Von Glanz und Elend politischer Planung

Offene Worte einiger Planungsreferenten bringen Licht in die Black Box des politisch-administrativen Systems

Eine Aura des Unnahbaren umgibt die Planungsreferate der deutschen Regierungszentralen: „Wir wissen fast nichts darüber, was strategische Politikakteure in strategischer Hinsicht wirklich tun und denken“, beschrieb Joachim Raschke diese Leerstelle der Politikwissenschaft. Ein namentlich ungenannter Planer bekennt: „Ich glaube, es wäre der Tod einer jeden Planungseinheit, wenn alles, was einmal angedacht wurde, auf den Markt getragen würde.“ Der Leiter eines anderen Planungsreferates ergänzt: „Jeder im Haus weiß, dass es uns Planer gibt. Aber so genau weiß keiner, was wir machen.“

Hier setzt ein spannendes Buch an, das dieser Tage in den Handel kommt: Dominic Schwickert liefert eine Nahaufnahme der Planungspraxis in den Staatskanzleien. Wie laufen Beratungsprozesse über Zukunftsthemen konkret ab? Wodurch definieren sich die Spielräume politischer Strategiefähigkeit in der Praxis? Gestützt auf Interviews mit den Leitern von Planungsreferaten fragt Schwickert nach der alltäglichen Beratung unserer Ministerpräsidenten. Das Buch leistet einen verdienstvollen Beitrag zur noch jungen Disziplin der Strategieforschung.

Aus 236 Seiten Interview-Transkript schöpft Schwickert jede Menge Anschauliches über die Denkweise der Kernexekutiven: „Die Politik muss ein gewisses populistisches Element innehaben, weil man einfache Geschichten erzählen muss, die den Einzelereignissen Sinn verleihen. Ein interessierter landespolitischer Beobachter sollte auf Anhieb einen Zusammenhang erkennen können. Drei, vier, fünf Projekte, mehr dürfen es nicht sein. Dann sagt man: Aha, bürgerschaftliches Engagement oder Jugend oder demografischer Wandel, dafür macht sich doch unser Ministerpräsident stark.“

Wer eine kohärente Regierungspolitik formulieren will, muss die einzelnen Spiegelstriche der Vorhabenlisten mit langfristigen, übergreifenden Zielen verbinden. Das ist die Aufgabe der Planungsreferate. Regierungshandeln soll so kommuniziert werden, dass Handlungsfähigkeit und „Themenschneisen“ erkennbar werden. Nun zwingen solche „Leitmelodien“ zur Beschränkung auf zentrale Botschaften, Planungsakteure betreiben daher das Geschäft der „Priorisierung“. Sie reduzieren Komplexität und trennen Wichtiges von Unwichtigem. Auf diese Weise erfährt auch erratisches Geschehen die Anmutung von Ordnung.

Hört euch um und macht und tut!

Im Idealfall bilden Planungsreferate eine leistungsfähige Schnittstelle zwischen Verwaltung, Politik und Wissenschaft, so dass neue Ideen in den politischen Prozess diffundieren können. „Ich fordere meine Mitarbeiter auf: Zieht alleine los, hört euch um und macht und tut! In den täglichen Morgenrunden wird dann immer alles zusammengetragen und ausgewertet“, sagt ein Interviewpartner. „Wir haben eine Antenne in die Ministerien, die Regierungsfraktion und Regierungsparteien, aber auch in Stiftungen, Verbände, Unternehmen und Universitäten.“

