Zugewandt auch unter Zugzwang
Wer die Regierungsjahre von 1998 bis 2009 als Mitarbeiter oder Abgeordnete der SPD erlebt hat, geht beim Lesen von Peter Strucks Buch durch ein Bad der Gefühle. Nach der wilden Anfangszeit der rot-grünen Bundesregierung und folgenreichen Irrtümern über die wirklichen Gestaltungsspielräume, machte sich in der Innenpolitik Ernüchterung breit, und außenpolitisch fand Deutschland in eine neue Rolle.
Aber auch außenstehende Leser kommen auf ihre Kosten. Denn Peter Struck beschreibt die Ereignisse aus der Sicht des Insiders. Er bemüht sich gar nicht erst, den Geschehnissen einen übergeordneten Sinn zu geben, gerade was die Anfangsjahre angeht. Schonungslos beschreibt er, wie Personal- und Sachentscheidungen unter Zugzwang getroffen wurden – in seinem Fall sogar gegen eigene Wünsche. Nicht jede in den ersten Jahren getroffene Entscheidung wurde zu einem solchen Glücksfall wie die Ernennung Peter Strucks zum Verteidigungsminister – ein Amt, das er selbst als „Liebe auf den zweiten Blick“ beschreibt.
In die ersten rot-grünen Jahre fällt die Beteiligung am Kosovo-Krieg und damit ein Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik, mit dem sich SPD und Grüne schwer taten. Kritisch beleuchtet Struck die Kommunikation der damaligen Regierung in die SPD-Bundestagsfraktion hinein, deren Vorsitzender er war. Überhöhung und Pathos waren Struck immer fremd. Nachdenklich widmet er sich allerdings auch der Frage, welche Folgen der Einsatz hatte – für das Land wie für die Aufgaben der Bundeswehr. Als Fraktionsvorsitzender erlebt Struck auch den 11. September 2001, das Entsetzen der Weltöffentlichkeit und die politischen Konsequenzen. Er beschreibt das Ringen in der SPD-Fraktion um die Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz, weniger jedoch seinen eigenen Einsatz dafür, dass die Fraktion dem Einsatz schließlich mit Ausnahme einer Abgeordneten zustimmte.
Ein brummiger Chef
Als Struck Verteidigungsminister wurde, befand sich die Bundeswehr in einer Phase der Neuorientierung, allerdings ohne ein richtiges Ziel im Blick zu haben. Obwohl er zunächst nicht so recht begeistert war über die neue Aufgabe, fand er schnell Zugang zu den Soldaten, die sich wiederum einem zugewandten, brummigen Chef gegenübersahen, der vor allem eins im Sinn hatte: für sie da zu sein, Orientierung zu geben und ihre Interessen ernst zu nehmen. Genau diese Eigenschaften ermöglichten es ihm auch, die selbstbewusste und bisweilen schwierige SPD-Bundestagsfraktion unfallfrei durch die Regierungsjahre zu führen – zuerst in der rot-grünen Koalition, ab 2005 in der Großen Koalition. Er selbst sagte, wer Generäle führen könne, der komme auch mit Abgeordneten zu Rande. In Wirklichkeit hatte seine Art, den Fraktionsvorsitz auszufüllen, nie etwas Militärisches. Er wusste eben von allen, die dort saßen, was sie umtrieb. Er schnauzte auch mal herum – besonders bei endlos mäandernden Redebeiträgen – und sammelte anschließend versöhnlich alle wieder ein. Nach „außen“ – gegenüber Parteispitze und Regierung – ließ er auf seine Fraktion nichts kommen. Innen endete manche Standpauke (übrigens gerne auch an die Regierung) mit dem Satz „So läuft das hier!“.
Peter Struck gibt interessante Einblicke in das Leben eines Spitzenpolitikers: sinnlose Rituale auf internationalen Konferenzen; der plötzliche Druck, wenn in den Medien eine scheinbar unaufhaltsame Welle entsteht; die Hintergründe seines Krankenhausaufenthaltes und die verzweifelten Versuche, den eigenen Gesundheitszustand nicht zum Gegenstand öffentlicher Debatten werden zu lassen. Gleichzeitig ist das Buch eine Mahnung an die SPD als Regierungspartei. Es geht um die Fehler, die gemacht oder vermieden werden können. Und es geht um die selbstmörderischen Tendenzen, die die Partei dann phasenweise befallen.
Auf einige ehemalige Politiker aus der ersten Reihe der SPD, besonders auf Gerhard Schröder, wirft Peter Struck ein warmes Licht Seine Beschreibung offenbart aber auch – unbeabsichtigt –, dass da eine Generation in Verantwortung war, in der man sich untereinander oft misstraute und nie daran dachte, für die Zukunft vorzubauen; eine Generation, an deren egoistischen Ellbogenkämpfen die SPD noch heute laboriert, und der sie das Fehlen einer ganzen Altersgruppe verdankt. Dabei gehörte Struck ja gar nicht zu den Enkeln, aber – so läuft das halt. «
Peter Struck, So läuft das: Politik mit Ecken und Kanten, Berlin: Propyläen Verlag 2010, 320 Seiten, 19,95 Euro