Voice or exitus
Welche Umfeldfaktoren wirken auf die Hochschulen und ihre Arbeitsweise ein? Zunächst natürlich die viel gescholtene Globalisierung. Nach Ernest Gellner war ein wertneutral verstandener Modernisierungs-Nationalismus unausweichlich, um Standards für eine sich ausdifferenzierende nationale Ökonomie zu setzen und durchzusetzen. Verkehrssprache, Ausbildung, Abschlüsse mussten verbindlich geregelt werden. Heute jedoch ist das Spielfeld für viele Akteure der Wirtschaft nicht mehr nur oder gar primär der Nationalstaat. Wir leben in einer sich entgrenzenden Welt. Das heißt auch: Im globalen Wettbewerb geht es nicht nur um die Richtung und Intensität von Kapitalströmen, nicht nur um Informationsströme und Wanderungsbewegungen oder um Images - zunehmend geht es auch um den Wettbewerb um Humankapital, um gut ausgebildete Menschen.
Der zweite bedeutsame Faktor ist die besonders starke Einbindung Deutschlands in die internationale Arbeitsteilung. Die kombinierte Abhängigkeit von Energieimporten einerseits und von Anlagenexporten andererseits generiert eine unausweichliche Integrationsperspektive. Diese besteht bereits seit 1945, aber die Zivilmacht Deutschland war wohl nie so stark wie heute abhängig von einem stabilen Umfeld. Immer mehr Transferleistungen sind zu erbringen, weshalb die Kenntnis von Fremdsprachen und Arbeitstechniken, interkulturelle Kompetenzen und Wissensstrategien sowie innere und physische Mobilität unverzichtbar sind.
Navigieren in den globalen Strömen
Der dritte wesentliche Umfeldfaktor, der sich auf die Bildungssysteme auswirkt, sind die sich rasch verändernden Arbeitsmärkte. Oberhalb von unqualifizierten Hilfstätigkeiten kann dort nicht mehr bestehen, wer nur eine enge Grundausbildung erhält. Lebenslanges Lernen ist zur grundlegenden Anforderung geworden. Lernen lernen ist wichtiger als Fakten lernen. Das bedeutet auch die rasche Entwertung von Faktenwissen, es bedeutet ständiges Nachsteuern, dauerndes Um- und Neulernen. Wir leben, schreibt Paul Baltes, in einer "permanenten Lern-Gesellschaft", was auch das Szenario des "permanent unfertigen Menschen" beinhaltet.
Was folgt aus diesen Trends für die nationalen Bildungssysteme, hier: für die deutsche Hochschullandschaft? Es handelt sich um Entwicklungen, aus denen kein Ausstieg möglich ist. Sobald das akzeptiert ist, wird die Frage nach adäquaten Reaktionen einfacher: Es geht dann nicht mehr um ideologische Schlachten, um affirmative oder negative Strategien, nicht um opting out oder neoliberale Angriffigkeit. Es geht dann vernünftigerweise darum, junge Menschen in entsprechend auszulegenden Hochschulen in den Stand zu setzen, mit diesen Umfeldbedingungen souverän umzugehen. Das Leitmotiv muss also enabling sein. Und das heißt auch: Wer die globalen Ströme von Inhalten und Informationen, Unterhaltung, Kapital und Bewegungen jeder Art nicht mehr für aufhaltbar hält, aber an ihrer Moderation und am Navigieren in ihren Fluten interessiert ist, wird Bildung wohl nur noch als einen unendlichen, verschiedenen Lebenszyklen angepassten Prozess verstehen können.
