"Wir sind die geilste Partei der Welt"
Das Lieblingslokal der Deutsch-Britin Katarina Barley ist eine französische Brasserie. La Bonne Franquette in Berlin-Mitte sei ein „wirklich französisches Restaurant“, beteuert sie gleich zu Beginn unseres Abendessens. Und in der Tat: Alle Angestellten sprechen die Sprache, die verwendeten Lebensmittel stammen aus Frankreich, im Hintergrund laufen Chansons, und auf der Herrentoilette hängt ein Bild von Brigitte Bardot. „Ich bin nicht nur anglophil, sondern auch frankophil“, sagt Katarina Barley. Die Liebe zum Nachbarland entwickelte die promovierte Juristin 1989/90 während eines Studienjahrs in Paris – Abschluss: „Diplôme de droit français“. Heute lebt sie in der Nähe der französischen Grenze im Vierländereck zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg. Barley liebt die französische Lebensart, etwa dass die Franzosen viel Geld für gutes Essen ausgeben, „aber dafür schrumpelige Autos fahren“. In Deutschland lägen die Prioritäten oft genau anders herum.
Wie es sich für ein französisches Restaurant gehört, hat das La Bonne Franquette keine Speisekarte, sondern eine Tafel mit den Gerichten des Tages. Katarina Barley und ihr Pressesprecher Benjamin Seifert entscheiden sich für das Rinder-Tartare mit Süßkartoffel-Pommes. Wir bestellen das Kalbs-Kotelett und den Viktoria-Barsch. Als Vorspeise gibt es für alle eine Lauch-Karotten-Kartoffelsuppe.
Generalsekretärin der SPD ist Katarina Barley seit Dezember 2015. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Bilderbuchkarriere: Sie war Rechtsanwältin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, Richterin, Referentin im Justizministerium Rheinland-Pfalz. Im Jahr 2013 wurde sie für den Wahlkreis Trier in den Bundestag gewählt. Prägend waren für sie besonders ihre Karlsruher Jahre. „Ich hatte das Glück, dass meine Chefin zu den klügsten und weitsichtigsten Menschen gehört, denen ich in meinem Leben begegnet bin.“ Am obersten Gericht der Republik herrsche eine offene Diskussionskultur und im Übrigen eine gewisse Landschulheimatmosphäre, weil die meisten Mitarbeiter nur unter der Woche in Karlsruhe wohnen. Von den damaligen Kontakten profitiert Katarina Barley in ihrer politischen Arbeit bis heute. „Es ist schon hilfreich, ab und an mal einen Spitzenjuristen direkt anrufen zu können.“
Während wir die herzhaften französischen Gerichte genießen, kommen wir auf Barleys britischen Hintergrund zu sprechen. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist für sie ein emotionales Thema. Erst als sie 2013 als neue Bundestagsabgeordnete einen Diplomatenpass beantragte, erfuhr sie, dass sie als Kind ausschließlich die britische Staatsangehörigkeit gehabt hatte, weil Kindern damals automatisch die Staatsangehörigkeit des Vaters zugesprochen wurde. „Auch wenn andere das vielleicht nicht nachvollziehen können: Britin zu sein ist eine wichtige Verbindung zu meinem Vater, obwohl ich natürlich mehr Bezug zu Deutschland habe.“ Das Engagement in der deutsch-britischen Parlamentariergruppe und regelmäßige Reisen auf die Insel sind für sie eine Selbstverständlichkeit.
Umso größer war der Schock, als sich die Briten im vergangenen Juni für den Brexit entschieden – „ein Hammerschlag“. Barley hatte den Buchmachern vertraut, die durchweg auf den Verbleib in der EU gesetzt hatten. Leider beginne das Land sich nun deutlich zu verändern – und nicht zu seinem Besseren. „Wenn Osteuropäer in Großbritannien körperlich angegriffen werden und Teile der Bevölkerung das auch noch gut finden, erkenne ich mein weltoffenes Großbritannien nicht wieder.“ Für die anstehenden Austrittsverhandlungen befürchtet sie viel Frustration auf beiden Seiten. „Die verantwortlichen britischen Politiker sind noch immer planlos und glauben, die harte Haltung der EU sei nur Taktik.“ Ihrer Einschätzung nach wird am Ende der Verhandlungen keine „EU-Mitgliedschaft light“ stehen, sondern ein Freihandelsabkommen.
Womit wir beim Thema „CETA“ wären, der bisher schwierigsten Debatte ihrer bisherigen Amtszeit als Generalsekretärin. Dabei hat Barley viel gelernt: „Man kann andere Menschen überzeugen, wenn man mit offenem Visier kämpft.“ Mittlerweile spricht sie das umstrittene Thema auf öffentlichen Veranstaltungen sogar von sich aus an. „Ich bin nämlich überzeugt, dass die SPD als einzige Partei in Europa mit dem Freihandelsabkommen vernünftig umgegangen ist.“ Während Linkspartei und Grüne jedes kritische Argument aus der Zivilgesellschaft ungeprüft verstärkt hätten, sei die Union argumentfrei für das Abkommen eingetreten. Nur die SPD habe konstruktiv-kontrovers debattiert und dabei konkrete Verbesserungen erreicht. „Dass es einen internationalen Handelsgerichtshofs geben wird, ist doch revolutionär“, sagt Katarina Barley. Diese Art der „aufgeklärten Debatte“ sei geradezu zum Alleinstellungsmerkmal der SPD geworden. Auch deshalb seien zuletzt viele Menschen wieder in die Partei eingetreten – sogar schon vor dem Martin-Schulz-Effekt.
„Wir sind die geilste Partei der Welt und müssen das auch ausstrahlen.“ Katarina Barley kann solche Sätze sagen, ohne dass es peinlich wirkt. Wir wenden ein, dass die CETA-Debatte womöglich zugleich das Image verstärkt haben könnte, die SPD sei eine Regierungspartei wider Willen. „Ach, ihr denkt gleich wieder negativ – typisch Sozialdemokraten“, widerspricht Barley und lacht. „Alle müssen jetzt die Schultern zurücknehmen und den Kopf heben, dann brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.“ Martin Schulz lebe das mit seiner Leidenschaft und klaren Haltung vor. Das Ergebnis seien exzellente Umfragewerte und tausende Neumitglieder.
Der Barleysche Optimismus wirkt irgendwie ansteckend. Wir verzichten auf weitere kritische Einwände und wenden uns dem superleckeren Nachtisch zu. Und während wir Creme Brulée und Schokoladenmousse löffeln, erläutert Katarina Barley abschließend, wie die SPD 2017 die „modernste und effizienteste“ Kampagne aller Parteien führen wird. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf dem Tür-zu-Tür-Wahlkampf liegen. Damit haben Sozialdemokraten inzwischen viel Erfahrung. Ein digitaler „Mobilisierungsplaner“ wird über jeden einzelnen Stimmbezirk statistische Informationen bereitstellen, von denen die Konkurrenten nur träumen könnten. Derweil seien die Mitarbeiter der Wahlkampfzentrale bis in die Haarspitzen motiviert, auch weil Martin Schulz alle mitreiße.
Als Katarina Barley zu ihrem nächsten Termin eilt, lässt sie uns mit zwei zentralen Erkenntnissen zurück: Erstens liegt vor der SPD ein erfolgreiches Jahr. Und zweitens wird man von der klugen und charmanten Generalsekretärin dieser Partei noch viel hören. Darüber freuen wir uns schon jetzt.