Warum die Vaterschaft Anerkennung eingebüßt hat
Häufig wird diskutiert, ob es die „neuen Väter“ tatsächlich gibt oder ob es sich dabei lediglich um ein gesellschaftliches Ideal handelt, das sich im Alltag erst noch durchsetzen muss. Deutet etwa die Tatsache, dass immer mehr Väter Elternzeit nehmen, auf einen substanziellen Wandel der Geschlechterverhältnisse hin? Als Grund für die allenfalls schleppende Durchsetzung wird häufig die Hartnäckigkeit von Rollenmustern genannt. Das Problem liegt allerdings tiefer: Denn parallel zum Aufstieg der Idee des neuen Vaters hat die Institution der Vaterschaft im Allgemeinen und besonders die soziale Vaterschaft an Legitimation verloren. Dieser Legitimationsverlust stellt ein gravierendes Hindernis für die Durchsetzung neuer Vorstellungen von Vaterschaft dar.
Die Zahl der engagierten Väter wächst
Zweifellos hat der autoritäre Vater als kulturelles Leitbild abgedankt – aber welches Leitbild ist an seine Stelle getreten? Seit den siebziger Jahren gibt es die Hoffnung, dass der engagierte Vater, der sich liebevoll um seine Kinder kümmert und die Karriere hintanstellt, bald zu einer selbstverständlichen Massenerscheinung würde. Doch auch heute ist der neue Vater eine Seltenheit, zumindest was die durchschnittliche Zeit angeht, die Väter im Vergleich zu Müttern mit ihren Kindern verbringen. Und noch immer ist der Vater in den meisten Familien der Hauptverdiener. Gleichwohl gibt es Hinweise, dass die Zahl engagierter Väter wächst. Erstaunlich ist allerdings, warum diese Entwicklung nicht schneller vorangeht, schließlich ist das Leitbild des engagierten Vaters nicht neu und wird seit rund 50 Jahren positiv gesehen.
Es sind jedoch auch gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Seit den neunziger Jahren wird eine erneute „Vaterlosigkeit“ diagnostiziert. Alexander Mitscherlichs „vaterlose Gesellschaft“ scheint Realität zu werden, wenn auch in anderer Form und aus anderen Gründen, als der Psychoanalytiker es einst vermutete. Paradoxerweise scheint die neue Vaterlosigkeit sogar jenen Entwicklungen geschuldet zu sein, die seit Mitte der sechziger Jahre die Hoffnung auf neue Rollenmuster weckten: Zwar wurde die Rolle des Vaters aufgewertet, zugleich stieg jedoch die Zahl der Kinder, die bei ihrer Mutter aufwachsen – entweder ohne den Vater oder zumindest ohne eindeutigen Vater. Steigende Scheidungszahlen haben zu diesem Wandel ebenso beigetragen wie die bessere Anerkennung und Unterstützung von alleinerziehenden Müttern. Ein Teil der betroffenen Väter fühlt sich seitdem verdrängt; viele von ihnen machen das Scheidungs-, Sorge- und Unterhaltsrecht mitverantwortlich, wenn sie nach der Trennung oft von ihren Kindern ferngehalten werden.
Die tiefgreifende Verunsicherung der Männer
Wir haben es also mit zwei Phänomenen zu tun: der gesellschaftlichen Aufwertung der Rolle des Vaters und einer neuen Vaterlosigkeit. Letztere ist Ausdruck einer tiefgreifenden Verunsicherung der Männer. Der römische Spruch „pater semper incertus“ hat unter diesen Bedingungen eine ganz neue Bedeutung erfahren: Während die genetische Vaterschaft heutzutage mit großer Sicherheit festgestellt werden kann, wird die soziale Vaterschaft, die früher als relativ sicher galt, zunehmend prekär und instabil. Wer heute die soziale Vaterschaft annimmt, muss damit rechnen, dass sie nur von kurzer Dauer sein könnte. Der neue Vater braucht gewissermaßen besonderen Mut, da seine soziale Anerkennung nur vordergründig gesichert und latent immer gefährdet ist.
