Nach Berlin!
Spätestens seit der amerikanischen Präsidentschaftswahl wächst auch in Deutschland das Bewusstsein dafür, dass sich Russland mit aktiven Maßnahmen in die diesjährige Bundestagswahl einschalten wird. In einem gemeinsamen Bericht legten die amerikanischen Geheimdienste öffentlich Beweise dafür vor, dass Russland massiv in den US-Wahlkampf eingegriffen hat, vor allem durch das Hacken und Veröffentlichen interner Dokumente der Demokraten. Nach Überzeugung der Dienste wurde dabei das Ziel verfolgt, Donald Trumps Chancen durch Verunglimpfung von Hillary Clinton zu steigern und das Vertrauen in den demokratischen Prozess insgesamt zu untergraben.
Auch in Europa liegen seit langem deutliche Hinweise dafür vor, dass der Kreml systematisch versucht, auf innenpolitische Entwicklungen Einfluss zu nehmen. So besteht kein Zweifel mehr daran, dass Moskau rechtspopulistische und extremistische Gruppierungen unterstützt, um die freiheitlichen Ordnungen des Westens zu zersetzen. Die Präsenz staatlicher russischer Medien wie Russia Today ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen und beeinflusst in vielen europäischen Staaten den tagesaktuellen Diskurs – sowohl direkt als auch indirekt über weit verzweigte Informationsnetzwerke. Drastischer noch, aber weniger öffentlich bekannt, sind Cyberangriffe russischer Herkunft auf eine Reihe europäischer Länder.
Entsprechend warnt auch der BND davor, dass die Bundestagswahl durch russische Einflussnahme gestört werden kann. Dabei ist es, wie BND-Präsident Bruno Kahl in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte, nicht zwingend das Ziel Moskaus, einem bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Partei zum Sieg zu verhelfen. Vielmehr hätten die Täter „ein Interesse, den demokratischen Prozess als solchen zu delegitimieren. Egal, wem das nachher hilft.“
Deutschland im Fadenkreuz
Die Diskussion, wie unsere Demokratie besser gegen solche Angriffe geschützt werden kann, ist überfällig. Statt einer kurzatmigen und aktionistischen Debatte – wie jener über social bots – bedarf es einer möglichst umfassenden Abwehrstrategie, die die russischen Absichten und Einflussmöglichkeiten bei Wahlen in Deutschland transparent macht und wirksame Reaktionen ableitet.
Die Bundesrepublik ist im Fadenkreuz, weil Deutschland im Kontext der immer offeneren Konfrontation, die Russland seit einigen Jahren dem Westen aufzwingt, eine Schlüsselposition innehat. Dass der neue russische Revisionismus bislang auf eine einheitliche europäische und transatlantische Politik von Kritik, Ablehnung, Gegenwehr und Bestrafung traf, ist nicht zuletzt der Bundesregierung zuzurechnen. Mit vermutlich auch für Moskau überraschender Konsequenz antwortete Berlin auf die russische Aggression in der Ukraine und die Drohungen gegenüber weiteren Nachbarstaaten Russlands. Deutschland warf sein Gewicht hinter politische und wirtschaftliche Sanktionen, suchte mit Engelsgeduld Lösungen auf dem Minsker Verhandlungsweg, entsandte die Bundeswehr zur Sicherung des Baltikums und überzeugte zögerliche Europäer und resolutere Amerikaner vom Wert gemeinsamen Handelns gegenüber Russland.
Deshalb erscheint es nur folgerichtig, dass Deutschland im Visier des Kremls ist. Diesem bietet sich mit der anstehenden Bundestagswahl eine Gelegenheit, die deutsche Politik im Inneren so durcheinanderzuwirbeln, dass Deutschlands äußere Fähigkeit beschädigt wird, eine gemeinsame und werteorientierte Politik des Westens zu gestalten.
Die Strategie des Kremls
In vielem erinnern die Methoden dabei an jene, die bereits der KGB und die Stasi jahrzehntelang im Westen verfolgten, wie der Russland-Experte Boris Reitschuster in seinem Buch Putins verdeckter Krieg schreibt. So würden systemkritische Parteien ebenso unterstützt wie radikale Organisationen und es werde mit Leserbrief-Kampagnen beziehungsweise Troll-Attacken sowie Netzwerken in Politik und Presse Stimmung gemacht. Dabei verfolgt Moskau wohl eine abgestufte Strategie.
