Warum ich kein Feminist bin

Warum Männer auch unabhängig von Frauen allen Grund haben, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie in einer gerechteren Gesellschaft besser leben wollen

Ich finde die Bezeichnung „Feminist“ für Männer unpassend. Selbstverständlich bin ich für die gleiche Bezahlung von gleicher Arbeit unabhängig vom Geschlecht und für eine Aufwertung so genannter weiblicher Tätigkeiten. Ich befürworte die Frauenförderung in Unternehmen und eine gesetzliche Quote in der Privatwirtschaft. Männer sollten jedoch unabhängig von Frauen eigene Ideen entwickeln, wie sie besser leben wollen. Dazu gehört, auch die Schattenseiten der eigenen Rolle zu thematisieren: die geringere Lebenserwartung, die Probleme mancher (nicht aller) Jungen im Bildungssystem, die (nicht immer selbst gewählte) familiäre Randständigkeit von Vätern, die höhere Suizidgefahr im Alter.

Die Männerbewegung – wenn man von einer solchen überhaupt sprechen will – war einst beeinflusst von der These, es gebe eine Art männliche Erbschuld qua Geschlecht. Nach dieser Lesart sind alle Männer unabhängig von ihrer Lebenslage mitverantwortlich für das Patriarchat. Richtig daran ist, dass Männer stets reflektieren sollten, ob sie es in bestimmten beruflichen oder privaten Situationen leichter haben als Frauen, weil sie sich auf grundlegende männliche Privilegien in der Gesellschaft stützen können.

»Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot.« Punkt

Keineswegs aber rechtfertigt diese angebliche Erbschuld einen demütigen männlichen Kotau vor der Frauenbewegung. Symptomatisch dafür war ein Satz, der in den achtziger Jahren jeden Band der lesenswerten Reihe rororo mann einleitete. Das Zitat aus dem Buch Der Untergang des Mannes des damals viel gelesenen Autors Volker Elis Pilgrim lautete: „Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot.“ Punkt, ohne Fragezeichen! Mit diesem verbalen Kniefall sprachen „antisexistische“ Männer sich selbst und ihren Geschlechtsgenossen menschliche Eigenschaften wie Fürsorglichkeit und Beziehungskompetenz pauschal ab. Das war schon damals falsch und überflüssig – und ist es heute mehr denn je.

Auf das idiotische Motto wurde schon bald verzichtet, das dahinter steckende Denken aber hält sich im geschlechterpolitischen Diskurs bis heute. Der profeministische Männerforscher ­Michael Kimmel veröffentlichte 2011 The guy’s guide to feminism. Der grif­fige Ratgebertitel ist sicher einer typisch amerikanischen Vermarktungsstrategie geschuldet; er interpretiert den Geschlechterdialog aber auch als erzieherisches Programm: Männer sollen an den Feminismus herangeführt werden, Frauen hingegen haben eine Veränderung in Wahrnehmung und Verhalten offenbar nicht nötig. Ein Buch mit der Umkehrung The woman’s guide to masculism ist kaum vorstellbar – zumal die Begriffe Maskulismus oder Maskulinismus (letzteres ist im Deutschen grammatikalisch korrekt) durch frauenfeindliche Männerrechtler diskreditiert sind.

Gerade um solchen, häufig rechtskonservativen Strömungen, die sich programmatisch zurzeit in der AfD formieren, den Wind aus den Segeln zu nehmen, plädiere ich für eine unabhängige Männerpolitik jenseits von Feminismus und Antifeminismus. Wenn Frauenpolitik alle Männer für privilegiert, die eigene Zielgruppe aber stets für benachteiligt und daher förderungswürdig hält, macht sie sich angreifbar. Der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zum Beispiel war einseitig auf die weibliche Perspektive fokussiert. Er konzentrierte sich auf die (wichtige) Gleichstellung der Frauen am Arbeitsmarkt. Felder, die männliche Nachteile sichtbar machen könnten – wie etwa das Thema Gesundheit – wurden dagegen weitgehend ausgeklammert.

Die »Krise der Kerle« betrifft bestimmte Milieus

Entgegen der Behauptung von Antifeministen, dass sich Gleichstellungsbeauftragte nicht um Männerthemen kümmern, habe ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gerade in diesem Kontext spannende Diskussionen zwischen Männern und Frauen erlebt. In vielen Unternehmen und Institutionen ist das „Frauenbüro“ immer noch die einzige Möglichkeit, mit geschlechterpolitischen Anliegen männliche Zielgruppen zu erreichen. Das macht deutlich, wie wichtig eine eigenständige Männerpolitik ist – und dass diese vielerorts fehlt. Meine Erfahrungen in solchen Veranstaltungen sind zwiespältig. Manchmal schlägt mir die schweigsame Abwehr meiner Geschlechtsgenossen entgegen – etwa, wenn ich unter Führungskräften propagiere, das „gute Leben“ jenseits der Karriere nicht aus den Augen zu verlieren. Ich erlebe aber auch Vortragsabende zum Thema Väter, wo die einladende Gleichstellungsbeauftragte von der hohen Zahl männlicher Besucher überrascht ist: So viele Männer habe sie noch nie öffentlich über Gefühle und persönliche Probleme reden hören! Ein solcher Dialog kann aber nur entstehen, wenn die Geschlechter sich nicht getrennt organisieren, sondern gemeinsam Perspektiven entwickeln.

