Wenn sie sich freut, reibt sie sich die Hände - »Zur Kleinen Markthalle«
Susanne Gaschke hat sich während unseres Besuchs in der Kleinen Markthalle mal wieder richtig in Berlin verliebt. Eigentlich pendelt die Journalistin der Zeit zwischen ihrer Heimat Kiel und der Redaktion in Hamburg. Aber alle zwei Wochen besucht sie die Hauptstadt. „Ich bin das totale Anti-Globalisierungsmodell“, sagt Gaschke. Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist sie in Kiel. Dort hat sie auch studiert, und dort lebt sie bis heute. „In Kiel kenne ich meine drei, vier Kneipen. In Berlin stehe ich wie ein Kind in der Süßwarenabteilung.“ Gute Freunde haben sie und ihren Mann einst in die Kleine Markthalle mitgenommen. Seitdem war sie rund zehnmal hier und findet die Existenz der Kneipe angesichts des großen Berliner Angebots „entlastend“.
Die Karte ist übersichtlich. Fünf bis sechs deftige Fleischgerichte, zusätzlich ein paar vegetarische Angebote. „In dieser Kneipe weiß ich, was ich bekomme. Alles ist einfach und klar – ohne Umschweife. Und schau Dich um, hier gibt es kaum Laptops.“ Tatsache. Wir entdecken im Raum nur ein Notebook. Auf der Speisekarte der Kleinen Markthalle stehen zwei Klassiker: das „Krause Knusperhähnchen mit Brot“ für 6,50 Euro und „Schweinshaxe, Sauerkraut und Brot“ für 12 Euro. Die meisten Gäste bestellen den eigentlichen Hit: das „Hähnchen“. Wir auch.
Weil Susanne Gaschke aus Erfahrung weiß, dass es in der Küche etwas länger dauern könnte, nehmen wir vorab noch eine Portion Krautsalat (3 Euro) und einen Rote-Beete-Salat, der als Carpaccio mit Parmesan kommt (4,50 Euro). Die Wirtin, Frau Kraus, erklärt uns später, dass die Kleine Markthalle nach dem Motto „alles frisch“ arbeitet. Deshalb könne es schon mal ein paar Minuten dauern. Dieser Hinweis steht inzwischen auch auf der Speisekarte. Das Hähnchen ist zweckmäßig, weil es durstig macht. Außerdem ist es lecker. Frau Kraus erzählt, dass die Tiere aus Dänemark kommen und durch Frittieren geknuspert werden: „Wir haben uns das patentieren lassen.“
Mittlerweile sitzen wir vor dem zweiten großen Bier (3,60 Euro), und es geht uns gut hier. Das Lokal hat rund 50 Plätze und für die warmen Jahreszeiten einen Vorgarten. Dunkles Holz, hohe Decken und Rundbögen, die früher den Durchgang zur Markthalle bildeten, prägen den Innenraum. Die Halle wurde 1888 eröffnet, seit 1987 liegt die Wirtschaft in den Händen der Familie – erst beim Onkel, jetzt bei den Eheleuten Kraus.
Susanne Gaschke, Mitte 40, verheiratet, hat eine Tochter. Und viel zu tun. Bei der Zeit ist sie für die Kinderseite zuständig, für das Kindermagazin Leo, für ihre Kolumnen. Hinzu kommen zwei bis drei größere Reportagen im Jahr sowie Kinderbuch- und Kinderfilm-Editionen. Außerdem betreut sie den Kinder- und Jugendliteraturpreis LUCHS. „Ich bin viel mit Lesen beschäftigt“, sagte sie. „Meine Arbeit ist ein steter Kampf gegen die Bücherflut. Alles mit Glitter drauf fliegt schon mal raus.“ Vor ein paar Jahren unternahm sie einen kurzen beruflichen Ausflug zur Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „vielleicht aus Eitelkeit und wegen des Geldes.“ Dann überlegte sie kurz, ob sie einem Angebot von Theo Zwanziger folgen und politische Referentin beim DFB werden sollte. Doch Gaschke gehört zur Zeit. Die Rückkehr fiel ihr leicht.