Erstens geht es darum, Angela Merkel maximal zu schwächen und Putin-freundliche Merkel-Kritiker wie Horst Seehofer, die Afd oder Sahra Wagenknecht zu stärken. Die Bundeskanzlerin ist für den russischen Präsidenten Wladimir Putin der Hauptgegner im Westen, zumal nach dem Amtsantritt Trumps. Die russische Strategie zielt darauf ab, sie im Wahlkampf gezielt zu diskreditieren. Solcherart im eigenen Land beschädigt, wäre Merkels Gewicht und Einfluss freilich auch auf der europäischen und globalen Bühne dezimiert. Neben der Kanzlerin werden sich möglicherweise auch einzelne russlandkritische Grüne und Sozialdemokraten direkten Angriffen vonseiten des Kremls ausgesetzt sehen.
Damit einher geht zweitens eine möglichst weitgehende Fragmentierung und Polarisierung der deutschen Parteienlandschaft. Dies geschieht in erster Linie durch die gezielte Unterstützung der AfD am rechten Rand sowie der Putin-treuen Linken um Wagenknecht. Solcherart Zersplitterung würde, so lautet vermutlich Moskaus Kalkül, die längerfristige Stabilität und Handlungsfähigkeit jeglicher neuen Bundesregierung in Frage stellen.
Drittens ist zu erwarten, dass der Kreml den Wahlvorgang als solchen in Zweifel ziehen und sein Ergebnis zu delegitimieren versuchen wird. Analog zu Trumps Strategie wird man versuchen, die Wahl als chaotisch oder gar vom politischen Establishment manipuliert darzustellen, um die Legitimation der demokratischen Kräfte zu untergraben.
Für die Entfaltung einer solchen Strategie der Einflussnahme, Unterwanderung und Zersetzung der bundesdeutschen Demokratie bieten sich dem Kreml viele Ansätze, weit mehr sogar als in den Vereinigten Staaten. Da gibt es neben unzähligen ehrlichen und oft kremlkritischen deutsch-russischen Initiativen leider so manche, die sich unter dem Deckmäntelchen der Völkerverständigung – und nicht selten aufgewertet durch deutsche Altpolitiker – bewusst in den Dienst der russischen Machthaber stellen. Da ist die Handvoll Wirtschaftsbosse, die die Abhängigkeit von russischen Energieträgern beschwört, die schrumpfende russische Wirtschaft zum unentbehrlichen deutschen Exportmarkt stilisiert und unverhohlen Handel ohne Wandel verlangt. Da sind die ideologischen Überlappungen zwischen Moskaus antiwestlichem Revisionismus, dem Anti-Amerikanismus der deutschen Altlinken und der EU-Skepsis oder gar EU-Feindschaft der neuen Rechten. Und da gibt es Teile der deutschen Bevölkerung, die aus Enttäuschung über die bundesrepublikanische Wirklichkeit offen sind für russische Einflüsterungen, wie so mancher Spätaussiedler oder Ostdeutscher.
Desinformation und Polarisierung
Die russische Einflussnahme wird sich aber nicht auf die Mobilisierung dieser vergleichsweise kleinen Minderheit „nützlicher Idioten“ beschränken. Stattdessen wird der Kreml versuchen, größere Teile der deutschen Bevölkerung in seinem Sinne anzusprechen, indem er sich in die thematisch aufgeheizten gesellschaftlichen Debatten einschaltet. Phänomene wie die anhaltende Krise der Eurozone, die Kriege vor Europas Haustür, der Flüchtlingsandrang oder der drohende Zerfall der EU verunsichern die Deutschen zutiefst und schüren Zukunftsängste – ungeachtet der guten wirtschaftlichen Lage der meisten Bürger. Der „Fall Lisa“ war ein eindrucksvolles Exempel der geballten Desinformationsmacht seitens Russlands.
Zentrales Element der russischen Einflussnahme wird sicherlich eine komplexe Desinformationskampagne mit dem Ziel sein, diejenigen politischen Stimmen in Deutschland zu isolieren, die sich kritisch gegenüber dem Kreml äußern. Zur direkten Diskreditierung werden vorhersehbar Daten-Leaks mit Informationen dienen, die russische Hacker bereits 2015 von den Bundestagsservern und anderswo erbeutet haben. Die Glaubwürdigkeit etablierter Medien soll untergraben werden, indem ihre Berichterstattung mittels einer Vielzahl „alternativer Fakten“, Falschmeldungen, „Stimmen aus dem Volk“ und angeblich unabhängiger Meinungsumfragen inhaltlich angezweifelt, negiert und somit vernebelt wird. Primäre Kanäle der Einspeisung von Desinformation sind sicherlich – neben globalen Plattformen wie Wikileaks – Moskauer Staatsmedien sowie deren deutschsprachige Arme Sputnik und Russia Today. Zur massiven Verstärkung und Verbreitung dieser Inhalte dienen dann soziale Medien, staatlich organisierte Trolle und social bots, aber auch russlandhörige deutsche Medien wie das Magazin Compact.
