Warum die Genossenschaft ins Plattform-Zeitalter passt
„Wir möchten helfen“ – kein Satz ist in den Verlautbarungen der Silicon-Valley-Unternehmen wohl häufiger zu lesen: Sie wollen uns helfen, effektiver zu leben, flexibler zu arbeiten, Ressourcen besser zu nutzen, Dinge zu teilen. Das trifft auf die Tech-Giganten wie Google und Apple ebenso zu wie auf junge Start-ups wie Uber oder Airbnb. Letztere werden häufig als Teil einer sharing economy beschrieben – ein schöner Euphemismus, der verdeckt, wie radikal diese Unternehmen sich politischer Regulation entziehen, wie brutal sie in alle Lebensbereiche vorzudringen versuchen, wie rücksichtslos ihr Wachstumsstreben ist. Dem gegenüber stehen die blumigen Worte vom Helfen und vom sozialen und ökologischen Gewinn, den diese Unternehmen uns angeblich bringen. Es ist wichtig, diese Floskeln der Gemeinwohlorientierung zu dechiffrieren, um zu verstehen, was da gerade passiert, wie sich diese Entwicklung auf unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften auswirkt und welche Alternativen wir dazu brauchen. Wir müssen einen Blick auf Unternehmen werfen, die nichts produzieren, nichts bauen – und dennoch Milliarden erwirtschaften.
Uber hat das Autoleihen nicht erfunden
Was als sharing economy unter dem Slogan „Teilen ist das neue Haben“ firmierte, dehnt sich auf unzählige Lebensbereiche aus: auf die Art, wie wir uns fortbewegen (Uber), wie wir wohnen und Urlaub machen (Airbnb), Projekte finanzieren (Kickstarter), Musik hören (Spotify) oder unser Liebesleben organisieren (Dating-Apps wie Tinder). Auf Crowdworking-Plattformen wie Amazon Mechanical Turk oder upwork.com bieten -Dienstleister ihre Arbeitszeit oder fertige Produkte an. Die Plattformen vermitteln zwischen den Arbeitern und Auftraggeberinnen und verdienen damit ihr Geld.
Im Grunde genommen verallgemeinern diese Plattformen nur ein Prinzip des Marktes, das es vorher schon gab. Uber erfindet das Autoleihen oder -fahren nicht neu. Das Unternehmen schafft nur einen neuen Markt, indem es technologiebasiert das Prinzip Taxi auf Nicht-Taxifahrer ausdehnt. Fortan kann eine jede zur Fahrerin werden, und für immer mehr Menschen ist es attraktiv, den Dienst zu nutzen. Gleiches gilt für Airbnb und das Wohnungsgewerbe: Ein jeder kann nun seine Wohnung auf dem Markt anbieten. Crowdworking-Plattformen helfen Unternehmen, Arbeitsprozesse auszulagern – nicht an Subunternehmen, sondern an viele Einzelne im Internet. Das Prinzip des Selbständigen, der einzelne Aufträge für verschiedene Unternehmen übernimmt, gab es schon früher. Mithilfe von Crowdworking-Plattformen lässt sich aber tendenziell jede Arbeit auslagern. Damit wird potenziell eine global ständig verfügbare Masse an Arbeitern angesprochen, die immer auf Abruf einzelne Aufträge annehmen kann.
Wie die Plattformökonomie Grenzen verwischt
Der Blogger Sascha Lobo hat in Deutschland dafür den Begriff des Plattformkapitalismus populär gemacht: Die digitale Ökonomie bildet Plattformen, die nichts weiter tun, als Dienstleistungen zu vermitteln. Die Unternehmen schaffen zweiseitige Märkte, auf denen sie Anbieter einer Leistung mit möglichen Kunden zusammenbringen. Das ist – tatsächlich – eine enorme technisch-organisatorische Leistung. Dennoch: Airbnb ist mit über 30 Milliarden Dollar mehr wert als die beiden teuersten Hotelketten der Welt zusammen. Es besitzt aber kein einziges Hotel, kein Bett, nicht einmal eine Nachttischlampe. Airbnb lebt von der Vermittlung und damit letztlich von unseren Wohnungen und unseren Städten. Gleiches gilt für die Online-Arbeitsplattform Upwork: Auf der Plattformen bieten rund 12 Millionen Arbeiter ihre Dienste an. Das Unternehmen selbst hat nach Schätzungen aber nur etwa 250 Angestellte.
