Wider den Befristungswahn
Vor rund einem Jahr einigten sich in Frankreich drei der größten Gewerkschaften mit Arbeitgebervertretern auf ein Paket umfangreicher Arbeitsmarktreformen, das als politischer Erfolg des angeschlagenen Präsidenten François Hollande galt. Die beschlossenen Reformen folgten weitgehend den auch hierzulande verbreiteten Forderungen nach einer Flexibilisierung des als verkrustet wahrgenommenen französischen Arbeitsmarktes. In Zukunft haben es französische Unternehmen einfacher, in Krisenzeiten Mitarbeiter zu entlassen, während es für entlassene Mitarbeiter schwieriger wird, gegen ihre Kündigung gerichtlich vorzugehen. Doch auch die Gewerkschaften konnten sich mit einer wegweisenden Neuregelung durchsetzen: Künftig müssen Arbeitgeber für befristete Arbeitsverhältnisse mehr in die Sozialkassen einzahlen als für herkömmliche Jobs. Für diese Idee würde auch hierzulande einiges sprechen – entgegen dem vorherrschenden Konsens, wonach Frankreich arbeitsmarktpolitisch von Deutschland lernen solle und nicht umgekehrt.
Die Befristung wird zum Normalfall
Der Status quo befristeter Beschäftigung in Deutschland ist ernüchternd: Sowohl die Anzahl als auch der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse befinden sich in einem langfristigen Aufwärtstrend. Im Jahr 2011 waren über 2,8 Millionen Erwerbstätige befristet beschäftigt, etwa eine Million mehr als 1996. Somit arbeiteten 9,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf Basis einer Befristung. Besonders erschreckend ist, dass ihr Anteil bei Neueinstellungen bei 45 Prozent liegt und somit 13 Prozentpunkte über dem Wert von vor zehn Jahren. Kurzum: Befristungen nehmen eine immer größere Rolle auf dem Arbeitsmarkt ein und sind gerade bei jungen Arbeitnehmern und Berufseinsteigern zum Normalfall geworden.
In Deutschland können Erwerbstätige offiziell bis zu zwei Jahre lang befristet beschäftigt werden, auch wenn kein sachlicher Grund vorliegt wie etwa der Ausfall einer Arbeitskraft oder eine absehbare zeitliche Begrenzung des Bedarfs für die Arbeit. Neu gegründete Unternehmen dürfen Arbeitnehmer sogar bis zu vier Jahre lang befristet beschäftigen. Es steht außer Frage, dass diese Regelungen den Arbeitgebern zusätzliche Flexibilität bieten, auch wenn Arbeitnehmer naturgemäß wenig Interesse daran haben, befristete statt unbefristete Arbeitsverhältnisse anzutreten. Die Befürworter flexibler Arbeitsverhältnisse betonen gerne die Brückenfunktion, die befristete Arbeit für den Übergang in reguläre Beschäftigung hat. Tatsächlich mündet immerhin etwa die Hälfte der befristeten Jobs in eine Festanstellung. Ob die Möglichkeit zur Befristung jedoch auch Beschäftigungsmöglichkeiten schafft, die es sonst nicht geben würde, darf bezweifelt werden.
Familienplanung funktioniert so nicht
Was in der vorherrschenden Diskussion außen vor bleibt: Befristete Beschäftigung verursacht gesellschaftliche Kosten – unabhängig von ihren sonstigen Vor- und Nachteilen. Erstens ist es bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen im Vergleich zu Festanstellungen wesentlich wahrscheinlicher, dass die Beschäftigten in absehbarer Zukunft auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung oder auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Denn eine Weiterbeschäftigung ist keineswegs der Normalfall. Im Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherungen spiegeln sich diese Mehrkosten bislang nicht wieder.