Was bedeutet das nun für den tertiären Sektor? Wenn sich die öffentlich-rechtlichen Hochschulen überhaupt auf den globalen Kontext von Wissensproduktion und -vermittlung einlassen wollen, wenn sie die Entwicklung hin zu lebenslangem Lernen verstehen und in den Wettbewerb mit anderen Anbietern eintreten wollen, dann gibt es einiges für sie zu tun. Der erforderliche Wandel hat zwar begonnen, aber er vollzieht sich in einem Tempo, das Globalisierungsskeptikern alle Ehre machen würde. Dieser Wandel ist außerdem dem steten Verdacht ausgesetzt, es gehe bei ihm um ideologische Umorientierungen: weg von einer kritischen Wissenschaft, weg vom Humboldt, weg von den guten deutschen Abschlüssen. Es geht hier aber nicht um Ideologien. Der Wandel der Bildungseinrichtungen darf und soll nicht als neoliberales Projekt inszeniert und betrieben werden. Es geht vielmehr um die Erarbeitung und Umsetzung einer Strategie des Ermöglichens und Befähigens, des enabling von jungen Menschen. Auch von einer solchen Position aus lässt sich über manches streiten. Auch über das folgende. Ich schreibe auf, was mir nach sechseinhalb Jahren in der Berliner Hochschullandschaft evident und nötig scheint:
Zahl der Studierenden vs. Qualität. Zutreffend und irreführend zugleich ist der Hinweis der Bundesbildungsministerin und anderer, die Zahl der Studierenden in Deutschland müsse erhöht werden. In der Tat steht die Bundesrepublik im OECD-Vergleich der Studierendenquoten nicht in der vorderen Reihe. Zugleich aber ist diese Zahl allein nicht sehr aussagekräftig. Wichtiger ist, was vermittelt wird und wie viele Studierende zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden. Die Zahl der Eingeschriebenen allein sagt darüber nicht viel aus. Staatliche Hochschulen sind in ihrer derzeitigen Verfassung mit geringen Eintrittsschranken und defekten Steuerungsmechanismen sowohl Schattenarbeitsmärkte wie soziale Parkhäuser - auf Kosten der Steuerzahler und zu Lasten einer rechtzeitigen, zielgerichteten Lenkung in die jeweils individuell richtigen Ausbildungsgänge.
Die Studierenden sind zu alt
Abschlüsse. Es gibt durchaus Diplomstudiengänge, die gut organisiert sind, wie auch Diplomabschlüsse, die im deutschen Sprachraum geschätzt werden. Allerdings besteht gerade in Deutschland eine ungute Faktorkombination, die im Ergebnis zu erheblichen Problemen für die Absolventen und Absolventinnen führt: Die Studierenden sind zu alt, wenn sie an die Hochschulen kommen. Dann verweilen sie dort viel zu lange. Die Regelstudienzeiten werden in vielen Fällen nicht durchgesetzt, woran keineswegs nur die Studierenden schuldig sind. Und die deutschen Absolventen sind deutlich älter als ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen in den meisten entwickelten Industrieländern oder auch in Russland. Es kommt hinzu, dass typische deutsche Abschlüsse im Ausland wenig bekannt sind, oder aber nicht richtig eingeschätzt werden.
Angesichts der wachsenden europäischen und globalen Integration und Vernetzung von Ausbildungsgängen und Arbeitsmärkten müssen Übersichtlichkeit und internationale Anschlussfähigkeit deutscher Studienabschlüsse hergestellt und gesichert werden. Noch so ideale Sonder-Konstruktionen von Curricula nützen wenig, wenn sie jenseits der deutschen Grenzen nicht bekannt sind. Das heißt, dass der Übergang zu gestuften Studiengängen (dreijährige Bakkalaureate als erster berufsqualifizierender Abschluss, zweijährige Masterstudiengänge als weiterführende Abschlüsse) unvermeidbar ist. Der europäische Bologna-Prozess besagt genau dies. Die Einführungskosten sowie die Eintritts- und Übergangsschranken für diese neuen Studiengänge dürfen natürlich nicht prohibitiv sein. Auch die Zuordnung von ECTS-Punkten zu Lehrveranstaltungen aller Art ist unvermeidlich. Nur so können im Übrigen auch mehr ausländische Studierende für deutsche Hochschulen gewonnen werden, und nur so ist es für deutsche Studierende möglich, ohne große Zeitverluste die unbedingt empfehlenswerten Auslandssemester zu absolvieren.
Warum Studiengebühren nicht unsozial sind
Finanzierung. Eine Mischung aus staatlicher Grundfinanzierung sowohl der Hochschulen wie der
Studierenden einerseits und aus Eigenbeiträgen, die von den Universitäten einzuwerben und seitens der Studierenden aufzubringen sind, ist allen anderen Modellen vorzuziehen. Die vollen Ausbildungskosten können und sollten nicht auf die Auszubildenden umgelegt werden - aber die Studierenden müssen und sollten auch nicht kostenfrei gestellt werden. "Die Hochschulausbildung ist ein marktfähiges Gut, weil sie zur Einkommenserzielung genutzt werden kann", schreibt Manfred J.M. Neumann zu Recht. Zugleich ist sie mehr als das.
