The World According to Gauck

EDITORIAL

Bundespräsident Gauck hat ein Anliegen. Ihn treibt die berechtigte Sorge um, wir Deutschen würden uns, obgleich ins Weltgetriebe verstrickt wie kaum eine andere Nation, zu wenig darum scheren, wie dieses Weltgetriebe im 21. Jahrhundert eigentlich weiter funktionieren kann. Was Joachim Gauck uns sagen will, ist wohl etwa dies: Mitbürgerinnen und Mitbürger, Deutschland ist ein starkes und intaktes Land, wir haben viel zu verlieren. Darum tun wir gut daran, immer mitzudenken, wie voraussetzungsvoll unsere erfreulichen Lebensumstände sind – und entsprechend zu handeln. Ob wir Deutschen auch in Zukunft noch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliches Wohlergehen genießen können, das hängt entscheidend davon ab, ob wir dazu beitragen, dass diese Verhältnisse auch anderswo möglich bleiben – oder überhaupt erst möglich werden. Darum lasst uns schon aus wohlverstandenem Eigeninteresse unser Möglichstes dafür tun, dass diese Welt nicht völlig aus den Angeln gerät.

Das ungefähr will uns Joachim Gauck raten. Und damit hat er Recht, denn die globalen Verhältnisse entwickeln sich in der Tat in bedrohlicher Weise. Es gibt nur ein Problem: Wann immer Joachim Gauck das Thema aufgreift, tut er dies so, dass bei vielen Menschen eine ganz andere Botschaft ankommt. Jüngst sagte er in einem Interview dies: „Ich habe das Gefühl, dass unser Land eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen sollte zugunsten einer größeren Wahrnehmung von Verantwortung. ... Es steht an der Seite der Unterdrückten, es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.“

Manchmal, ja. Warum in aller Welt trägt Joachim Gauck sein – nochmals – berechtigtes Anliegen dann aber so vor, dass die Kategorien „Wahrnehmung von Verantwortung“ und „Griff zu den Waffen“ geradezu als Zwillinge erscheinen müssen? Merkt er nicht, dass er mit eben dieser Zuspitzung das diskursive Feld sogleich all den bornierten Köpfen überlässt, die jegliche Weiterentwicklung des Nachdenkens über Deutschlands Rolle im globalen Geschehen unserer Zeit sabotieren wollen? Natürlich ist es armselig, wenn ein Linkspartei-Politiker Gauck sogleich als „Feldherr und Weltpolizist“ beschimpft. Oder wenn ein Publizist Gauck vorwirft: „Sein Thema ist der Krieg.“ Angesichts solcher Reaktionen darf sich der Bundespräsident vorsätzlich missverstanden fühlen. Aber er könnte in einer stillen Stunde auch zu der Einsicht gelangen, dass er mit seiner bisherigen Art, über deutsche Verantwortung in der Welt zu sprechen, der eigenen Sache schadet.

Genau das ist gefährlich. Denn natürlich brauchen wir darüber, wie sich die Welt wandelt und welche Rolle wir Deutschen dabei spielen sollten, noch viel mehr rigorose Debatten – in dieser Zeitschrift führen wir sie. Diese Diskussionen müssen, damit sie wirkliche Veränderung bewirken können, die denkbar größte Öffentlichkeit erreichen. Auf keinen Fall dürfen sie so angelegt werden, dass sich das Publikum schon verunsichert abwendet, bevor es überhaupt verstanden haben kann, worüber zu sprechen wäre. Denn gemeinsam werden wir Deutschen noch sehr viel Wandel zu begreifen haben.

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