Damit befeuern besonders die sozialen Medien die politische Polarisierung. Dort werden Alarmismus, Radikalismus und Lügen verbreitet sowie Kommunikationsdynamiken maschinell manipuliert. Auf diese Weise lassen sich gesellschaftliche Stimmungen so überhöhen, dass der Eindruck einer fast revolutionären Unzufriedenheit mit dem Status quo entsteht. Dieses virtuelle Schüren von Empörung ermöglicht schließlich reale Mobilisierung – etwa zu Protestveranstaltungen, zur Aktivierung früherer Nichtwähler sowie zur Umsteuerung von Wählern von etablierten hin zu radikalen Parteien.
Schützenhilfe für die AfD
Daneben ist ebenso die analoge Einmischung Russlands in den Bundestagswahlkampf zu erwarten. Direkte Schützenhilfe, obgleich ausgesprochen diskret, wird hierbei in erster Linie der AfD zuteil. Bekannt ist bereits, dass Teile der Parteiführung einen regen Austausch mit russischen Stellen führen, von gegenseitigen Besuchen bis hin zur Partnerschaft der AfD-Jugend mit der Jugendorganisation der Putin-Partei Einiges Russland. Dabei erhält die AfD vermutlich strategische, analytische und technische Hilfe, möglicherweise auch verdeckte Finanzhilfe. Hinweise auf solche russische Unterstützung gab es bereits bei den Landtagswahlen in Berlin, wo die AfD gezielt russischsprachige Wähler umwarb, sowie in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Partei von obskuren Vereinen großzügige Sachspenden in Form von Wahlplakaten erhielt.
Besonders von Interesse dürfte für Moskau die große Gruppe der etwa drei bis vier Millionen russischsprachigen Menschen in Deutschland sein. Obwohl diese Umfragen zufolge in ihrer überwiegenden Mehrheit gut im Land integriert sind, konsumieren sie zu beträchtlichen Teilen ausschließlich russische Medien. Ein zentrales Einfallstor der Beeinflussung bietet vor allem die Flüchtlingsfrage, in der die russischsprachige Gemeinschaft die Politik der Bundesregierung mehrheitlich ablehnt. Zudem darf man davon ausgehen, dass auch die deutsche Position gegenüber Russland, nicht zuletzt die Sanktionspolitik seit der Krim-Annexion, von vielen Russischsprachigen eher skeptisch bis ablehnend betrachtet wird.
Die russische Einflussnahme auf die Bundestagswahl ist bereits in vollem Gange. Umso dringlicher sind jetzt zügige Gegenmaßnahmen. Sieben Punkte sind dabei vordringlich:
Erstens sollte Deutschland dem Problem mit Nachdruck und maximaler Transparenz begegnen. Dies ist nicht zuletzt die entscheidende Lehre aus der amerikanischen Präsidentschaftswahl. In den Vereinigten Staaten hat eine Mischung aus Zaghaftigkeit und Selbstgefälligkeit zu einer fatalen Beschädigung des demokratischen Prozesses geführt. Stattdessen sollten sämtliche Versuche russischer Einflussnahme – seien es Falschinformationen, persönliche Angriffe auf politische Akteure, Cyber-Attacken oder die verdeckte Unterstützung im Wahlkampf – umgehend öffentlich gemacht und polizeilich wie juristisch verfolgt werden.
Zweitens bedarf es einer klaren Übereinkunft aller demokratischen Parteien, sich gegenüber der russischen Einmischung nicht opportunistisch zu verhalten – in der Hoffnung, diese werde nur dem politischen Gegner schaden und die eigenen Wahlaussichten sogar verbessern. Die Integrität des Wahlprozesses und damit die Legitimität von Parlament und Regierung liegen im wohlverstandenen Interesse aller Demokraten und müssen von allen Beteiligten gemeinsam verteidigt werden. Deshalb sollte umgehend eine parteiübergreifende Vereinbarung geschlossen werden, jegliche Angriffe und Einmischung im Wahlkampf, wem immer diese schaden oder nutzen mögen, zu ächten.