Studiengebühren sind ein wichtiges Steuerungsinstrument. Sie sorgen für adäquate Anreizstrukturen. Sind staatlich finanzierte Krabbelstuben für postpubertäre Selbstfindungsprozesse sinnvoll? Nein. Sind sie gerecht? Nein. Sind sie nötig? Auch das nicht. Die meisten Studienbewerber haben Führerscheine und Wahlrecht - dies traut man ihnen zu. Weshalb sollten sie dann im tertiären Bereich, wo es um ihre eigenen Lebensentwürfe und -chancen geht, unmündig gehalten werden?
Es ist einer der deutschen Mythen, dass Studiengebühren unsozial seien und die soziale Schere weiter öffnen würden. Warum ist es "sozial", dass die Durchschnittsverdiener, die "kleinen Durchschnittsverdiener, die nie auch nur in die Nähe von Hochschulen kommen", den "Kindern der Mittelschichten" (Peter Glotz) und späteren Besserverdienern das Studium und damit die Anrechtsscheine auf Spitzenverdienste finanzieren?
Hinzu kommt: Wenn staatliche Finanzierung nicht mehr ausreicht, wenn also die Politik andere Prioritäten setzt, dann muss der Staat die Hochschulen zumindest in die Lage versetzen, sich selbst zu helfen. Daraus folgen die Gebote der Dezentralisierung, der größeren Distanz zum Staat und der Ermöglichung anderer Finanzierungsmodelle bis hin zu Änderungen des Stiftungs- und Erbschaftsrechts.
Effizienz ist besser als zielloses Herumlungern
Effizienz ist nicht ungerecht. Vernünftige Relationen zwischen Mitteleinsatz und Ertrag sind nicht Kommerzialisierung, sondern ein Gebot sparsamen Ressourceneinsatzes. Also müssen auch die Kosten der Studienplätze stets überprüft werden. Dabei müssen gegebenenfalls auch sehr teure Studiengänge vorgehalten werden, wenn eine Nachfrage für sie besteht - von Studierenden und von Arbeitsmärkten.
Nicht effizient sind in aller Regel lange Studienzeiten. Im Gegensatz zu manchem Irrglauben korrespondieren lange Studienzeiten nicht positiv mit hoher Qualifikation und Souveränität, mit reflektiertem und kritischem Potential, mit guter Ausbildung und gereiften Persönlichkeiten. Und natürlich erschweren sie in der Regel den Berufseinstieg auf angemessenem Niveau.
Effizienz ist nicht alles. Eine Hochschule darf keine Ausbildungsanstalt sein. Wir brauchen nicht mehr graue Absolventen und Absolventinnen, sondern kompetente und kreative Geister. Im Rahmen einheitlicher Curricula müssen gezielt Phasen und Möglichkeiten des Ausprobierens von Ideen und Verfahren vorgehalten werden. Keine Inhalte und Ideen dürfen der Prüfung und Reflexion entzogen sein. Querdenken ist wichtig - nur zielloses Herumlungern ist von Übel.
Nicht mehr zu fünft unter dem Apfelbaum
Die Humboldtsche Idee der Universitas ist heute nicht mehr zu verwirklichen, ebensowenig wie das kleine, scheinbar zeitlose Seminar zu fünft unter dem Apfelbaum. Nötig und möglich ist aber die Kombination von professioneller und kompetenter disziplinärer Grundausbildung in sechs plus eventuell vier Semestern, kombiniert mit transdisziplinären Fragestellungen und Strategien. Dazu sollte im Wesentlichen auch die durch die Professoren gegebene Nähe zwischen Forschung und Lehre erhalten werden. Auf allen Ebenen und in allen Statusgruppen muss die Souveränität von Entscheidungen ermöglicht und erhöht werden. Entscheidungen müssen mit Bedacht getroffen werden - und dann verbindlich sein. Sie müssen in die Tat umgesetzt werden, sonst werden die Beteiligten entmutigt oder zynisch.
Inhalte. Studiengänge müssen umgebaut und entschlackt werden. Dazu kann die ohnehin anstehende Modularisierung beitragen. Wichtig ist weniger die Vermittlung einzelner Wissenspartikel und damit von Inhalten, die womöglich nach drei Jahren bereits wieder obsolet sein werden. Wichtig sind Methodentraining, grundlegende Arbeitstechniken, das Entwickeln von Fragestellungen und Suchstrategien, das Analysieren und Kombinieren. Wichtig sind Deutsch und Englisch, der Umgang mit Daten, mit den elementaren Rechner-Anwendungen und mit dem Internet.
