Überleben lernen von der PDS
I. Wann sind, was macht Parteien stark? Wilhelm Hennis, der kluge Politologe der Bonner Republik hat die Frage prägnant beantwortet: "Kraftvolle Parteien sind das Ergebnis kraftvoller Anstöße, die sich aus historischen Lagen ergeben." So gesehen gibt der Zustand der deutschen Parteien und des Parteiengefüges am Beginn jener noch ganz undefinierten historischen Phase, die man gleichwohl bereits auf den - vorläufig erst einmal mit beliebiger Bedeutung aufladbaren - Begriff der "Berliner Republik" bringt, allen Anlass, über den Sinn dieses knappen Satzes aufs Neue nachzudenken. Denn ganz offensichtlich treten die Parteien, die über Jahrzehnte die politischen Geschäfte des Gemeinwesens besorgt haben, in einer Verfassung in die neue Periode ein, die man als "kraftvoll" nicht im Ernst wird bezeichnen mögen.
Die SPD, nach einer langen Ära perspektivloser Opposition gerade im letzten Jahr mit Aplomb an die Macht zurückgekehrt, taumelt bei den Regionalwahlen des Herbstes 1999 von einer schweren Niederlage in die nächste. Umgekehrt ist der Sturmlauf der Christdemokraten von Essen bis Erfurt, von Saarbrücken bis Sachsen ohne Zweifel weniger Ausdruck wiedererlangter eigener Kraft als Spiegelbild und Korrelat der sozialdemokratischen Misere. Die zur sektiererischen Bekenntnisgemeinde herabgesunkenen Freidemokraten, zwischen 1949 und 1998 länger am Regieren der Republik beteiligt als jede andere Partei, befinden sich scheinbar endgültig in nicht mehr umkehrbarer Zerrüttung. Die Grünen, zur Institution geronnener Überrest der vor vielen Jahren einmal vitalen Frauen-, Friedens- und Ökologiebewegungen, dämmern ihrem schleichenden Niedergang als museale Erinnerungsgemeinschaft altwestdeutscher Alternativkultur entgegen.
Bleibt die PDS. Auch sie erschien in den Jahren nach 1990 auf den ersten Blick als Partei ohne Aussicht. Zwar in den neuen Bundesländern einstweilen hinzunehmen als politisches Auffangbecken für den zur reeducation ungeeigneten harten Kern der aussterbenden DDR-Dienstklasse, war die PDS in der Wahrnehmung der weitaus meisten westdeutschen Beobachter doch bloß ein ostdeutsches Übergangsphänomen. Als Modell für ihre bevorstehende Entwicklung galt das Schicksal der Vertriebenenpartei BHE, die in den fünfziger Jahren zunächst als Interessen- und Protestpartei der verelendeten "Heimatvertrieben und Entrechteten" erfolgreich gewesen war, im Verlauf der wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung ihrer Klientel in Adenauers Wirtschaftswunderrepublik dann aber schnell wieder von der Bildfläche verschwand.
Doch dieser Vergleich hatte von Anfang an den Nachteil, schief zu sein und deshalb den Blick auf die originären Ressourcen zu verstellen, aus denen die PDS in Wirklichkeit ihre Stärke schöpfte. Immerhin richtig war die Interpretation der Partei als durch und durch ostdeutsches Phänomen. Für das Produkt "Soziale Gerechtigkeit" war im Westen in der Tat die SPD die weitaus besser eingeführte Traditionsmarke. Für eine in ideologischer Hinsicht sozialistische Partei links von der Sozialdemokratie wiederum fehlte in den neunziger Jahren jede gesellschaftliche Nachfrage. Und selbst wenn es diese Nachfrage gegeben hätte - ausgerechnet die PDS wäre schwerlich in der Lage gewesen, sie zu befriedigen.
