Wir erben unsrer Oma ihr klein Häuschen
Im Januar hat das Bundesverfassungsgericht das derzeitige Erbschaftssteuerrecht für verfassungswidrig erklärt. Nun bahnt sich über die höchstrichterlich angeordnete Reform ein Grundsatzstreit an: In der SPD mehren sich die Stimmen, die höhere Lasten für private Vermögen fordern. Mittelstandsvertreter in den Bundestagsfraktionen von CDU und CSU schlagen eine grundlegende Neuordnung der Besteuerung von Nachlässen vor. Der liberale Ökonom Thomas Straubhaar fordert sogar die völlige Abschaffung der „Todessteuer“. Realistisch scheint, dass die Große Koalition bis 2009 eine Reform des „Bewertungsgesetzes“ sowie eine Reihe kleinerer Änderungen vornimmt.
Im internationalen Vergleich werden Erbschaften in Deutschland nicht nur ausgesprochen milde besteuert, die unterschiedlichen Formen werden auch ungleich behandelt. So muss ein Enkel gegenwärtig für ein Sparbuch der verstorbenen Großmutter, auf dem sich 100.000 Euro befinden, knapp 3.500 Euro Erbschaftssteuern zahlen. Häuser und Grundstücke werden dagegen wesentlich niedriger bewertet und deshalb geringer oder gar nicht besteuert. Das oberste Gericht hat dem Gesetzgeber aufgetragen, dies zu ändern. Künftig werden also auch jene Enkel Steuern entrichten müssen, die Omas Häuschen zum Verkaufswert von 100.000 Euro erben.
Wenden wir das Beispiel auf Papas Häuschen an. Ein Kind, das ein Sparbuch in Höhe von 250.000 Euro erbt, muss Steuern in Höhe von 3.150 Euro entrichten, was einer Quote von 1,3 Prozent entspricht. Dieselbe Steuer wäre doch auch dem Kind zuzumuten, das Papas Häuschen erbt – derzeit steuerfrei. Wenn die Steuer finanzielle Schwierigkeiten bereitet, würde jede Bank auf diesen Vermögenszuwachs einen Kredit gewähren.
Derzeit bestehen viele Politiker weiterhin auf der völligen Steuerfreiheit von Omas oder Papas kleinem Häuschen. Die Politik wäre gut beraten, diese Forderung mit dem Verweis auf die hohen Freibeträge zurückzuweisen – und die Ausweitung der Erbschaftssteuer-Pflicht mit einer moderaten Senkung des Eingangssteuersatzes zu flankieren. Darüber hinaus sollten die Steuersätze gleich bleiben. Durch großzügige Stundungsmöglichkeiten bei der Zahlung – also Ratenzahlungen – kann die Erbschaftssteuer zudem auf einfache Art und Weise sozialverträglich gestaltet werden.
Im Durchschnitt werden 64.000 Euro geerbt
Nach Schätzungen auf Basis der Längsschnittstudie „Sozio-oekonomisches Panel“ (SOEP) des DIW Berlin geht es um immerhin rund 50 Milliarden Euro netto, die jährlich als Schenkungen und Erbschaften an Privathaushalte gehen. In knapp zwei Prozent aller Privathaushalte fallen jedes Jahr Erbschaften an, die durchschnittlich 64.000 Euro betragen. Die Spannweite der Vermögenswerte ist jedoch groß: 45 Prozent aller Erbschaften liegen unter 20.000 Euro, nur knapp zwei Prozent übersteigen einen Wert von 500.000 Euro. Hinzu kommen die Vermögensübertragungen, die ohne steuerlichen Abzug kirchlichen oder gemeinnützigen Organisationen sowie Stiftungen zufließen. Über deren Höhe existiert in Deutschland derzeit kein belastbares Material.
Jedoch: 75 bis 80 Prozent aller Erbschaftsfälle veranlagen die Steuerbehörden derzeit überhaupt nicht. Das liegt vor allem an den im internationalen Vergleich hohen Freibeträgen auf private Transfers in Deutschland. Kinder müssen auf Vermögenszuwächse bis zu einer Höhe von 205.000 Euro überhaupt keine Steuern zahlen, bei Enkeln liegt diese Grenze immerhin bei 51.000 Euro. Und wie gesagt: Immobilien, aber auch landwirtschaftliche Nutzflächen sowie Betriebsvermögen werden unter ihrem tatsächlichen Verkaufswert veranlagt. Immobilien werden zudem nicht nach dem tatsächlichen Wert veranlagt.
Die SOEP-Daten zeigen, dass auf diese Weise die extreme Ungleichverteilung von Vermögen in Deutschland erhalten bleibt. Zu einer Verschärfung der Vermögensungleichheit dürften die Erbschaften der vergangenen Jahre allerdings auch nicht geführt haben: In der Vergangenheit hat der Staat immerhin rund 3,7 Milliarden Euro jährlich an Erbschaftssteuern eingenommen. Zwar werden viele Vermögende durch Erbschaften noch reicher. Doch die Fälle von Omas Häuschen, das an den unvermögenden Enkel geht, wirken statistisch ausgleichend. Unterm Strich vergrößern Erbschaften die Vermögensunterschiede keineswegs; sie mildern sie sogar etwas ab.