Formen. Die Präsentation von Inhalten ist fast so wichtig wie die Inhalte selbst. Darlegungen können gut sein, aber wenn die Darstellung dem nicht entspricht, werden die Inhalte verschenkt. Umgekehrt gilt: Aus einer guten Präsentation sollte man nicht automatisch auf lohnende Inhalte schließen. Aber die wirkungsvollen Präsentationstechniken müssen vermittelt werden.
Dezentralisierung. Ganz wie es vielen Vorurteilen entspricht, müssen Professoren und Professorinnen viel zu viel Zeit in Gremiensitzungen investieren, deren Ertrag oft in keinem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand steht. Die innere Organisation der Hochschulen muss transparenter und verbindlicher werden. Hochschulleitungen sollten im Rahmen ihrer Planungen und Vorgaben mehr selbst entscheiden können. Die Angehörigen eines Präsidiums oder Rektorats sollten während ihrer Amtszeit voll zur Verfügung stehen.
Kuscheln und Intrigieren helfen nicht weiter
Ein internes Kontrollgremium, vor allem für Ressourcensteuerung und Studiengänge, reicht aus. Es scheint vernünftiger, dass dort Dekane und Dekaninnen sitzen als Abgesandte hochschulpolitischer Gruppen, die außer vor Wahlen alle paar Jahre keine Rolle spielen. Ein externes Aufsichtsgremium - etwa in Form eines Board, oder Landeshochschulrats - reicht ebenfalls aus. Dort muss Kompetenz versammelt sein, die den Hochschulen selbst abgeht: aus der Kultur, der Wirtschaft, den Kommunen, aus dem Ausland. Auch das Wesen und Unwesen der kaum noch zu überblickenden Beauftragten muss überprüft werden.
Die Verzögerungen, die durch unintelligente Verfahrensabläufe entstehen, führen zu enormen Ressourcen- und Motivationsverlusten. Auch an fremdfinanzierten Projekten sind zu viele Instanzen beteiligt - man zähle die für Ausschreibungen und Einstellungen erforderlichen Unterschriften. Interne und externe Projekte müssen rascher und flexibler durchgeführt werden können. Die Zahl der erforderlichen Unterschriften unter Anträge aller Art kann problemlos halbiert werden - somit folgerichtig auch die Zahl der "zuständigen Stellen".
Leistungskriterien müssen für alle gelten - für Hochschullehrer wie für die Mitarbeiter der Verwaltungen. Unbeantwortete Anfragen und inkompetente Auskünfte müssen sich für die Verursacher auswirken. Hochschulverwaltungen sind Dienstleistungseinrichtungen und sollen keine sozialen Orte lebenslangen Kuschelns oder Intrigierens sein.
Ohne Wettbewerb macht sich Trägheit breit
Interne Steuerungsmodelle funktionieren teilweise bereits. Sie sollten weiterentwickelt werden. Dabei müssen für die Professoren realistische Berufsbilder zugrunde gelegt werden. Längst müssen nicht mehr nur Forschung und Lehre qualifiziert geleistet werden. Zunehmend sind Mittel von außen einzuwerben, die dann verteilt und kontrolliert werden müssen. Das führt zu erhöhtem Personaleinsatz in den Arbeitsbereichen, der organisiert werden muss. Die Notwendigkeit der Mitteleinwerbung sowie auch persönliche Interessen führen zu einer höheren öffentlichen Rolle der Professoren, die ihre Absichten und Ergebnisse in medial geprägten öffentlichen Räumen darstellen. Also sind Management und public impact immer wichtigere Aspekte des beruflichen Wirkens von Hochschullehrern, die sich so nur noch teilweise zutreffend nennen.
Wettbewerb. Staatlich alimentierte Hochschulen sind notorisch träge. Sie entwickeln keine Neigung, sich selbst dem Wettbewerb auszusetzen. Das ist verständlich - und produziert Fehlsteuerungen. Hochschulen verschiedener Rechtsformen sollten miteinander um Studierende und Forschungsmittel konkurrieren. Studienwillige sollten um die attraktivsten Studienplätze konkurrieren, Professoren müssen um begehrte Professuren und Forschungsmittel konkurrieren. Die Ergebnisse von so verstandenem Wettbewerb sind ganz überwiegend positiv für die Einheiten (Fachbereiche, Hochschulen), wenn und solange die Bedingungen fair und transparent sind. Dadurch können erhebliche Energien freigesetzt werden.