Für Männer ist es wichtig, dass ihnen andere Männer abweichende, aber dennoch selbstbewusste Formen von Männlichkeit vorleben. In Unternehmen bedarf es unbedingt männlicher Pioniere, um ein anderes Arbeitsmuster unter Männern akzeptanzfähig zu machen. Denn Angst vor dem Abstieg prägt die Stimmung bis tief in die Mittelschicht hinein. Eine Sozial­gesetzgebung, die damit droht, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit sofort auf das Niveau der Grundsicherung abzurutschen, sich in privaten Dingen offenbaren und jeden miesen Job annehmen zu müssen, verschärft diese Angst.

Dennoch betrifft die „Krise der Kerle“ im Kern nur bestimmte soziale Milieus. Vor allem schlecht qualifizierte Industrie­arbeiter werden in der digitalen Ökonomie immer weniger gebraucht. Sie sind die Hauptverlierer des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft – und machen dabei Erfahrungen, die für Frauen schon immer normal waren: unterbrochene Berufsbiografien, prekäre Beschäftigung, ein Patchwork aus befristeten Arbeitsverträgen, nicht unbedingt freiwilliger Teilzeit und Phasen eines erzwungenen Totalausstiegs.

Parallel dazu agieren privilegierte Macht-Männer an der Spitze der Hierarchie mit einem charakteristischen Habitus: ständige Verfügbarkeit, auch abends, am Wochenende oder im Urlaub; unhinterfragte Mehrarbeit, absolute Priorität für berufliche Ziele. Private Verpflichtungen sind nachrangig, werden delegiert an (Ehe-)Partnerinnen oder bezahlte, meist ebenfalls weibliche Bedienstete.

Doch nicht nur Spitzenmanager, auch viele „normale“ Beschäftigte müssen diesem Verhaltenskodex folgen. Sie sind konfrontiert mit „Dinosaurier-Vätern“, älteren Männern in Führungspositionen, deren Frauen ihnen den Rücken freihalten und die ­keine Rücksicht auf Familien- oder Freizeitinteressen ihrer Untergebenen nehmen. Oder mit Abteilungsleitern, die Wünsche nach Elternpause oder kürzeren Arbeitszeiten mit vorgeschobenen Argumenten abweisen. Nur wenige Männer trauen sich zu sagen: „Zur Sitzung um 17 Uhr komme ich nicht, ich gehe dann nämlich mein Kind abholen.“ Die meisten treffen eine schmerzliche, aber eindeutige Entscheidung für den Beruf. Die Zaungast-Rolle in der Familie nehmen sie dabei in Kauf.

Wie führt man mit solchen scheinbar unbeweglichen Männern den Geschlechterdialog? Sicher nicht, indem man erst mal postuliert, dass sie „soziale Idioten“ sind – oder sie, wie einst das feministische Autorenpaar Cheryl Benard und Edit Schlaffer, süffisant als lernunfähige Wesen schildert. Erreichen kann man Männer nur, wenn man nicht mit Vorwürfen und Beleidigungen beginnt. Das gilt ja genauso auch für Frauen.

Männer sind nicht bloß Mängelwesen

Die britische Autorin Rosalind Coward wies schon 1994 in ihrem Buch Unsere trügerischen Herzen verständnisvoll aber kritisch auf die weibliche Beteiligung, ja Komplizenschaft an traditionellen Lebensentwürfen vor allem in der Elternphase hin. Die deutsche Journalistin Bascha Mika hat diese These später mit dem medientauglichen Label Die Feigheit der Frauen versehen und eher wenig Verständnis für das Vereinbarkeitsdilemma gezeigt. Ich teile Mikas Einschätzung in ihrer Schlichtheit und Ignoranz gegenüber privaten Sorgeverpflichtungen nicht. Was aber stimmt: Die Rolle des Haupternährers ist keine Geheimverschwörung männlicher Workaholics, sondern meist ein gemeinsam getroffenes Arrangement – und gerade darum oft so schwer zu durchbrechen.

Frauenpolitische Appelle, die Männer als Defizitwesen betrachten, bleiben im alten Denken verhaftet. Ich plädiere für eine Selbstvertretung emanzipatorischer männlicher Interessen, die mehr ist als ein Anhängsel der Frauenförderung. Von Feministinnen erwarte ich, männliche Sichtweisen und Erfahrungen ernstzunehmen und ihre Eigenständigkeit anzuerkennen. Denn im Geschlechterdialog liefern Männer ihren Beitrag zur Gleichstellungspolitik – und dürfen dabei durchaus „männerparteilich“ sein.«

Thomas Gesterkamp veröffentlichte sein aktuelles Buch „Jenseits von Feminismus und Antifeminismus: Plädoyer für eine eigenständige Männerpolitik“ 2014 im Springer VS Verlag. Es hat 30 Seiten und kostet 6,99 Euro.

zurück zur Person