Während die Regierungszentrale die politische und strategische Gesamtverantwortung übernimmt, tragen die Fachressorts die Hauptverantwortung für das operative Geschäft in ihrem Politikfeld. Eine zu große Autonomie der Ressorts führt dabei zu Planlosigkeit und Stückwerkspolitik. Andererseits zieht eine Übersteuerung durch die Staatskanzlei jede Menge interner Konflikte nach sich. Das Geschäft erfordert also politisches Gespür für das rechte Maß. Häufig beschränkt sich die Rolle der Staatskanzleien im Gesamtgefüge der Landesregierung auf Moderation und Konfliktmanagement. Es gilt, regierungsinterne Zentrifugalkräfte in Schach zu halten. Glaubt man Schwickerts Interviewpartnern, so sind sich die Staatskanzleien dieser Gefahr durchaus bewusst. Machtworte geraten rasch zum Ausdruck von Ohnmacht: „Man muss konsensual arbeiten und die Ressorts mitnehmen, um Erfolg zu haben.“ Es ist vor allem die geringe eigene Problemverarbeitungskapazität der Staatskanzleien, die zum freundlich-kooperativen Dialog mit den Ressorts mahnt: „Die Zentrale kann es sich nicht leisten, gegen die Ressorts zu arbeiten. Dafür reichen die Kapazitäten nicht.“ Unter Hinweis auf die fachliche Expertise und das Detailwissen der Ressorts werden direkte Interventionen in die Ressortzuständigkeiten vermieden. Stattdessen ziehen sich die Planer auf „Querschnittthemen“, „Antreiben“ und „Ideentransport“ zurück.

Haben neue politische Konzepte der Zentrale einen gewissen Reifegrad erreicht, wandert die Federführung in die Ressorts. Wie stellt man aber sicher, dass die von der Regierungszentrale ausgegangenen Impulse nach Auflösung der interministeriellen Arbeitsgruppen nicht versanden? „Je nachdem, mit wem Sie es zu tun haben, ergibt sich ja das Problem, dass die Ressorts das alles gar nicht so spannend finden. Dann müssen Sie die Implementierung schon einigermaßen eng begleiten, damit das nicht in dem Moment ‚abschmiert’, wo die Kollegen in den Häusern denken, sie seien unbeobachtet und könnten das schnell begraben.“ Im operativen Geschäft beweist sich hier die Kontaktpflege zu den Ministerbüros: „Erfolgreiche Steuerung basiert meist auf möglichst langjähriger guter Zusammenarbeit mit den M-Büros. Das kann man nicht anweisen, das kann nur dadurch funktionieren, dass sie im Laufe der Jahre gute und vertrauensvolle Netzwerke aufbauen.“  

Kein Beruf für Ja-Sager und Rechthaber  

Wer den Berufswunsch „Planungsreferent“ verfolgt, sollte eine gewisse charakterliche Schussfestigkeit mitbringen. Mit Ja-Sagern ist der politischen Führung nicht geholfen. Mit notorischen Rechthabern allerdings auch nicht. Ansonsten zählen Eigeninitiative, Diskussionsfreude und eine gewisse Unkonventionalität. Gesucht werden „fundierte Generalisten“, die sich schnell in Themen einarbeiten können und politisches Feingefühl besitzen. Weniger gefragt sind Leute, „die den letzten Kieselstein umdrehen und sich in allen Details auskennen“. Es braucht die Perspektive von gut ausgebildeten Laien, die widerspiegeln können, was in der Bevölkerung ankommt. Der Schlüssel ist die Fähigkeit, die maßgeblichen Informationen zu sammeln, zu strukturieren und zu verdichten.

Der Draht zum Büroleiter entscheidet

Das Leitbild ist der wissenschaftsaffine Praktiker: Wissenschaftler im eigentlichen Sinne sind eher ungeeignet, denn – anders als im Wissenschaftsbetrieb – zählen in den Staatskanzleien vor allem Verwertbarkeit und Praxistauglichkeit der Ideen. „Wir betreiben hier keine Forschung. Das machen andere besser. Da gibt es politische Stiftungen und entsprechende Lehrstühle, die produzieren wunderbare Forschungsergebnisse, die wir nutzen können.“ Dem Anspruch nach werden stets die gleichen Rekrutierungsziele für den Planungsnachwuchs genannt: Verwaltungsexterne Befruchtung („keine Verwaltungskarrieren“), Interdisziplinarität („kein Juristenmonopol“), eine hohe Fluktuationsrate („häufige Durchmischung“) und ein möglichst junger Altersdurchschnitt („Team unter 40“). In der Realität kämpfen die Planungsreferate aber mit fehlenden „monetären Leistungsanreizen“, dem Mangel an leistungsgerechter Bezahlung und einer harten Konkurrenz mit attraktiven privaten Arbeitgebern um die kreativen Köpfe. In den Personalreferaten herrscht demnach oft „ein total überkommenes Denken vor. Viele sind der Auffassung, dass ein Angebot aus dem Öffentlichen Dienst das allergrößte ist, worauf junge Hochschulabsolventen gewartet haben.“