Denn die PDS war "ostig" - mit je unterschiedlicher Konnotation sowohl aus westlicher wie aus östlicher Sicht. Sie war und ist die politische Verkörperung jener in vierzig Jahren DDR gewachsenen ostdeutschen Eigenkultur und Mentalität, die Ostdeutschland noch immer bis hinein in Details wie Sprachmuster und Kleidungsvorlieben, typische Physiognomien und gängige Vorurteilsstrukturen von der alten Bundesrepublik unterscheidet. Natürlich ist das alles im Wandel. Und gewiss handelt es sich bei diesen Unterschieden immer auch um die kollektiven Selbst- und Fremdzuschreibungen, derer Gruppen von Menschen zur Bestätigung ihrer Identität nun einmal zu allen Zeiten bedurft haben und bedürfen. Gerade einigen Reformern an der Spitze der PDS wie dem Parteiintellektuellen André Brie war denn auch die schiere lebensweltliche "Ostigkeit" ihres politischen Heimatvereins nach ein paar Jahren eher peinlich: Sie wollten weg vom Image der Kunstlederjacken und Kassenbrillen, sie wollten modern sein, eine "bunte Truppe", sozialistisch und gesamtdeutsch. Sie wollten, wie es Brie 1996 formulierte, "in der Bundesrepublik ankommen".
Das war überraschend undialektisch gedacht für einen Sozialisten, und heute müsste Brie eigentlich ziemliche Erleichterung darüber verspüren, dass sein Versuch, gegen die provinzielle Enge und Miefigkeit seiner ostdeutschen Traditionskompanie eine innerparteiliche Kulturrevolution anzuzetteln, folgenlos versandet ist. Denn im Westen ankommen kann die PDS am Ende paradoxerweise nur dann, wenn sie die eigentlichen Quellen ihres Erfolgs in Ostdeutschland nicht mutwillig austrocknet. Ob sie das tut oder nicht, mag dabei ihre Sache sein. Doch zu verstehen, warum die PDS dort so dauerhaft stark ist und andere Parteien so wenig stabil, dürfte auch für deren ratlose Repräsentanten von Interesse sein. Das Phänomen PDS könnte erklären helfen, warum überhaupt der Grund unter den Füßen der Parteien so verteufelt schwankend geworden ist - und das nicht nur in Ostdeutschland.
II. Tatsächlich steht die PDS am Beginn der Berliner Republik in einer sehr grundsätzlichen Hinsicht besser da als jede der Parteien des alten Bonner Verfassungsbogens. Zwar sind ihr die in vierzig Jahren gewachsenen Lebenswelten des alten Westens der Republik notwendigerweise noch immer eher fremd. So wenig die Parteien der Bonner Republik die symbolische und kulturelle Signatur des Ostens entschlüsseln können, so wenig kann die PDS wirklich die Welt der Westdeutschen in ihrer Bedeutungsgänze ermessen. Damit fehlt der Ostpartei zwar nach wie vor die entscheidende Voraussetzung zur Etablierung als gesamtdeutsche sozialistische Partei, was man für ihre Schwäche halten mag. Tatsächlich aber bedeutet gerade diese vermeintliche Schwäche die eigentliche Stärke der PDS. Als Ergebnis des kraftvollen Anstoßes der deutschen Vereinigung und der historischen Lage des Vereinigungsprozesses ist paradoxerweise ausgerechnet mit der Nachfolgerin der bankrotten SED tatsächlich eine - ganz in Hennis′ Sinne - "kraftvolle" Partei entstanden.
Auch noch zehn Jahre nach der staatlichen Vereinigung der beiden Teile Deutschlands ist die Auseinandersetzung um die Modalitäten der Transformation des "Beitrittsgebiets" in jedem Falle die eindeutigste und anschaulichste der Konfliktlinien, die die Gesellschaft der Republik durchziehen. Die Perspektive der schnell zu vollendenden "inneren Einheit" ist geblieben, was sie von Anfang an war: die Illusion einer in historischen Dingen naiven (oder, weniger wohlwollend, schlicht verantwortungslosen) Kaste politischer Gesundbeter. Klar und deshalb auch unmittelbar sinnfällig verläuft der gefühlte Riss auch weiterhin mitten durch das Land. Von der diffusen Sehnsucht des Ostens nach Heimat, Kontinuität und erdiger Identität in Abgrenzung zum Westen lebt die PDS, und das nicht schlecht. Denn in geradezu idealtypisch eindeutiger Weise bezieht die Partei ihre Legitimation erfolgreich daraus, ein Konglomerat von "Ostinteressen", Mentalitäten und Ressentiments kongenial zu vertreten und widerzuspiegeln, deren Aktualität und Bedeutung nur die wenigsten in den neuen Bundesländern bestreiten würden - selbst diejenigen nicht, die der PDS bei Wahlen ihre Stimmen nicht geben.
