Vom Rechts- zum Linkspopulismus - und zurück
In Publizistik und Wissenschaft wurde lange Zeit darüber gerätselt, warum es in der Bundesrepublik keine dauerhaft erfolgreiche rechtspopulistische Partei auf der nationalen Bühne gibt – im Unterschied zu fast allen anderen europäischen Ländern. Jetzt schickt sich mit dem Bündnis von PDS und WASG eine linkspopulistische Gruppierung an, das zu erreichen, was den Rechtsaußenparteien bis zuletzt versagt geblieben ist. Das bundesdeutsche Parteiensystem könnte damit in eine neue Phase der Pluralisierung eintreten. Die Bildung einer Regierung nach dem vertrauten Muster kleiner Koalitionen wird in Zukunft schwieriger.
Dass die Pluralisierung erneut auf der linken Seite des politischen Spektrums erfolgt, ist nicht ohne Ironie. Eine Aufspaltung des linken Lagers hatte es ja bereits in den siebziger und achtziger Jahren gegeben, als die Grünen zur vierten Kraft im Parteiensystem aufstiegen. Die dadurch eintretende elektorale Schwächung der SPD half den Unionsparteien, ihre Mehrheit im Bund über eineinhalb Jahrzehnte zu verteidigen. Erst als die grüne Wählerschaft über Koalitionsbildungen reintegriert werden konnte, wurde 1998 die neuerliche Regierungsübernahme der Sozialdemokraten möglich.
Derselbe Prozess scheint sich jetzt zu wiederholen. Zwei Szenarien sind denkbar: Zum einen könnte die Rückgewinnung der abtrünnigen Wähler unmittelbar gelingen, wenn eine von der Last der Regierungsverantwortung befreite SPD in der Opposition selbst populistisch agierte. Dies würde aber voraussetzen, dass sie sich auf den Weg zu einer Partei der bloßen sozialstaatlichen Besitzstandswahrung zurück begibt – also einen Kurs verfolgt, den sie in ihrer Regierungszeit programmatisch und realpolitisch gerade hinter sich gelassen hat. Ein so radikaler Kurswechsel wäre der Wählerschaft wohl kaum vermittelbar. Realistischer erscheint insofern das zweite Szenario: Die Linkspartei schafft es, sich neben SPD und Grünen als dritte oppositionelle Kraft zu etablieren. Für die Noch-Regierungsparteien würde das bedeuten, dass sie diese früher oder später in ihre Bündnisüberlegungen einbeziehen müssten, um ihre Mehrheitsfähigkeit gegenüber dem bürgerlichen Lager zurückzugewinnen.
Nostalgiker und Renegaten
Gewiss könnte sich die Linkspartei selbst ein Bein stellen, wenn es ihr nicht gelingt, eine tragfähige Organisation aufzubauen und die für ein erfolgreiches Auftreten nötige Geschlossenheit nach außen zu vermitteln. Der sozialkulturelle Graben, der sich zwischen den im Osten fest etablierten Postkommunisten und der stark gewerkschaftlich geprägten Neugründung im Westen auftut, ist beträchtlich. Während die in der alten Bundesrepublik nach wie vor stigmatisierte PDS in den neuen Bundesländern zu einer professionellen Größe herangewachsen ist, die sich pragmatisch gibt und die Beteiligung an der Macht nicht scheut, tummeln sich in der WASG überwiegend Idealisten aus dem sozialdemokratischen Lager, die ihrer Partei aus Enttäuschung den Rücken gekehrt haben. Aber auch innerhalb der beiden Parteien rivalisieren unterschiedliche Gruppen und Strömungen miteinander. So steht in der PDS der doktrinäre Flügel der DDR-Nostalgiker, der die ideologische Reinheit der Partei bewahren möchte, gegen den reformorientierten Kurs eines Bisky oder Gysi, denen ein Zusammenschluss mit der WASG gut ins Konzept passen würde. Letztere leidet wiederum unter dem für populistische Protestparteien typischen Problem, dass sie eine natürliche Sogwirkung auf Renegaten und Sektierer ausübt. Unabhängig von der Herausforderung, die der Zusammenschluss allein organisatorisch birgt, dürfte es nicht leicht werden, all diese Kräfte unter einen Hut zu bringen
Charisma und Populismus
Dennoch spricht viel dafür, dass eine neue Linkspartei in der Bundesrepublik mehr als nur kurzfristigen Erfolg haben könnte. Für den kurzfristigen Erfolg dürfte allein das Duo Gysi/Lafontaine bürgen, die in ihrer Fähigkeit zur populistischen Wähleransprache derzeit von keinem anderen bundesdeutschen Politiker übertroffen werden. Aber auch ohne charismatische Führerfiguren an der Spitze ist durch die vermeintliche Wende der SPD zum „Neoliberalismus“ ein Vakuum im Parteiensystem entstanden, das geradezu danach drängt, ausgefüllt zu werden. Dabei ist es nicht die Agenda-Politik als solche, die der SPD jetzt elektoral zum Verhängnis zu werden droht. Die eigentliche Ursache liegt in ihrem Glaubwürdigkeitsverlust. Weder hatte die Partei die Mitglieder und Wähler auf den 2003 eingeschlagenen neuen Kurs programmatisch vorbereitet, noch war sie im Stande, die verschiedenen, in sich ja durchaus begründbaren Reformschritte in ein konzises, aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept einzubetten und dieses mit einem ideellen Überbau zu versehen. Gysis und vor allem Lafontaines Wahlkampf wird vor allem darin bestehen, wieder und wieder in dieser Wunde zu rühren. Tatsächlich weist die Plattform des neuen Linksbündnisses große Ähnlichkeiten mit dem Programm auf, dass die SPD 1998 nach 16 Jahren Opposition zurück an die Regierung brachte. Dessen Verfasser hieß Oskar Lafontaine.