Der Gleichheitsgedanke und die gesellschaftliche Aufwertung der Frau haben die Entwicklung der Familien- und Geschlechterbeziehungen im vergangenen Jahrhundert geprägt. Davon zeugen neben der verstärkten Orientierung des Rechts am Kindeswohl unter anderem der Bedeutungsverlust der Ehe und der Niedergang patriarchaler Herrschaft – sowohl in Bezug auf die Herrschaftsrechte des Mannes in der Familie als auch auf seine rechtliche und soziale Stellung als Ehemann und Vater. Dies zeigt sich deutlich an den Veränderungen des Rechts im vergangenen Jahrhundert: Von den patriarchalen Vorrechten des Ehemannes und Vaters und der Diskriminierung unverheirateter Mütter und ihrer Kinder ist nicht mehr viel übrig geblieben. Zwar wurde im Zuge dieser Entwicklungen die Rolle des nicht-ehelichen Vaters aufgewertet, insgesamt kommt es jedoch zu einer Anerkennungskrise von Vaterschaft. Dies gilt vor allem für die soziale Vaterschaft, die sich nicht auf die biologische Abstammung berufen kann und will.
Im Vergleich zu anderen Kulturen hat sich in Europa zunehmend die Vorstellung durchgesetzt, die Vaterschaft stärker an die biologische Abstammung des Kindes zu binden. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt hat diese Tendenz verstärkt. Heute ist es ziemlich einfach, mit großer Sicherheit die genetische Abstammung festzustellen. Früher konnte nur der Ehemann selbst seine Vaterschaft anfechten (und dies nur unter sehr speziellen Bedingungen). Heute erlaubt es das europäische Recht, dass die Vaterschaft – auch die eheliche – angefochten wird, wenn sie nicht mit der genetischen Abstammungsbeziehung übereinstimmt – und zwar im Prinzip von allen Beteiligten, sei es ein Vaterschaftskonkurrent, die Mutter oder das Kind. Vor allem Kinder haben heute mehr Rechte als früher, Auskunft über ihren leiblichen Vater zu bekommen.
Die Frau als Hauptverdienerin – immer noch rar
Hinter diesem gewandelten Rechtsverständnis steht eine kulturelle Entwicklung, die man als „neuen Biologismus“ bezeichnen kann. Genetik und Gehirnforschung (sowie andere Lebenswissenschaften) haben in den vergangenen Jahrzehnten stark an Einfluss gewonnen – mit Folgen für unsere Vorstellung von legitimer Vaterschaft. Denn wenn es technisch möglich ist, den genetischen Vater zweifelsfrei zu bestimmen, wird dies für die Vaterschaftsanerkennung immer wichtiger. Infolgedessen hat sich die evolutionspsychologische Perspektive zunehmend durchgesetzt, derzufolge die biologischen Väter im Prinzip als die besseren Väter gelten. Diese Sichtweise steht in deutlichem Widerspruch zu der Vorstellung des „neuen Vaters“, der sich unabhängig von seiner genetischen Beziehung um das Kind kümmert und Verantwortung übernehmen will. Die Folge: Neue Interessenkonflikte und Spannungen entstehen. Möglicherweise können sich gut funktionierende Familien, in denen der Vater nicht der biologische Vater ist, durch die Ausforschung der „biologischen Wahrheit“ radikal verändern. Die Stärke des neuen Vaters gründet aber gerade nicht in der biologischen Beziehung des Kindes zum Vater, sondern in der Bereitschaft des Vaters, Verantwortung zu übernehmen.
Entgegen der verbreiteten Ansicht, die sich wie ein Mantra durch den öffentlichen Gleichheitsdiskurs in Wissenschaft und Politik zieht, ist das Versorgermodell der Vaterschaft noch keineswegs ausgestorben. Im Gegenteil: Es hält sich zäh, wie Cornelia Koppetsch und Sarah Speck kürzlich in ihrem Buch Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist erneut festgestellt haben. In Deutschland sind es kaum mehr als zehn Prozent der Paare, in denen die Frau Hauptverdienerin ist. In den meisten Fällen ist immer noch der Mann der Haupternährer. Die Frau verdient bestenfalls etwas hinzu und kümmert sich ansonsten um Haushalt und Familie.
