Aufwachen in der Kinderpolitik



In unserem Haus in einem bürgerlichen Berliner Stadtteil leben 13 Kinder im Alter zwischen einem und 14 Jahren. Bis auf die Mutter des jüngsten Kindes sind alle Mütter vollzeitbeschäftigt. In zwei Familien sind die Mütter die Haupternährerinnen der Familien, einer der Väter ist als Musiker überwiegend zu Hause, ein anderer arbeitet Teilzeit im Büro seiner Frau.

Eine Mutter ist alleinerziehend. Alle Kinder – bis auf das kleinste – kennen Kitas, Kinderfrauen, Horte und andere Betreuungsformen sowie Sportvereine und die Musikschule. In unserem Haus ist die aktuelle Debatte über die Betreuung von Kleinkindern überhaupt kein Gesprächsthema. Was uns angeht, könnte sie auf einem anderen Planeten stattfinden.

Verquaste Ausführungen, absurde Argumente

Familien im Alltagsstress sind immun gegen so verquaste Ausführungen wie jene von Bischof Walter Mixa, Christa Müller und Eva Herman. Nicht viel mehr können sie allerdings mit den sieben Kindern der Familienministerin Ursula von der Leyen anfangen: Sie wissen, wie viel Kraft man schon für die Erziehung eines einzigen Kindes benötigt. Kopfschüttelnd überfliegen sie beim Frühstück die Nachrichten über neue Betreuungsplätze – und organisieren nebenbei die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder. Während in den Talkshows mit absurden Argumenten das Für und Wider der „Fremd“betreuung ausgelotet wird, haben die Familien längst erkannt, dass es ohne qualifizierte berufstätige Mütter keinen bürgerlichen Lebensstandard mehr geben kann.

Dabei geht es nicht nur um das Scheidungsrisiko, das mittlerweile bei über 40 Prozent liegt. Einschränkungen im Unterhaltsrecht, die – zu Recht – dazu führen, dass geschiedene Frauen nach einer Weile wieder selbst für ihren Unterhalt sorgen müssen, zwingen die Frauen dazu, erwerbsfähig zu bleiben und nicht den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu verlieren.

Für Alleinverdiener-Ehen wird es eng

Selbst in guten Ehen, die ein Leben lang halten, ist die beste Altersvorsorge ein ordentliches Gehalt beider Ehepartner. Laut „Infobrief“ der Deutschen Rentenversicherung wird mein nominaler Rentenanspruch nach über 40 Beitragsjahren etwa ein Drittel meines jetzigen Nettogehalts betragen. Bei einer gefühlten – und von der Rentenversicherung unterstellten – Inflationsrate von 1,5 Prozent bleiben von diesem Betrag in 25 Jahren real 70 Prozent übrig. Damit wird meine Rente in einem Bereich liegen, der in der aktuellen Debatte regelmäßig als „Armutsgrenze“ bezeichnet wird. Für eine Alleinverdiener-Ehe wird es im Alter wirklich knapp.

Auch der deutsche Sozialstaat hat längst auf die berufstätige Mutter umgestellt. Die Definition der Erwerbsfähigkeit im Sozialgesetzbuch II geht von einer täglich dreistündigen Verfügbarkeit aus. Im System der Arbeitsverwaltung ist für Eltern mit Kindern ab drei Jahren die Kindererziehung kein Grund mehr, eine Erwerbstätigkeit abzulehnen. Einer der wesentlichen Effekte von Hartz IV ist die Überführung alleinerziehender Mütter aus der Sozialhilfe in das Arbeitslosengeld II – wo alle Aktivierungsinstrumente der Arbeitsmarktpolitik angewandt werden können.

Langfristig stagnierende Gehälter, hohe Scheidungsraten und die schrumpfende Alterssicherung machen die Doppelverdiener-Ehe für breite Teile der Gesellschaft völlig alternativlos. Eine bessere Kinderbetreuung kann den Familien die Umstellung auf das neue Modell erleichtern. Der Mangel an Kinderbetreuung erschwert den Alltag, wird diese Entwicklung aber weder verhindern noch umkehren. Denn Familien haben Anderes zu tun.

zurück zur Ausgabe