Rot-gelb-grüne Perspektiven?

EDITORIAL

„Lagerbildung macht dumm, nicht klug“, schrieb unlängst der seinerseits kluge grüne Vordenker Ralf Fücks. Sie langweilt auch, möchte man ergänzen. Eine der spannendsten Fragen der zeitgenössischen deutschen Politik ist deshalb, ob es ihren Akteuren in den kommenden Jahren gelingen wird, überkommene Blockaden abzubauen, für die es im Grunde längst keine plausible Rechtfertigung mehr gibt. Alles verändert sich: ökonomisch, gesellschaftlich, kulturell – nur die ollen politischen Lager sollen jeden Wandel der Verhältnisse überdauern? Das versteht out there kein Mensch mehr. Ein wichtiger Unterfall des Problems ist die Frage, ob die drei grundsätzlich dem Denken in Kategorien von Aufklärung und Fortschritt verpflichteten Parteien – also Sozialdemokraten, Freie Demokraten und Grüne – einen angemessen erwachsenen Verständigungsprozess über ihre ideenpolitischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Gang bekommen. Gewiss, demokratische Parteien leben von Identität und Abgrenzung – aber ebenso sehr von ihrer Fähigkeit zu Kooperation und Kompromiss. „Probebohrungen“ (Paul Nolte) auf der Suche nach Schnittmengen sind schon aus purer intellektueller Neugier überfällig. Ob darauf machtpolitische Optionen folgen werden, ist ein anderes Thema. Völlig ausgeschlossen ist dieser Fall im merkwürdigen Wahljahr 2009 aber nicht. Und dann wären Kenntnisse übereinander, vielleicht sogar eine gewisse Vertrautheit im Umgang miteinander jedenfalls nicht von Nachteil. Um noch einmal Paul Nolte zu zitieren: „Sitzt man einmal zusammen, sollte man vorher wissen, womit man das Gespräch beginnt und womit besser nicht.“ So ist es.

Als progressives Tendenzorgan unternimmt die Berliner Republik derzeit den Versuch, diesen Einsichten Rechnung zu tragen. Im vorigen Heft machte sich auf unseren Seiten der Politologe Jens Hacke auf die Suche nach sozialliberalen Perspektiven für unsere Zeit. In dieser Ausgabe greifen unsere Suchbewegungen weiter aus. Dabei kommt neben dem Historiker Paul Nolte auch der grüne Vordenker Peter Siller zu Wort, der die Möglichkeiten und Hindernisse rot-gelb-grüner Fortschrittspolitik aus der Perspektive seiner Partei bewertet. Auch Siller kommt mit Blick auf das Verhältnis zur FDP zu dem Ergebnis: „Beides – Analyse und Gespräch – wären notwendig, um nicht völlig unvorbereitet in die eher unwahrscheinliche Ampel zu stolpern. Dabei geht es weniger um die Entdeckung von Gemeinsamkeiten, die es nicht gibt, als um eine gemeinsame Reflexion auf Themenfeldern, die für beide Seiten von inhaltlichem und strategischem Interesse sind – im Bewusstsein der Divergenzen.“ Abgerundet wird die Suche nach progressiven Anknüpfungspunkten in diesem Heft daher durch einen Essay von Christian Lindner, in dem der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FDP sein Bild einer liberalen Politik für Freiheit und Fairness entfaltet. Dass Rote, Gelbe und Grüne im Hinblick auf die Begriffe „Teilhabe“ und „Lebenschancen“ Gemeinsamkeiten finden könnten, wie Paul Nolte meint, wird durch die verschiedenen Beiträge keineswegs widerlegt. Wichtig wäre aber, über die bloße Mutmaßung hinaus einfach einmal ins direkte Gespräch zu kommen.

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