Zu den potenziellen Wählern der neuen Linkspartei gehören in erster Linie die vom Abstieg bedrohten oder bereits betroffenen Unterschichten. In anderen Ländern bilden diese „Modernisierungsverlierer“ heute das größte Rekrutierungsreservoir der rechtspopulistischen Parteien. Dies war nicht von Beginn an so. Als die neuen Rechtspopulisten Mitte der achtziger Jahre in Italien, Frankreich, Belgien und Österreich etwa zeitgleich die Bühne betraten, zeichnete sich ihre Wählerschaft noch durch einen starken Überhang von Selbständigen, Kleingewerbetreibenden und Angehörigen des alten Mittelstandes aus, die zur typischen Klientel der bürgerlichen Parteien zählen. Dasselbe gilt für Dänemark und Norwegen, wo die rechtspopulistischen Parteien bereits in den siebziger Jahren entstanden waren.
Sozialprotektionismus als Erfolgsrezept
In den neunziger Jahren veränderte sich das Bild gänzlich. Facharbeiter und Empfänger von Unterstützungsleistungen machten nun einen so großen Anteil unter der rechtspopulistischen Klientel aus, dass man in der Literatur von einer „Proletarisierung“ der Wählerschaft sprach. Zwei Vertretern, dem französischen Front National und der Schweizerischen Volkspartei, ist es sogar gelungen, die Linksparteien in dieser Hinsicht zu überflügeln. Bei den anderen reicht der Arbeiteranteil an denjenigen der sozialdemokratischen Parteien heute nahezu heran. Diese sind umgekehrt immer mehr zu Parteien der „Besserverdienenden“ mutiert, bei denen die Angehörigen des neuen Mittelstandes, die von ihrem Habitus her durchweg bürgerlich sind, die Wählerschaft klar dominieren.
Die veränderte Wählerstruktur zog auch programmatische Konsequenzen nach sich. Nachdem die rechtspopulistischen Vertreter in den achtziger Jahren noch überwiegend marktliberal ausgerichtet waren, traten sie nun als Retter des Wohlfahrtsstaates auf und machten sich zum Anwalt sozialer Sicherungsbedürfnisse. Im Zuge dieser Umorientierung wurde auch die Europäische Union als neues Anti-Thema entdeckt. Der Sozialprotektionismus entpuppte sich als elektorales Erfolgsrezept, weil er mit den identitätspolitischen Kernforderungen der Rechtsparteien leichter in Einklang zu bringen war als der Neoliberalismus. Im Zentrum der rechtspopulistischen Ideologie stand ja von Beginn an die Frage nach der nationalen Identität und Zusammengehörigkeit, die man durch Migration und multikulturelle Vermischung bedroht sah. So wie bei der Erneuerung des Wohlfahrtsstaates handelt es sich auch bei den aus der Zuwanderung resultierenden Integrationsproblemen um eine gesellschaftspolitische Daueraufgabe. Von daher wäre es verwunderlich, wenn das Thema von den Rechtspopulisten in Zukunft nicht weiter ausgebeutet werden würde.