Die heraufziehende Plattformökonomie verwischt zahlreiche Grenzen: zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen professionellem Angebot und amateurhaftem Gelegenheitsauftrag, zwischen Unternehmern und Arbeitern. Sie verändert den Arbeitsbegriff, vermischt private Hilfe und Schwarzarbeit, ändert das Verständnis und die Regelung von Monopolen. Plattformen machen damit das Soziale zum Produkt. Alles ist zu verkaufen, das Leben wird zum Markt. Das ändert unser Verhältnis von Arbeit und Freizeit, von Profession und Hobby grundlegend. Es ist nicht mehr notwendig, ein Hotel zu besitzen, um ein Zimmer zu vermieten, es braucht keine Schneiderausbildung, um selbstgenähte Taschen zu verkaufen und kein Designstudium, um auf Plattformen Logos oder Internetseiten zu gestalten. Die neuen Arbeitsmöglichkeiten funktionieren ohne geregelte Arbeitszeiten und Anwesenheitspflicht, aber eben auch ohne Kündigungsschutz, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne jegliche Sicherheit und meist ohne gewerkschaftliche Vertretung.
Optimistisch betrachtet schafft das mehr Flexibilität und mehr Raum, um unsere Kreativität und Innovation zu nutzen. Aber es gibt Plattformen auch Macht über uns, lässt uns zu Unternehmern unserer selbst werden, immer auf der Jagd nach einem neuen Auftrag, lückenlos überwacht und bewertet. Unternehmen wie Upwork versuchen auch das als große Hilfe zu verkaufen, sie „befreien“ die Arbeiter, machen sie zu „selbständigen Unternehmern“.
Apps und Algorithmen sind die Machtzentren
Plattformen werben damit, dass Anbieter von Arbeit dort flexibel und frei tätig sein können. Advokaten dieser Plattformökonomie sagen gern: Sie ist besser als der alte Kapitalismus, wir legen die Produktionsmittel in die Hände der Arbeiter. Das ist leider nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich besitzen die neuen Selbständigen mit ihren digital devices keine Produktionsmittel im strengen Sinne des Wortes – es sind schlichte Werkzeuge. Die Verfügungsgewalt darüber liegt in der digitalen Infrastruktur (in den Apps und den Algorithmen, die dahinter stehen), die die Arbeit normiert und organisiert. Die Apps und Algorithmen sind die wahren Machtzentren. Protokolle, Programmcodes und in Codes gegossene Normen sind es auch, die die Arbeit kontrollieren. Die Arbeiter werden dabei zum frei verfügbaren Gegenstand, an- und ausschaltbar nach Gutdünken.
Dass diese Technik so genutzt wird, ist kein Naturgesetz: Vielmehr kommen hier diverse politisch-wirtschaftliche Entwicklungen zusammen: die Wirtschaftskrise nach 2008, die das Kapital in Verwertungsnot gebracht und weltweit unzählige Arbeitskräfte freigesetzt hat; die Krise des Wohlfahrtsstaates in der westlichen Welt, die dazu führt, dass Menschen ihr Leben zu meistern versuchen, indem sie ihre letzten Ressourcen (ihr Auto, ihre Wohnung, ihre Freizeit et cetera) kapitalisieren und auf eben jenen Plattformen landen.
Es ist per se nichts Dämonisches daran, Dinge wie Arbeit, Wohnen und Transport neu und effizienter zu organisieren. Im Gegenteil. Im Zentrum der Kritik steht die Frage: Wer hat die Macht und wer profitiert? Wenn diese Frage im Plattformkapitalismus tatsächlich in den Protokollen und der technischen Infrastruktur liegt, dann müssen wir genau hier die Eigentumsfrage stellen. Wie wäre es also, wenn diese Plattformen uns gehören würden? Wenn die Stadt Airbnb betreiben würde, dessen Gewinne dann nicht an wenige Superreiche fließen, sondern in die städtische Kultur investiert werden? Und wenn Uber den Fahrern und eine Crowdworking-Plattform den Arbeitern gehören würde?
