Trumpocalypse Now?

EDITORIAL

Am dritten Sonnabend im November war die Redaktion dieser Zeitschrift gerade mit der Produktion des vorliegenden Heftes beschäftigt, da meldete sich aus Amerika Jedediah Purdy mit einer Nachricht auf Facebook zu Wort. „Wie es mir geht? Ich habe fast geweint, als ich meinem Neffen aus einem Kinderbuch vorlas. Mir fehlt Schlaf, mir fehlen die Augenblicke, in denen nicht viel auf dem Spiel steht.“

Purdy, ein junger Rechtsprofessor an der Duke University in North Carolina, ist einer der klügsten linksliberal-sozialdemokratischen Denker seiner Generation in Amerika. In diesem Heft ist er mit einem scharfsinnigen Review-Essay zum transatlantischen Phänomen des Populismus vertreten. Darin arbeitet er präzise heraus, worin die eigentliche Gefahr des neuen rechtspopulistischen Nationalismus besteht. Was Nationalisten vom Schlage Trumps so gefährlich macht, ist weniger ihr antielitäres Ressentiment als vielmehr der antipluralistische Charakter ihres aggressiv völkisch-weißen Ausgrenzungsnationalismus: Trump verkündet nicht nur, er vertrete „das Volk“; er maßt sich auch an zu bestimmen, wer seinem Einheitsvolk angehören darf und wer nicht: „Das einzig Wichtige ist die Vereinigung des Volkes – weil die anderen Menschen nichts bedeuten.“

Wenige Gesellschaften sind ethnisch, kulturell und weltanschaulich so vielfältig wie die amerikanische. Kein Wunder, dass sich bei den „anderen Menschen“ gerade Angst und Schrecken breitmachen. Jedediah Purdy erhielt von etlichen Freunden Antwort auf seine Nachricht. Von plötzlichen Tränenausbrüchen und Albträumen war in vielen davon die Rede, von ohnmächtiger Rastlosigkeit und düsteren Befürchtungen. „Ich bin finster entschlossen und stelle mich auf einen langen Kampf ein“, antwortete jemand.

Tatsächlich sind die Zeiten unsicher, gefährlich und bitter ernst geworden. Verdammt viel steht jetzt auf dem Spiel, auch bei uns in Europa – mehr als wir uns üblicherweise klar machen. Die Benennung des kommenden Jahres 2017 als „Schicksalsjahr“ mögen manche vielleicht ein bisschen dick aufgetragen finden. Wer sich aber die in dieser Ausgabe zusammengetragenen Risiken, Gefahren und Herausforderungen des kommenden Jahres – gerade in ihren möglichen Wechselwirkungen – aufmerksam vor Augen führt, kann jede andere Bezeichnung eigentlich nur für untertrieben halten.

Es geht also nicht nur um Trump – aber um das „Prinzip Trump“ mit besonderer Dringlichkeit. „Nie war es wichtiger, Machtmissbrauch mit jedem zur Verfügung stehenden friedlichen Mittel zu bekämpfen“, schreibt Jedediah Purdy. „Wir müssen politische Alternativen zum Trumpismus aufbauen, solange wir noch können.“ Genau so ist es.

Wo das Erfreuliche bleibt? Nun, nächster Bundespräsident wird voraussichtlich ein langjähriger Mitherausgeber dieser Zeitschrift. Darüber freuen wir uns sehr – auch wenn Frank-Walter Steinmeier seine Verbindung zur Berliner Republik dann möglicherweise ruhen lassen muss. Viel wichtiger ist die tiefe Erleichterung darüber, dass die Wahrnehmung des höchsten Staatsamts unserer Republik in den schwierigen nächsten Jahren in guten progressiven Händen liegen wird.

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