Zweitens bedeutet befristete Beschäftigung für die betroffenen Arbeitnehmer Unsicherheit, was ihre Zukunftsplanung angeht. Vor allem jungen Menschen erschwert sie die Familiengründung. Dies steht im Gegensatz zu gesellschaftspolitischen Zielen, über die auch bei Freunden des flexiblen Arbeitsmarktes gemeinhin breiter Konsens herrscht. Nicht zuletzt wirken sich sinkende Geburtenraten langfristig negativ auf die Sozialkassen aus.
Mobilität versus Engagement
Drittens spiegelt sich das Weniger an Lebensqualität und Stabilität, das befristete Arbeitsverhältnisse für Arbeitnehmer bedeuten, auch in ihrer Selbstwahrnehmung in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe wider. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von 2008 zeigt, dass befristet Beschäftigte ihre Integration in die Gesellschaft signifikant schlechter einschätzten als unbefristet Beschäftigte. Die gesellschaftlichen Kosten solcher Effekte sind naturgemäß schwer zu quantifizieren, aber aus demokratietheoretischer Sicht kritisch zu beurteilen. Durch die konstante Zunahme von unsicherer Beschäftigung müssen beispielsweise vor allem junge Menschen über lange Zeiträume hinweg mobil bleiben. Dies erschwert kontinuierliches politisches und gesellschaftliches Engagement und trägt damit zur Aushöhlung der Zivilgesellschaft bei.
Ökonomisch formuliert: Befristete Beschäftigung bürdet der Gesellschaft negative Externalitäten auf, die in der öffentlichen Diskussion kaum zur Kenntnis genommen werden. Deshalb ist ein erhöhter Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen zur Arbeitslosenversicherung bei befristeten Arbeitsverhältnissen ein sinnvoller Schritt, und zwar unabhängig davon, welche Regelung befristeter Arbeit man ansonsten bevorzugt. Zudem würde dieser höhere Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung bei befristeten Verträgen – ganz im Einklang mit dem Versicherungsprinzip – die höhere Wahrscheinlichkeit der anschließenden Arbeitslosigkeit widerspiegeln.
Gerne wird argumentiert, solche Einschränkungen liefen Gefahr, negative Beschäftigungseffekte hervorzurufen. Unternehmen nützten Befristungen auch, um eine Randbelegschaft zu bilden, die in Krisenzeiten ohne großen Aufwand abgebaut werden kann. Wenn nur noch sachlich begründete Befristungen zulässig wären, so das Argument, würde ein Teil dieser Stellen ganz wegfallen. Es ist, wie gesagt, umstritten, ob und in welchem Ausmaß durch die Möglichkeit der Befristung tatsächlich neue Arbeitsplätze entstehen. Gegenüber der hier diskutierten Kostenbeteiligung ist dieser Einwand jedenfalls wenig überzeugend. Schon eine geringe Erhöhung des Arbeitgeberanteils nach französischem Vorbild ist nämlich erstens ein Anreiz für Arbeitgeber, zu regulärer Beschäftigung zurückzukehren. Zweitens lässt das Modell der Kostenbeteiligung den Arbeitgebern ja immer noch die Option, weiterhin befristet zu beschäftigen – sofern sie dafür mehr in das Solidarsystem der Arbeitslosenversicherung einzahlen.
Drittens können die Mehreinnahmen aus dem Befristungsaufschlag auch für Maßnahmen genutzt werden, die reguläre Beschäftigung fördern. In Frankreich ist beispielweise geplant, Festeinstellungen von jungen Arbeitnehmern zu subventionieren. Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland zwar ein weniger drängendes Problem, allerdings würden sich etwa Maßnahmen gegen die verhärtete Langzeitarbeitslosigkeit anbieten.
Klar ist: Ein Arbeitgeberaufschlag für befristete Arbeitsverhältnisse ist kein Wundermittel. Aber er wäre gerecht, weil er Arbeitgeber für die negativen Folgen ihrer Privilegien aufkommen lässt. Außerdem könnte er dazu beitragen, den Langzeittrend hin zu befristeter Arbeit zu bremsen, ohne größeres Risiko für die Gesamtbeschäftigung. Und allein das sollte ein lohnendes Ziel sein.