Zuständig sind die Hochschulen selbst
Dieser Wettbewerb muss ermöglicht, aber weniger von oben inszeniert und geplant werden. Differenzierte Kennziffernsysteme mögen teilweise funktionieren, sind aber immer blind gegenüber nicht erfassten Leistungskomponenten. Auch machen sie beträchtliche neue Arbeit - je mehr Kennziffern, desto mehr Erhebungs- und Bewertungsaufwand.
Externalitäten. Es gibt negative Effekte, die Universitäten beim besten Willen nicht "heilen" können: fehlende Kulturtechniken, die in Familien und Schulen nicht erfolgreich vermittelt wurden; die enger werdenden Grenzen staatlicher Haushalte, die Probleme der Integration ausländischer Jugendlicher bei hybriden Kulturtechniken; und anderes mehr. Wenn die deutschen staatlichen Hochschulen sich aber nicht oder zu langsam in die hier skizzierten Richtungen bewegen, werden sie zunehmend an den Rand gedrängt werden. Quantitativ sind sie noch Dinosaurier, die sich mit den großen Zahlen beruhigen können. Aber sie sind in ihrer Beweglichkeit geradezu dramatisch eingeschränkt. Sie wirken zu beharrend, zu larmoyant, zu uninspiriert - bei einigen (oft vom Unfang her eher kleinen) Ausnahmen, die hier eigentlich zu nennen wären.
Doch es kommt zunehmend Konkurrenz auf. Private Anbieter werden auch in Deutschland besser und aktiver. Virtuelle Lernangebote sind auf dem Vormarsch. Die klassischen Organisationsformen deutscher Hochschulen werden obsolet. Das wird von den verschiedenen Statusgruppen sorgfältig ignoriert. Birger Priddat hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in vielen Fällen "Hochschulreform ... eine Designidee unter Kostenreduktionsbedingungen" ist, "aber keine Marktanpassung". Tatsächlich müsse es aber um die "Neufassung des Geschäftsmodells" gehen.
Wer ist für Veränderungen zuständig? Zunächst nicht andere, sondern die Hochschulen und ihre Angehörigen selbst. Sie müssen aufhören, zu jammern über zu wenig Geld und mangelnde Beachtung. Was sie brauchen, ist realistische Selbstverortung in der sich rasant verändernden Welt. Kein akademischer Senat oder Fachbereichsrat kann per Beschluss die Globalisierung entschleunigen oder staatliche Haushalte umverteilen. In Zeiten medial inspirierter adhocistischer Politikgestaltung lässt sich auch kein politischer Druck über Monate aufbauen und durchhalten, um eine merkliche Wirkung zu erzielen. Ein paar Dutzend oder Hundert Studierende mögen von Zeit zu Zeit meinen, es sei an der Zeit zu streiken - doch in Wirklichkeit boykottieren sie bloß ein paar Seminare, und niemanden kümmert das weiter.
Es geht um Lebenschancen, Zeit und Geld
Professoren und Professorinnen müssen ihr neue berufliche Realität annehmen. Sie sollten das als Chance zur Gestaltung begreifen, nicht als Verhängnis. Auch noch mit 50 lässt sich verstehen und lernen, was eine Kostenstelle ist, wie mit einem Jahresbudget umzugehen ist oder wie man eine Powerpoint-Präsentation hinbekommt. In der Forschung müssen die Schnittstellen zwischen grundlegender und angewandter Wissenschaft überdacht werden. Beides ist wichtig, und sollte nicht zu weit voneinander entfernt sein. In der Lehre werden Arbeitstechniken immer wichtiger, und Spezialseminare sollten nicht die Regel sein. Dass das eigene Tun durchaus beurteilbar und, wenn auch oft nicht eindeutig, bewertbar ist - gerade auch bei Lebenszeitbeamten -, kann man lernen. Paternalistische Reflexe zu der Frage, woher denn die Ressourcen kommen, sind noch zu stark entwickelt. Im Ernst: Es sind wenig wirklich gute Projektideen bekannt, die nicht auf die eine oder andere Weise realisiert werden konnten - wenn man sich denn auf den verschiedenen in- und externen Fördermärkten bewegen mag. Und die Verwaltungen müssen sich bewusst und aktiv als Dienstleistungseinrichtungen sehen. Nicht mehr und nicht weniger.