Bleibt die Frage, ob die Erfolgsformel eines kulturalistisch unterfütterten Protektionismus ausschließlich den rechtspopulistischen Vertretern vorbehalten sein muss. In der Vergangenheit war das zweifellos der Fall. Seit einigen Jahren zeichnen sich jedoch Tendenzen einer populistischen Transformation auch auf der linken Seite des politischen Spektrums ab, die einerseits (wie etwa Attac) bewegungsförmigen Charakter annehmen, und andererseits in den Parteiensystemen Niederschlag finden. Ein europaweiter Vergleich zeigt, dass dort, wo es neben der Sozialdemokratie eine zweite linke – sei es sozialistische oder kommunistische – Partei gibt (Finnland, Schweden, Irland, Griechenland, Portugal, Spanien), diese bei den vergangenen Wahlen zum Teil deutlich zugelegt haben. In den genannten Ländern fehlt bezeichnenderweise eine starke rechtspopulistische oder -extremistische Kraft, wie sie etwa in Dänemark, Frankreich und Italien neben den Linksaußenparteien existiert. Nur in wenigen Fällen (vor allem in Österreich und Belgien) konnten die Rechtspopulisten ihre Monopolstellung als Nutznießer des Sozialprotestes verteidigen.
In der Bundesrepublik sind die Erfolgschancen rechtspopulistischer oder -extremistischer Parteien aus einer Reihe von Gründen begrenzt, deren wichtigster sicherlich das nachwirkende Erbe der nationalsozialistischen Vergangenheit ist. Die Stigmatisierung wirkt sich hier auch in organisatorischer Hinsicht aus, indem sie die Zusammenführung der verschiedenen Stränge des rechten Protests zu einer gemeinsamen Gruppierung bislang vereitelt hat. Hinzu kommt das Fehlen einer populistisch begabten Führerfigur.
Erst Haider und Schönhuber, jetzt Lafontaine
Wenn diese Erklärungen stimmen, dann liegt natürlich die Frage nahe, ob die Populisten nicht besser beraten wären, ihr Heil in der Bundesrepublik auf der Linken zu suchen. Wie so etwas funktioniert, hat die PDS in den neuen Ländern seit der Wende erfolgreich demonstriert. Zwar ist es ihr nicht gelungen, das Aufkommen einer Protestkonkurrenz von rechts flächendeckend zu verhindern. Gerade mit Blick auf das hohe Niveau fremdenfeindlich motivierter Gewalt in Ostdeutschland ist es aber plausibel anzunehmen, dass der Stimmenanteil der Rechtsextremisten deutlich höher liegen würde, wenn nicht mit der PDS eine andere, genuin ostdeutsche Protestalternative bereitstünde.
Haben die PDS-Oberen der Versuchung, das ganze Spektrum extremistischer Ansichten zu bedienen, bisher noch stets widerstanden, so schickt sich Oskar Lafontaine jetzt an, das Versäumte nachzuholen. Indem er die elektorale Erfolgsformel des Rechtspopulismus von links her buchstabiert, kann der neue Frontmann der WASG im Revier der Rechten wildern, ohne Gefahr zu laufen, wie weiland Jürgen Möllemann als Unperson abgestempelt zu werden. Dass er keine Skrupel hat, diesen Vorteil zu nutzen, haben Lafontaines jüngste Einlassungen zur Zuwanderungspolitik gezeigt, die genauso gut von Jörg Haider oder Franz Schönhuber hätten stammen können. Die öffentliche Gegenreaktion auf diese Äußerungen war bemerkenswert schwach. Lafontaine dürfte insofern nicht ganz falsch liegen, wenn er glaubt, die Wählerbasis einer Linkspartei auf diese Weise verbreitern zu können.
Mehr Konsens und bessere Problemlösungen
Wie kann man der linkspopulistischen Herausforderung begegnen? Manche Autoren haben der SPD bereits geraten, auf die Rückgewinnung der Unterschichtenwähler gar nicht mehr zu setzen und sich stattdessen in der Wähleransprache auf die erfolgsorientierten Leistungsträger der politischen Mitte zu konzentrieren. Dies würde bedeuten, dass man sich an die dauerhafte Präsenz von linken oder rechten Flügelparteien im Parteiensystem gewöhnen müsste und hätte zwangsläufige Folgen für die Möglichkeiten der Regierungsbildung. Die Vorstellung, dass sich die Bundesrepublik in die Richtung zentristischer Koalitionen und vielleicht sogar Minderheitsregierungen bewegt, wie sie in den skandinavischen Länder gang und gäbe sind, erscheint manchen Politologen heute noch unerträglich. Tatsächlich würde diese Entwicklung der starken Stabilitäts- und Mehrheitsfixierung unserer parlamentarischen Kultur widersprechen, die als gangbare Alternative zu einer Mehrheitsregierung nach dem vertrauten Muster bislang nur die Große Koalition zugelassen hat. Erzwingt ein fragmentiertes Parteiensystem neue und flexiblere Koalitionskonstellationen, mag das die Stabilität der Regierungsverhältnisse vordergründig beeinträchtigen. Dem würde auf der Habenseite jedoch der Übergang zu einem stärker konsensorientierten Parlamentarismus gegenüberstehen, der das gegnerschaftliche Prinzip des Parteienwettbewerbs zurückdrängt und die gemeinsame Suche nach Problemlösungen befördert.