Aber welche Freiheit meinen die Liberalen?

zu Christian Lindner, Freiheit und Fairness, Berliner Republik 2/2009

Im Editorial der Berliner Republik 2/2009 forderte Tobias Dürr einen „erwachsenen“ Verständigungsprozess über die ideenpolitischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den drei, seiner Meinung nach grundsätzlich dem Denken in Kategorien von Aufklärung und Fortschritt verpflichteten Parteien, den Sozialdemokraten, der FDP und den Grünen.


Im gleichen Heft hat der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FDP, Christian Lindner unter der programmatischen Überschrift „Freiheit und Fairness“ einen Beitrag veröffentlicht. Dieser bietet eine gute Gelegenheit, nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen liberalem und sozialdemokratischem Freiheitsbegriff zu fragen.


Der Freiheitsbegriff steht seit jeher im Mittelpunkt des liberalen Menschen- und Gesellschaftsbildes. Aber welche Freiheit meinen die Liberalen? Für sie sind im Zustand der fundamentalen Freiheit alle Menschen gleich. Sobald der Mensch aber von seiner Freiheit Gebrauch macht, stellt sich nach liberaler Auffassung Ungleichheit ein, da menschliches Handeln ungleiche Resultate hervorbringt.


Darüber hinaus dreht sich der liberale Freiheitsbegriff um die Institution des Eigentums. Die Freiheit des Menschen realisiert sich im freien Wettbewerb. Der Mensch ist frei als Eigentümer seines Lebens. Er nutzt seine Freiheit, indem er das, was er besitzt – in der Regel nur seine Arbeitskraft – auf dem Markt feil bietet. Während der soziale Freiheitsbegriff der SPD dem Menschen unabhängig von seiner Leistung Würde zuspricht und Freiheit immer als eine zu gestaltende Aufgabe der Gesellschaft begreift, schrumpft die Freiheit im liberalen Verständnis auf das unbehinderte Marktzugangsrecht. Hingegen weiß die SPD aus historischer Erfahrung, dass Freiheit an materielle Voraussetzungen gebunden ist, die der Wettbewerb nicht herstellen kann.


 „Ergebnis des Marktprozesses ist eine Ordnung der Leistungsgerechtigkeit“, schreibt Christian Lindner. Diese sei folglich ein „Zustand der Ungleichheit, da sich Leistungsfähigkeit und  -bereitschaft individuell unterscheiden und der Preisbildungsmechanismus zudem die relative Knappheit von Gütern und Dienstleistungen bewertet.“ Im Klartext heißt das: Dass Josef Ackermann im Jahr 2007 rund 14 Millionen Euro verdient hat und die Frau an der Kasse im Supermarkt nur 10.000 Euro, ist gerecht. Denn der Chef der Deutschen Bank ist nicht nur leistungsfähiger und leistungsbereiter, sondern seine Fähigkeiten stellen auf dem Arbeitsmarkt für Fachkräfte auch ein knappes Gut dar. „Deshalb muss Ungleichheit weiter gerechtfertigt werden“, so Lindner.

Wer scheitert, hat sich nicht angestrengt

Überhaupt besitzt soziale Ungleichheit im Konzept des Liberalismus eine konstitutive Funktion für die bürgerliche Gesellschaft. Individueller Erfolg beziehungsweie Misserfolg wird durch den Markt vermittelt und prägt die sozialen Differenzen der Gesellschaft. Insofern kann es nach liberalem Verständnis keine soziale Gleichheit geben. Die Verheißung des Liberalismus besteht nun darin, dass der Einzelne seine Freiheit stets von Neuem wahrnehmen und sich der Misserfolg von heute schon morgen in Erfolg umwandeln kann.


Wie erklärt die liberale Ideologie jedoch die Tatsache, dass Arbeiterkinder an den Universitäten krass unterrepräsentiert sind? Dass Armut immer häufiger von den Eltern auf die Kinder vererbt wird? Dass die sozialen Aufstiegschancen in Deutschland blockiert sind?


„Ungleichheit ist die Hefe im Teig der Marktgesellschaft.“ Sätze wie dieser müssen angesichts der sozialen Verhältnisse in Deutschland zynisch klingen. Doch dem Liberalismus zufolge ist für die Verwirklichung der Freiheit allein das Individuum verantwortlich. Scheitert es, hat es sich nicht genügend angestrengt. Zwar mag dies im Einzelfall stimmen, aber als gesellschaftspolitisches Konzept ist diese Antwort doch dürftig und dient letztlich dazu, Politik und Ökonomie aus der Verantwortung zu entlassen. Die soziale Frage wird de-politisiert und moralisiert. Staatliche Eingriffe dulden überzeugte Liberale nur, wenn unfaire Zustände die Chancen des sozialen Aufstiegs behindern und das freie Spiel der Marktkräfte wieder hergestellt werden muss.

Den Schwachen zu mehr Freiheit verhelfen

Wozu führt das konkret? Die Nachfrage nach Arbeit richtet sich nach dem Bedarf der Investitions- und Gütermärkte. Darauf hat der freie Arbeiter keinen Einfluss. Nach liberaler Lesart bleibt ihm nur die Chance, seinen Preis so weit zu senken, bis es dafür eine Nachfrage gibt. Sinkt der Preis der Arbeitskraft unter seinen Wert, soll der Staat die Differenz aufstocken. Dieses Prinzip hat dazu geführt, dass sich die Zahl der „Aufstocker“ verdreifacht hat, seit die Hartz-Reformen den Machtmechanismen auf dem Arbeitsmarkt Geltung verschafft haben.


Im Konzept der reinen Marktfreiheit ist keine Rede davon, dass Unternehmer und Arbeiter nicht die gleiche Verhandlungsmacht haben. Solange dies aber so ist, kann die Freiheit der Liberalen immer nur die Freiheit der Wenigen sein.


Wer mit einer Partei liebäugelt, die den Menschen zum „Arbeitskraftunternehmer“ degradiert und die Bildung nur noch als Investition in das Humankapital begreift, und wer auch sonst den Wert des Menschen auf seinen Marktwert reduziert, ist meilenweit von dem entfernt, was Willy Brandt in seiner Abschiedsrede als SPD-Vorsitzender am 14. Juni 1987 als Freiheit verstand:


„Der Kompass muss auf das eingestellt bleiben, was ich die unsere Bewegung tragende Idee nenne, nämlich, einer sich steigernden Zahl von Menschen Freiheit erfahrbar zu machen und dafür zu sorgen, dass die großen gesellschaftlichen Lebensbereiche von den Grundwerten der Demokratie und Gerechtigkeit durchdrungen werden. Und dass es vor allem Solidarität ist, die den Schwachen zu mehr Freiheit verhilft.“ 

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