Warum die soziale Demokratie in der Berliner Republik neu verankert werden muss
Fünf Jahre Berliner Republik – das sind fünf Jahre, die wie die ganze jüngste Geschichte unseres Landes durch Brüche und vielfach beschleunigte Veränderungsprozesse gekennzeichnet sind. Auch die Zeitschrift Berliner Republik hätte ohne das Ende des Ost-West-Konfliktes, ohne die deutsche Einheit nicht entstehen und nun ein Jubiläum feiern können. Der Siegeszug der Demokratie in Europa und die Ausdehnung der Europäischen Union weckten große Hoffnungen. Und tatsächlich ist Europa friedlicher und sicherer geworden. Gleichzeitig erleben wir weltweit gefährliche regionale Konflikte und neue asymmetrische Bedrohungen. Die Bundeswehr musste entgegen der Nachkriegstradition außerhalb des Territoriums der Nato-Staaten eingesetzt werden, wie im Kosovo, in Mazedonien und Afghanistan geschehen. Eine wichtige außenpolitische Frage, nämlich die, ob ein Krieg gegen den Irak begonnen werden soll, haben Deutschland und die Vereinigten Staaten, die aus guten Gründen eng miteinander verbunden sind, unterschiedlich beantwortet. Viel Geschichte in kurzer Zeit.
Wie die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme unter den Bedingungen einer alternden Gesellschaft und der Globalisierung für die Zukunft gesichert werden kann, ist umstritten. Mutige Reformen waren und sind erforderlich, aber der deutsche Weg, soziale Sicherheit durch die großen Sozialversicherungen zu garantieren, muss deswegen nicht verlassen werden. Zugleich wird immer deutlicher, dass die Verhinderung der Exklusion sozialer Gruppen die wichtigste Herausforderung moderner Sozialstaaten ist. Die ungleichen Bildungschancen, wie sie der PISA-Test zutage gefördert hat, fordern zum Handeln heraus. Jede und jeden einzelnen unabhängig von der Herkunft an Bildung teilhaben zu lassen und niemanden am Wegesrand zurückzulassen, das erfordert heute ein anderes Vorgehen als in der Aufbauphase der westdeutschen Bundesrepublik. Nur durch Qualitätsstandards für die Bildungsinstitutionen, durch mehr Autonomie für Schulen und Universitäten und öffentlich zugängliche Vergleichstests können wir bessere Erfolge erzielen. Und natürlich müssen wir schon früh – lange bevor die Schule beginnt – in die Kinder investieren, wenn wir mehr Kindern aus bildungsfernen Schichten neue Chancen eröffnen wollen. Seit fast einem Vierteljahrhundert sind in Deutschland mehr als eine Million Menschen ohne Arbeit, seit langem sind mehr als vier Millionen von der für unsere Gesellschaft so konstitutiven Teilhabe an Arbeit ausgeschlossen. Vor allem die hohe Langzeitarbeitslosigkeit bedrückt. Die neue Ausrichtung der Politik auf die aktive Vermittlung in Arbeit ist darum ein großer Fortschritt.
Was wir können, das können auch andere
Globalisierung bedeutet das Zusammenwachsen von Märkten. Der Wettbewerb wird auf den immer effizienteren Weltmärkten immer weniger von Informationsdefiziten und Transportkosten begrenzt. Was wir können, das können auch viele andere auf der Welt – zwar nicht immer, aber doch öfter als früher. Welche Zukunft haben vor diesem Hintergrund die Menschen, die in Deutschland von ihrer Arbeit anständig leben wollen und deren Arbeit andere anderswo für weniger Lohn zu verrichten bereit sind? Nur Investitionen in Forschung, Entwicklung und eine gute Infrastruktur von Bildungseinrichtungen, Universitäten, lebenswerten Städten und Verkehrswegen können unsere Arbeitsplätze sichern.
Natürlich helfen auch die Reformen, die den Anstieg der Lohnnebenkosten begrenzt haben und die Arbeitskräfte befähigen und ermutigen, sich flexibel auf neue Bedingungen einzustellen. Wird er richtig organisiert, dann ist der deutsche Sozialstaat, der Menschen Sicherheit im Wandel gewährleistet, im globalen Wettbewerb ein Vorteil. Ein Vorteil im globalen Wettbewerb ist übrigens auch die Sozialpartnerschaft, die zu Unrecht in Verruf geraten ist. Die Kooperation von Arbeitgebern und Gewerkschaften nützt bei schnellem wirtschaftlichen Wandel den Beschäftigten und den Unternehmen – auch wenn das manche Klassenkämpfer auf beiden Seiten nicht begreifen.
Gerade wegen der Herausforderungen der Globalisierung sollten wir uns zu Kündigungsschutz, Betriebsverfassung und Mitbestimmung bekennen – Institutionen und Verfahren, die eine vernünftige Regulierung von Interessenkonflikten ermöglichen. Unser Land hat eine gute Zukunft, wenn es sich auf diese Stärken besinnt: eine leistungsfähige, für den globalen Wettbewerb gerüstete Volkswirtschaft, qualifizierte und auf den Wandel vorbereitete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und gleichzeitig einen Sozialstaat, auf den sich die Menschen zu Recht verlassen können. So können wir auch erreichen, dass sich die Sorgen der Menschen nicht in Ressentiment, Fundamentalismus, Nationalismus und rechtem wie linkem Populismus niederschlagen.
Die Berliner Republik reflektiert die Erfahrungen derjenigen, die in der unendlich langen Regierungszeit des Kanzlers Kohl politisch erwachsen wurden. Der sozialdemokratische Wahlsieg 1998 und der Beginn der Kanzlerschaft Gerhard Schröders war der Aufbruch in die Berliner Republik. Die – zugegeben: schwierige – Aufgabe seither ist es, die soziale Demokratie fest in der Berliner Republik zu verankern.