Die gegenwärtige Konstellation lässt sich am besten anhand von drei Modellen von Vaterschaft illustrieren, die heute miteinander um Legitimität konkurrieren: Zum einen gibt es den klassischen Ernährer, der sich als Alleinverdiener auf die finanzielle Versorgung der Familie konzentriert. Auf der Ebene der normativen Leitbilder ist dieses Rollenmodell fast verschwunden, in der Realität allerdings nicht (Modell A). Auf der anderen Seite gibt es den partnerschaftlichen Vater, der sich als Ernährer und Erzieher versteht und die Aufgaben partnerschaftlich mit seiner Frau teilt (Modell B). Der neue Vater konzentriert sich hingegen voll und ganz auf die Pflege, Erziehung und Unterstützung seiner Kinder, häufig im Rollentausch mit seiner Frau, die sich auf die finanzielle Versorgung der Familie konzentrieren kann (Modell C).
Vom neuen Vater sprechen wir häufig auch dann, wenn er sich – wie im Modell B – mit der Mutter die familiären Aufgaben teilt. Der kritische Punkt für den neuen Vater besteht allerdings in der Bereitschaft zum Karriereverzicht und Rollentausch (Modell C) – nach wie vor die Gretchenfrage zwischen den Geschlechtern. Solange gerade einmal zwei bis drei Prozent der Väter zu diesem Rollentausch bereit sind, können wir wohl kaum von einem substanziellen Geschlechterwandel sprechen. Modell C dürfte sich vor allem deshalb so zögerlich durchsetzen, weil dieses Modell mit grundlegenden Identitätsfragen für den Mann verbunden ist. Problematisch ist zudem, dass die Entscheidung zum Rollentausch den Vätern nur wenig Sicherheit bietet, weil die soziale Vaterschaft grundsätzlich an Legitimität verloren hat.
Die Familienpolitik muss radikaler denken
Und so bleibt es vorerst dabei, dass die meisten Väter sich die familiären Pflichten partnerschaftlich mit ihrer Frau teilen, aber nicht bereit sind, die Rollen zu tauschen. Sobald die Familiengründung ansteht, übernehmen viele Männer sogar wieder die Ernährerrolle und kümmern sich neben dem Job – so gut es eben geht – auch um die Kinder. Dafür erhalten sie weitgehende Unterstützung; das Vereinbarkeitsproblem betrifft weiterhin vornehmlich die Frauen.
Angesichts dieser Faktenlage stellt sich die Frage, wie die Familienpolitik die neuen Väter, die das Modell C leben, stärker fördern kann. Das kulturelle Legitimationsproblem wird die Politik sicherlich nicht lösen können, denn dabei handelt es sich um eine Frage gesellschaftlicher Wertigkeit, und zwar auf der praktischen Alltagsebene: Denn während das gesellschaftliche Ideal des neuen Vaters viel Anerkennung erfährt, schlägt den aktiven Vätern in der Praxis oft Misstrauen und Skepsis entgegen – auch vonseiten mancher Frauen, die zweifeln, ob ein Mann mit einer solchen Rollenaufteilung überhaupt glücklich werden kann. Unabhängig von ihrem beruflichen Erfolg sozial anerkannt zu werden, ist für Männer immer noch schwieriger als für Frauen.
Wenn finanzielle Anreize alte Rollen- und Anerkennungsmuster tatsächlich aufbrechen sollen, müsste die Familienpolitik viel radikaler denken und vor allem jene Paare fördern, die bereit sind, die Elternzeit zu gleichen Anteilen in Anspruch zu nehmen. Solche Paare müssten dann länger unterstützt werden als diejenigen, die keine partnerschaftliche Aufteilung wählen. Dies wäre ein bedeutendes Signal, dass die Politik das Gleichstellungsideal ernstnimmt – und damit auch die neuen Väter.