

Ich empfahl – auch aus erzieherischen Gründen – einen Besuch der Agentur für Arbeit Schöneberg-Tempelhof. Nach einigen vergeblichen Anläufen, das verkehrsgünstig gelegene Gebäude in der Gottlieb-Dunkel-Straße zu finden, saßen wir irgendwann tatsächlich vor einer Sachbearbeiterin. Erzieherisch hatte der Besuch den gewünschten Effekt. Niemals, schwor sich mein Sohn, werde er dort wieder hingehen.

Für die Arbeitsuche war die Ausbeute jedoch ernüchternd. Unser Besuch erinnerte mich fatal an die Zeit, als die Arbeits­agentur noch Arbeitsamt hieß und zur allgemeinen Verwal­tung der ständig steigenden Arbeitslosenzahlen diente. Nach­dem sie die Personalien aufgenommen hatte, fragte die freund­­liche Mitarbeiterin sofort nach der Kontoverbindung – zwecks Aus­zahlung eventueller Leistungen. Danach überreichte sie ihm einen zehnseitigen Fragebogen zur Erfassung seiner nicht vorhandenen Qualifikationen und schickte ihn wieder nach Hause. Zum Abschied runzelte sie die Stirn und teilte ihm mit, es sei sehr schwer, in Berlin ohne Ausbildung Arbeit zu finden. Einige Tage später bekam er die Vorladung zum Gespräch mit einer Arbeitsberaterin, zu dem er den Fragebogen mitbringen sollte. Der Brief listete unter Nennung verschiedener Para­gra­fen auch Sanktionen auf, falls er nicht erscheine. Der Termin sollte zwei Wochen später stattfinden.

Aber die kanadische Ski-Saison wartet nicht, und mein Sohn wollte zwei Wochen nicht ungenutzt verstreichen lassen. Die Ausbeute nach einer Woche Internetrecherche, einer Reihe von Telefonaten und E-Mail-Bewerbungen: ein Callcenter stellte ihn ein, das in der Schweiz Handyverträge verkauft (nach vier Tagen entließen sie ihn wieder mangels Umsatz); ein Aus­hilfs­job bei einer Verkaufsveranstaltung eines großen amerikanischen Bekleidungsunternehmens; ein Vorstellungs­ge­spräch beim Callcenter der Deutschen Bahn und einer großen Kino­kette; ein Stellenangebot einer Billig-Airline als Flug­be­gleiter; ein Hotel, das einen Pagen suchte und ihn via Zeitarbeit nun Vollzeit beschäftigt. Der Termin bei der Arbeitsagentur verstrich ungenutzt. Zu dieser Zeit stand er in schwarzer Uniform vor einem großen Berliner Hotel und trug Koffer.

Die Stellensuche verlief deshalb problemlos, weil mein Sohn das Snowboard vor Augen hatte und seine Eltern genügend soziales Kapital zur Arbeitsuche beisteuern konnten. Aber was machen Schulabgänger, deren Eltern nicht beim Formu­lieren von Anschreiben und Lebenslauf helfen? Warten sie zwei Wo­chen auf den Termin zur Erstellung des Bewerberprofils? Und was hätte die Arbeitsberaterin meinem Sohn überhaupt empfohlen? Welches individuelle Bewerberprofil hat ein Abiturient, der möglichst schnell möglichst viel Geld für einen Skiurlaub verdienen will? Wie sieht eine passgenaue Vermitt­lung in dem Bereich aus? Hätten sich die beiden an den Compu­ter gesetzt und dort den Pagenjob gefunden? Hätte die Arbeits­beraterin mit ihm seinen geschriebenen Lebenslauf besprochen und die Schreibfehler aus dem Anschreiben gefischt? Hätten sie die Zeitarbeitsfirma gleich vor Ort angerufen? Oder hätten sie zunächst die weiteren Ausbildungswünsche besprochen?

Kann es sein, dass selbst im neunten Jahr nach dem Ver­mittlungsskandal der Bundesanstalt für Arbeit die Arbeitsver­mitt­lung noch immer keine passgenauen Dienst­leistungen für unterschiedliche Kunden anbietet? Oder unterstützt die Arbeits­agentur insgeheim die Meinung der Mutter, die Snowboarden in Kanada für einen Spleen der Jugend hält?

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