Extrawürste sind explizit erlaubt
Wenn der Gesetzgeber die niedrigen Steuersätze nicht noch weiter absenkt, wird die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils zwangsläufig zu Steuermehreinnahmen führen. Die wachsende Zahl von Erbschaftssteuerberatern deutet darauf hin, dass sich bislang vor allem diejenigen vor der Erbschaftssteuer drücken konnten, die das ganze Portfolio der unterschiedlichen Bewertungsvorteile ausschöpften. Doch nachdem das oberste Gericht seinen Arbeitsauftrag verkündet hatte, ließ die Bundesregierung prompt verlautbaren, Steuererhöhungen drohten keineswegs. Die Erbschaftssteuer ist eben eine hoch sensible Steuerart.
Führt die reformierte Erbschaftssteuer zu Mehreinnahmen, sollen diese zu einer weiteren Novelle des Erbschaftssteuerrechts genutzt werden. Auch weiterhin würden spezifische Formen des Vermögenstransfers subventioniert. Das Bundesverfassungsgericht hat solche Extrawürste („Verschonungsregelungen“) in seinem Urteil explizit erlaubt. Es zwingt den Gesetzgeber jedoch klugerweise dazu, die „ausreichenden Gemeinwohlgründe“ solcher Subventionen offen zu legen – und bei der Besteuerung den tatsächlichen Wert des vererbten Vermögens zugrunde zu legen. Außerdem wird die Reform zu mehr Transparenz beim intergenerationalen Vermögenstransfer führen und die Diskriminierung von reinen „Sparbucherben“ abstellen, die ihre Freibeträge derzeit rascher überschreiten als die Erben von Immobilien oder gar von Betriebsvermögen.
Der Schwellenwert liegt viel zu hoch
Die Forderung, die Erbschaft von Omas kleinem Häuschen völlig von der Steuer zu befreien, führt hingegen in die Irre. Bei einem Vermögenszuwachs von 100.000 Euro sollte allen Enkeln ein Besteuerungsanteil von 3 bis 4 Prozent zugemutet werden dürfen. Schließlich können die Länderregierungen mit dem Geld wichtige Zukunftsausgaben tätigen. Statt über die Höhe der Steuersätze zu lamentieren, sollte eine Diskussion über die vergleichsweise niedrige Besteuerung von Vermögenstransfers in Deutschland geführt werden. Bisher machen die jährlichen Steuereinnahmen aus transferierten Vermögensbeständen weniger als ein Prozent aller Steuereinnahmen aus.
Der internationale Vergleich legt jedoch nahe, dass eine Erhöhung des Höchststeuersatzes wenig sinnvoll wäre. Er liegt gegenwärtig für Ehegatten, Kinder und Enkel bei 30 Prozent. Die Große Koalition sollte besser über eine Senkung des Schwellenwertes nachdenken, bei dem der höchste Steuersatz auch wirklich greift. Dieser Schwellenwert liegt derzeit in Deutschland mit einem Wert von 25 Millionen Euro extrem hoch; in Schweden etwa wird der Höchstsatz schon bei 70.000 Euro fällig.
Die Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage infolge der marktwertnahen Bewertung von Immobilien würde zugleich politischen Raum eröffnen, über eine Senkungen der Eingangstarife bei der Erbschaftssteuer von gegenwärtig 7 auf beispielsweise 5 Prozent nachzudenken oder auch nicht verheiratete Partner in günstigere Erbschaftssteuerklassen einzuordnen. Denn Erben, die in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu dem Verstorbenen stehen, erhalten derzeit „nur“ einen Freibetrag von 5.200 Euro, während der Eingangssteuersatz mit 17 Prozent mehr als doppelt so hoch ist wie bei Kindern und Enkeln. Zugleich sollte sich der Gesetzgeber bei der Stundung der Zahlung von Erbschaftssteuern großzügiger zeigen und die bereits jetzt geltende Frist von zehn Jahren bei Übergängen von Betriebsvermögen künftig auch bei Immobilien und Grundstücken anwenden. Damit könnten es sich auch einkommensschwache Enkel leisten, auf Omas Häuschen Erbschaftssteuer zu zahlen.
Selbst Großmütter hätten vermutlich kein Problem damit, wenn die Länderfinanzminister von ihren Enkeln – auf mehrere Jahre verteilt – einen bescheidenen Generationenbeitrag auf das erworbene Vermögen abziehen und zur Finanzierung von besseren Kindergärten, Schulen und Universitäten für ihre Urenkel verwendeten. Wenn nämlich der Zweck stimmt, sind Deutsche auch zu großzügigen Spenden bereit.