Studierende sollten sich bewusst für ein Studium entscheiden - nicht deshalb, weil ihnen sonst nichts Rechtes einfällt, oder weil die Eltern dies oder jenes von ihnen erwarten. In den Familien muss von klein auf vermittelt werden, dass die einzelnen Schritte der Ausbildung die wichtigsten oder zweitwichtigsten Lebensentscheidungen sind, weil es bei ihnen um Investitionen von Lebenschancen, von viel Zeit, Energie und Geld geht. Also: Realismus ist gefragt, zunächst bei den Funktionsgruppen in den Hochschulen selbst. Erst danach lassen sich begründet und überzeugend Forderungen ableiten.
Die Politik muss das Loslassen lernen
Die Politik wiederum muss lernen, die Hochschulen loszulassen. Rahmenbedingungen für Standards und Abschlüsse sind erforderlich. Eine Grundfinanzierung für die öffentlichen Universitäten sollte gesichert sein, und zwar verlässlich über mehrere Jahre im voraus. Doch sehr viel mehr Staat ist nicht nötig. Und damit auch kein Beamtenstatus.
Die Schulen müssen akzeptieren, dass es ohne verbindliche Kern-Curricula nicht geht. Bildungsföderalismus kann nur gedeihen, wenn es gemeinsame Zielsetzungen und Abschlüsse gibt. Die Medien, ohne die heute - zum Guten wie zum Schlechten - wenig geht, sollten sich mehr für Modelle und positive Beispiele öffentlicher und privater Hochschulen interessieren. Interner und externer Wettbewerb um Studierende, um Mittel, um Anerkennung hat viele positive Seiten - und die sind durchaus darstellbar.
Schliesslich die Familien, die Eltern. Niemand kann von den Universitäten exzellente Ausbildung erwarten, wenn nicht zuvor die Voraussetzungen dafür gelegt wurden. Elementares Gefühl für die deutsche Sprache, mündlich und schriftlich, kann in den Hochschulen nicht mehr vermittelt werden. Kinder müssen lesen. Und schreiben. Und sehen, dass auch ihre Eltern lesen und schreiben. Kinder müssen auch lernen, mit Computern, mit Spielen, mit dem Internet und den Fernsehangeboten umzugehen. Diese Kulturtechniken sind unverzichtbar. Doch wenn sie nicht sehr früh Sprachgefühl entwickeln, ist das später kaum je zu reparieren. Was noch zu lernen ist: Disziplin. Und: kritische Reflexion. Nicht entweder - oder. Sondern beides.
Haben Reformversuche noch Sinn? Es geht bei diesen Überlegungen nicht darum, anderen Ländern hinterherzulaufen. Die Frage ist, wie deutsche Ausbildungsstätten und Hochschulen künftig in eine global vernetzte Ausbildungs- und Wissenschaftslandschaft einzubinden sind. Dabei geht es nicht nur um den "Standort" Europa und Deutschland, nicht nur um "Humankapital", sondern um die Lebenschancen der künftigen Generationen von Absolventen des tertiären Sektors. Auch hier führen deutsche Sonderwege in die Irre.
Es droht die Abstimmung mit den Füßen
Diese Überlegungen müssten zu einem Reformkonzept führen, das zugleich zukunftsgerichtet und verteilungsgerecht ist. Aber ist das realistisch? Die vergangenen Jahrzehnte belegen, wie veränderungsresistent das deutsche Hochschulsystem ist. Die jetzt nachrückende junge Generation von Professorinnen und Professoren versteht schon jetzt vielfach nicht mehr, warum weitere Zeit und Energie in das wenig aussichtsreiche Projekt einer endlosen Hochschulreform investiert werden sollten, wo doch zunehmend Alternativen bereitstehen - oder selbst entwickelt werden können. Und diese Alternativen sind in vieler Hinsicht interessanter.
Die Politik in Bund und Ländern sowie die Verwaltungen der traditionellen Hochschulen sollten sich nicht zu sehr wundern, wenn in ein paar Jahren Abstimmungen mit den Füßen zeigen, wo zu studieren und zu lehren attraktiv und zukunftsträchtig ist. Viel Zeit zum Lernen bleibt den traditionellen Universitäten nicht mehr.