Im Tagesgeschäft angekommen, ringen die Planungsakteure um den Zugang zum Ministerpräsidenten und die gefühlte Länge des Dienstweges. „Wie ernst etwas innerhalb des Hauses genommen wird, hängt immer davon ab, wie der Zugang zum Ministerpräsidenten ist.“ Dabei erweist sich der gute Draht zum Büro des Regierungschefs als Schlüsselfaktor. Es zeigt sich beispielhaft das Zusammenspiel von Formalität und Informalität in der Kernexekutive: „Wenn jemand ein ganz besonderes Verhältnis zum Büroleiter des Ministerpräsidenten hat und ihm Informationen steckt, wird ein Abteilungsleiter, der von Amtswegen eigentlich Zugriff hätte, ausgebremst. Das ist der diskret-trügerische Charme der Bürokratie.“

Aus-dem-Bauch-Politik als Sargnagel

Wichtiger noch als die formale Aufhängung ist offenbar die Planungs- und Strategieaffinität des Regierungschefs. Weist der Ministerpräsident selbst eine Neigung zu strategischem Denken auf, stärkt dies die Planungseinheit im hausinternen Machtgefüge. Andere Ministerpräsidenten regieren dagegen eher aus dem Bauch heraus oder orientieren sich an der Abarbeitung des Regierungsprogramms. Solche nicht-strategischen Regierungsstile erweisen sich oft als Sargnägel jeder konzeptionellen Arbeit.

Renaissance der politischen Planung?

Unter Hinweis auf Brandenburg und Sachsen formuliert Schwickert die These, dass gerade Zeiten großer Herausforderung durch Haushaltskonsolidierung und demografischen Wandel auch Chancen für Erneuerungsprozesse bieten. In deren Windschatten könnte sich eine Renaissance der politischen Planung vollziehen. Eine solche stärkere Hinwendung erscheint durchaus nötig. Der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Heinrich Tiemann, geht in dem Buch so weit zu sagen, dass politische Grundsatzarbeit und strategische Planung in der heutigen Regierungspraxis kaum noch stattfinde. Mit Blick auf die Bundesverwaltung beklagt er einen seit Jahren fortschreitenden Aderlass an einschlägigen Ressourcen. Im Arbeitsalltag würden die Kapazitäten operativ gebunden. Anschließend fehle es an der strategischen Regierungsplanung.

Planungsakteure scheinen bisweilen so tief in die Tagespolitik involviert, dass sie ihre Kernkompetenz – die professionelle Strategieentwicklung – nur ungenügend einbringen können. In diese Kerbe schlagen auch andere Interviewpartner: „Ich würde mir wünschen, dass wir mehr von diesem Kleinzeug ferngehalten werden, das so etwa 20 Prozent unserer Ressourcen frisst.“ Die Praktiker stöhnen, dass ihre Hausspitze immer dann reflexartig auf die Planungsakteure zurückgreife, wenn kein idealer Ansprechpartner im Apparat für ein Querschnittsthema zu finden sei. Sie leiden unter faktischer Allzuständigkeit. Zugespitzt nehmen die Praktiker wahr, dass die Regierungsplanung in ein „Pflicht versus Kür“-Verhältnis gedrängt werde: Strategische Planung finde statt, soweit das operative Tagesgeschäft dafür Raum lässt. Eine Renaissance der politischen Planung müsste dieses Verhältnis umdrehen. Mit Egon Bahr könnten die heutigen Planer dann wieder schwärmen: „Der köstliche Luxus, insgesamt die Themen selbst zu wählen, weitgehend unbelastet von administrativen Pflichten. Die schönste Zeit meines Berufslebens habe ich im Planungsstab genossen.“ «

Dominic Schwickert, Strategieberatung im Zentrum der Macht: Strategische Planer in deutschen Regierungszentralen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, 230 Seiten, 34,95 Euro

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