Unter dem Titel „Platform Cooperativism“ wird diese Idee seit etwa zwei Jahren intensiv diskutiert. Trebor Scholz, Professor an der New School in New York, hat sie Ende 2014 ins Rollen gebracht. Seither sind Netzwerke entstanden, ein Konsortium und einige real existierende Plattform-Genossenschaften. Die Grundidee ist einfach: Man nehme ein Internetunternehmen wie beispielsweise Upwork oder Airbnb und paare es mit der Idee der Genossenschaften. Heraus kommt ein Unternehmen, das seinen Nutzern oder Mitarbeitern gehört, die sich die Gewinne teilen und über die Ausrichtung des Unternehmens gemeinsam entscheiden.
Genossenschaften sind eine alte Idee, historisch eng verbunden mit der Arbeiterbewegung. Und sie sind noch immer ein Erfolgsmodell: Weltweit ist jeder zehnte Bürger in einer Genossenschaft. Menschen bauen und verwalten gemeinsam Wohnhäuser, ernten genossenschaftlich oder sind Teil einer Genossenschaftsbank. Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin des Jahres 2009, die amerikanische Ökonomin Elinor Ostrom, hat für traditionelle Gemeinschaftsgüter wie Weide- und Forstland zeigen können, dass diese über Jahrhunderte kollektiv nachhaltig genutzt und gepflegt werden können. Warum sollte das nicht auch für die Digitalökonomie funktionieren?
Warum keine Plattformgenossenschaften?
Es gibt viele berechtigte Zweifel daran, dass eine Gruppe verstreuter Einzelner ein Unternehmen aufbauen kann, das fähig ist, mit Uber und Co. zu konkurrieren. Aber darum geht es vielleicht auch gar nicht: Das Ziel ist es, die Debatte um die Zukunft von Arbeit und Wirtschaft wieder zu politisieren und zu fragen: Wie soll die digitale Ökonomie aussehen? Es ist die Kerneinsicht sozialer Bewegungen und auch der Sozialdemokratie, dass Märkte nicht per se einen bestimmten Charakter haben, sondern dass sie geprägt werden können und müssen: von Institutionen, von formalen wie informellen Regeln, von Organisationen.
Plattformgenossenschaften könnten genau hier das Experimentierfeld sein, um zu zeigen, wie soziale Eingebundenheit, menschliche Beziehungen und ökonomische Produktion in der Digitalwirtschaft gemeinsam funktionieren. Arbeitsplattformen müssen nicht zu hyperflexiblen Arbeitsverhältnissen ohne jeden Schutz führen, Wohnungsplattformen wie Airbnb müssen Städte nicht ausbluten und Mieten steigen lassen. Plattformgenossenschaften können eine demokratische Antwort auf die Verwerfungen des Kapitalismus im 21. Jahrhundert sein: auf Entbettung und Entrechtung, auf Entdemokratisierung und Monopolisierung.
Eine gerechtere digitale Wirtschaft ist möglich
Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass diese digitalen Plattformen funktionieren können: Die Green-Taxi-Kooperative in Denver in den Vereinigten Staaten, die über eine App Taxifahrer verbindet und damit Uber das Leben schwer macht; Coopify, eine Genossenschaft für häusliche Dienstleistung in New York, die über eine App beispielsweise Putzdienste vermittelt und dabei den Arbeiterinnen selbst gehört. Oder auch die Fotoplattform Stocksy, die sich in Besitz der Fotografen befindet. Diese hat 2015, zwei Jahre nach ihrer Gründung, schon 200.000 Dollar an ihre Mitglieder ausgeschüttet. Und in der vom Massentourismus genervten niederländischen Hauptstadt Amsterdam entwickelt eine Gruppe von Programmierern und Stadtplanern gemeinsam mit der örtlichen Universität und der Stadt eine Alternative zu Airbnb. Anfang nächsten Jahres soll eine Testversion der Plattform online gehen.
Die erfolgreichen Beispiele zeigen, dass Plattformgenossenschaften vor allem dort Erfolg haben, wo sie lokal verankert sind oder ein sehr spezielles Feld bedienen. Die große Konkurrenz zu Uber und Co. ist das noch nicht. Politisch heißt das für Deutschland vor allem: Wir sollten jetzt, wo die Zukunft der Arbeit und der Wirtschaft programmiert wird, diese Fragen radikal politisieren. Was können Städte tun, um diese Formen genossenschaftlichen Wirtschaftens zu unterstützen? Welchen Beitrag kann die Wirtschaftsförderung von Bund und Ländern leisten? Letztlich: Wie können Gesellschaft und Politik wirklich helfen, eine gerechtere digitale Wirtschaft zu bauen?