Die ganze Bäckerei
„Wir wollen nicht ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei.“ So heißt eine Losung aus den siebziger Jahren, die an einer der stählernen Yorck-Brücken im Berliner Stadtteil Schöneberg noch immer zu lesen ist. Bei Licht betrachtet handelt es sich bei dem alten Sponti-Spruch um ein hoch aktuelles Motto. Sämtliche sozialdemokratischen und grünen Kampagnenstrategen sollten es sich unbedingt dick und fett an die Wände ihrer war rooms schreiben, wenn sie daran gehen, ihre strategischen Grundlinien für den Bundestagswahlkampf 2013 festzulegen.
Das jedenfalls ist die Empfehlung, die die Autoren unseres Strategie-Schwerpunktes in diesem Heft der SPD und den Grünen auf den Weg geben: Lasst auf keinen Fall zu, so schärfen sie Rot-Grün ein, dass auch nur im Ansatz der Eindruck entsteht, 2013 gehe es um weniger als die vollständige Ablösung der schwarz-gelben Bundesregierung! Nennt den Bürgern klar und nachvollziehbar die Gründe, weshalb es allerhöchste Zeit ist, die seit 2009 so unsäglich trostlos vor sich hin dilettierende Regierung Merkel in den Ruhestand zu schicken! Agiert dabei mit klug verteilten Rollen, aber immer eindeutig in gemeinsamer Richtung und mit gemeinsamem Ziel! Und: Seid um Himmels willen unerschrocken!
Alle diese Empfehlungen an Rot-Grün treffen ins Schwarze. Denn klar sollte ja sein: Sobald sich die Entschlossenheit der rot-grünen Opposition, Schwarz-Gelb komplett abzulösen, auch nur im Mindesten anzweifeln ließe, würde die gesamte rot-grüne Regierungsperspektive augenblicklich in sich zusammenfallen. Sollten also Sozialdemokraten im Wahlkampf (oder überhaupt) mit einer erneuten Juniorpartnerschaft unter Angela Merkel liebäugeln oder sich auf irgendwelche Ampelspekulationen einlassen, sollten wiederum Grüne eine zukünftige Koalition mit CDU und CSU als ebenfalls irgendwie noch hinnehmbare Option avisieren – um die Mehrheitsfähigkeit von Rot-Grün wäre es umgehend geschehen. Gesellschaftliche Dynamik und wahlpolitische Mobilisierung lassen sich nur für die eindeutige Perspektive der Ablösung von Schwarz-Gelb in Gang bringen.
Allein mit dieser eindeutigen Dynamik und Mobilisierung zugunsten von Rot-Grün lässt sich zugleich Angela Merkels gefürchtete Wunderwaffe aushebeln: die „asymmetrische Demobilisierung“, in diesem Heft kompetent analysiert von Ralf Tils. Übersetzt bedeutet „asymmetrische Demobilisierung“ nichts anderes, als dass Merkels Getreue im Wahljahr 2013 erneut alles daran setzen werden, Politik und Gesellschaft in Deutschland einzuschläfern: zum einen ihre eigene Partei und deren Milieus, zum anderen aber – und vor allem – die potenzielle sozialdemokratische und grüne Wählerschaft. So vollständig langweilig, so nichtssagend und mutmaßlich harmlos will Merkel daherkommen, dass ihre Gegner gar nicht erst „ins Kämpfen kommen“ (Tils), weil sich dazu ganz einfach kein Anlass und Aufhänger finden lässt.
Ginge Angela Merkels Rechnung auf, dann hätte sie am Ende zwar ihre eigene, sowieso bereits bis zur Unkenntlichkeit entkernte Partei weiter entkräftet. Aber noch weitaus geschwächter stünde die SPD da. Und Merkel bliebe in der Bäckerei die Chefin. Sozialdemokraten und Grüne sollten das ebenso zynische wie egozentrische Kalkül der Kanzlerin beherzt durchkreuzen. In diesem Heft steht, wie das geht.