Drittens sollten sich die Parteien ihre inhaltliche Schwerpunktsetzung im Wahlkampf nicht durch russische Desinformation und Einmischung verzerren lassen. Zwar werden sich internationale Fragen, Russland eingeschlossen, nicht vollständig ausblenden lassen, aber der klare Akzent sollte auf innen- und gesellschaftspolitischen Fragen liegen. Die vorrangigen Anliegen der Wähler und auch die Kernkompetenzen der demokratischen Parteien betreffen Themen der sozialen Gerechtigkeit, der inneren Sicherheit, der Integration, Bildung und Infrastruktur. Auf diese Inhalte sollten sich die Parteien daher konzentrieren.
Raus aus der Komfortzone!
Viertens müssen sich die Wahlkämpfenden verstärkt dorthin begeben, wo besonders ausgeprägte Nicht- und Protestwählerpotenziale liegen. Statt in ihren parteipolitischen Komfortzonen zu verharren und ganze Stadt- und Landesteile populistischen Rattenfängern zu überlassen, müssen die demokratischen Parteien wieder sehr viel flächendeckender Präsenz zeigen. Dabei sollte es nicht nur darum gehen, Stimmen für die eigene Partei zu mobilisieren, sondern grundsätzlicher darum, demokratisch gesinnte Bürger zum Wahlgang zu bewegen. Auch hierzu ist ein parteiübergreifender Entschluss denkbar.
Fünftens müssen sich die bundesdeutsche Politik und Debatte sehr viel stärker als bisher der beträchtlichen russischsprachigen Gemeinschaft im Land widmen. Der starke Einfluss russischer Staatsmedien in dieser großen Bevölkerungsgruppe ist politisch brisant und letztlich ein Hindernis für die bessere Integration der russischsprachigen Bürger. Spezielle Anstrengungen gegenüber dieser Gruppe sind dringend erforderlich, sowohl seitens der demokratischen Parteien als auch durch die öffentlich-rechtlichen Medien. Russischsprachige Informationsangebote für diese Gemeinschaft, ein verstärkter Austausch mit und innerhalb derselben, aber auch die genauere Wahrnehmung der Befindlichkeiten von Russischsprachigen können den starken Einfluss Moskaus zumindest eingrenzen.
Sechstens müssen alle demokratischen Parteien dringend ihre Kapazitäten in den sozialen Medien aufstocken. Bislang ist die AfD die einzige politische Kraft in Deutschland, die das Potenzial dieser Medien und Techniken systematisch nutzt. Sie alleine hat gegenwärtig fast so viele Facebook-Follower wie sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien zusammen. Über die derzeit dafür abgestellte Handvoll von Verantwortlichen hinaus ist hier professionelle Hilfe genauso notwendig wie die systematische Mobilisierung vor allem jüngerer, technikaffiner Mitglieder und Sympathisanten. Die demokratischen Parteien müssen in der Lage sein, die bestehende Hoheit undemokratischer Akteure in den sozialen Medien zumindest zu kontern.
Siebtens müssen staatliche wie auch mediale Kapazitäten zur Aufdeckung von Desinformationskampagnen und Cyberangriffen dringend verstärkt werden. Verschiedene europäische Staaten haben bereits darauf spezialisierte Einrichtungen geschaffen – in Deutschland dagegen hat die Diskussion hierzu noch kaum begonnen. Zudem benötigen die Qualitätsmedien zusätzliche technische und personelle Ressourcen, um Manipulationen im Cyberspace abwehren und diese investigativ verfolgen zu können. Letzteres ist – in Zeiten schwindender Medienressourcen - vermutlich am besten durch gemeinsame Rechercheteams und Fakten-Checks zu erreichen.
Aufs Ganze gesehen bedeuten diese und mögliche weitere Schritte nichts anderes als die zeitgemäße Erneuerung des Konzepts der wehrhaften Demokratie, welches der Bundesrepublik und Europa jahrzehntelang so gut gedient hat. Wie erforderlich dies ist, sollte nach dem für die offenen Gesellschaften des Westens so verheerenden Jahr 2016 offensichtlich sein.
(Dieser Text ist am 1. März 2017 als Online-Spezial-Beitrag der Berliner Republik erschienen.)