Aber ginge es nach Susanne Gaschke, könnte die Zeit ruhig nach Berlin umziehen. „Hier passieren die interessanteren Sachen. In Hamburg ist es eiskalt, der Wind pfeift um alle Ecken, und in der Kaufmannsgesellschaft gehörst du niemals dazu.“ Natürlich ist diese Sichtweise in der Redaktion umstritten. Und gestritten wird bei der Zeit mit großer Leidenschaft. In letzter Zeit zum Beispiel über ein großes Interview mit Ex-Verteidigungsminister Guttenberg und über die Ausrichtung der Zeitung insgesamt. Denn: „Als Wochenzeitung brauchst du etwas, was die Leute nicht im Fernsehen gesehen oder in der Tageszeitung gelesen haben.“
Während unseres Gesprächs lerne ich einiges über die Arbeit bei einer Wochenzeitung. Es zeigt sich, dass ein großer Teil der journalistischen Arbeit darin besteht, an Konferenzen teilzunehmen: Ressortleiterkonferenz, politische Konferenz, „die“ Zwölf-Uhr-Konferenz am Freitag mit Helmut Schmidt. Gaschke sitzt häufiger neben dem Altkanzler und schenkt ihm Kaffee ein. Sie macht mir vor, wie sich Schmidt dann mit gefalteten Händen und einer kleinen Verbeugung bedankt. „Anschließend räuchert er alle ein.“
Apropos. Susanne Gaschke begleitet mich ins Hinterzimmer der Kleinen Markthalle. Dort darf man rauchen. Wir sitzen in zwei Clubsesseln, trinken einen Verdauungsschnaps, und die Redakteurin erzählt mir über ihre Arbeitstage. Ihre Artikel schreibt sie mit Füller – und schämt sich ein wenig zu erzählen, dass es ein „Montblanc“ ist. Erst in einem zweiten Arbeitsschritt tippe sie den Text in den Computer. Und sie sagt: „Für Facebook habe ich keine Zeit.“ Tausend andere Sachen seien ihr wichtiger, wie „Bücher, Sex, Rotwein, Innenausstattung“. Wenn sich Susanne Gaschke freut, reibt sie sich die Hände. Das passiert relativ oft, zumindest heute.
Früher war sie Mitglied der politischen Redaktion. Die Themen „Gesellschaftspolitik, Familie und deutsche Linke“ hätten sie immer schon interessiert. Mitglied der SPD ist Gaschke ebenfalls und macht daraus keinen Hehl. Allerdings sei es heute nicht einfach, als Journalistin einer Partei anzugehören. „Du wirst angeschaut, als ob du bescheuert bist – oder nicht objektiv. Aber welcher Journalist ist schon objektiv? Die sollen halt mal lieber meine Artikel anschauen!“
Gaschke ist – mal wieder – meinungsstark und direkt. Die SPD möge 2013 doch bitte Peer Steinbrück aufstellen. „Das ist der Mann, der die Mitte integriert, bei dem CDU-Wähler sagen können: ‚Den wähl ich!‘ Frau Merkel wird vor ihm nur so erzittern.“ Und die anderen potenziellen Kandidaten? Gabriel findet sie „total intelligent und total spannend“ – aber letztlich nicht vertretbar. „Ich wüsste nicht, was er niemals sagen würde.“ Und Steinmeier? „Bestimmt ein guter Außenminister.“
Wir bestellen noch eine „Feige Sau mit Frucht“ (5cl für 2,50 Euro). Bei der „Alt-Berliner-Spezialität“ handelt es sich um eine in Schnaps eingelegte Birne, die gut als Nachtisch durchgeht. Ab 22.30 Uhr setzt in der Kleinen Markthalle eine „Zahlungswelle“ ein. Hinter dem Kachelofen wird noch an zwei Tischen Doppelkopf gespielt. Solche Runden sind naturgemäß sehr mit sich selbst beschäftigt, die Spieler bleiben noch länger als wir. Insgesamt ist das Publikum in der Kleinen Markthalle bunt gemischt: ein paar Kreuzberger Alt-Achtundsechziger, jüngeres Volk, vereinzelt kleine Grüppchen von Touristen mit Fotoapparaten. Offenbar hat es die Kneipe in ein paar Reiseführer geschafft. Zu recht, finde ich. „Nervte aber nicht“, sagt Susanne Gaschke.