Als "normal" gilt die PDS in den neuen Bundesländern ja nicht etwa deshalb, weil der deutsche Osten besonders sozialistisch gesinnt wäre oder "links". Das glauben, in kurioser Eintracht, nur die in ihren historisch-materialistischen Denkmustern verfangenen Eliten der PDS selbst sowie die hysterischeren ihrer Gegner, welche der Ostpartei immerfort ihren "Linksextremismus" nachzuweisen trachten. Doch darum geht es gerade nicht. In der PDS mögen überspannte Menschen abstrusen Ideen nachhängen - das kann man sehen, wie man will. Aber wenn die Partei 1999 von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt, dann hat das mit Ideen, guten oder schlechten, nicht allzu viel zu tun. Die Erfolge und die elektorale Stabilität der PDS kommen im Gegenteil daher, dass die Partei in Ostdeutschland - im Unterschied zu jeder anderen Partei - dauerhaft und eindeutig zum Land und zu seinen Leuten gehört. Den Osten wahlweise zu "blühenden Landschaften" oder zur "Chefsache" zu machen, das verspricht bald der eine Bundeskanzler und bald der andere - aber das sind bloß Worte, westdeutsch, fremd und austauschbar. Als wirklich berechenbar, beständig und "von hier" erscheint allein die PDS.
Aus dieser Grundkonstellation heraus konnte sich die Partei als politischer Arm des ostdeutschen Sonderbewusstseins etablieren. Weil es die Ost-West-Dimension des politischen Konflikts nun einmal unbestreitbar gab, war die Rolle einer "Ostpartei" im gesamtdeutschen Parteienspektrum nach 1989 von vornherein objektiv zu besetzen gewesen. Und weil notwendigerweise nur eine Nachfolgepartei der SED die materiellen Ressourcen, das organisatorisch beschlagene Personal, die sozialen Netzwerke, die emsigen Scharen rüstiger Frührentner, den heimatlichen Sprachduktus sowie die habituellen und mentalen Voraussetzungen dafür aufbieten konnte, war auch nur die PDS im Stande, diese Ausgangslage politisch zu nutzen.
Hier also liegt der Kern des Erfolgs der PDS in den letzten zehn Jahren, ohne den es die Partei heute schwerlich noch gäbe. Erst einmal konstituiert, konnte sie dann allerdings zunehmend auch auf all die anderen praktischen Hilfsmittel zurückgreifen, mit denen die bundesdeutsche Parteiendemokratie sich ihre Ressourcensicherheit garantiert. Zur weiteren institutionellen Festigung jedenfalls verhalf der PDS ein ganzes Bündel von Umständen, die einander in ihrer Wirkung wechselseitig bestärkten: Schon der bloße Umstand, dass es die Partei nun einmal gab, verschaffte ihr die Möglichkeit der Selbstdarstellung in den Medien, was der PDS umso besser zupass kam, als sie mit dem pfiffigen Gregor Gysi einen wie für die Fernsehdemokratie geschaffenen Frontmann besitzt. Dass sie bei Wahlen erfolgreich war, verhalf ihr zu den Mitteln der staatlichen Parteien- und Fraktionsfinanzierung, zu schönen Abgeordnetenbüros und Mitarbeiterstellen. Dass sie von der Union als Partei "roter Socken" dämonisiert wurde, trug letztlich nur zur Schärfung des positiven Robin-Hood-Images der PDS bei. Und dass ostdeutsche Sozialdemokraten die PDS schließlich der Union als Kooperationspartnerin vorzogen, brachte der PDS obendrein das zusätzliche Prestige (und die ministerialen Planstellen) der regierenden Partei ein, ohne darüber bereits ihren Nimbus der Andersartigkeit und Widerborstigkeit über Gebühr in Mitleidenschaft zu ziehen.
So gedieh die PDS. Und hat sich eine Partei erst einmal festgesetzt im staatlich finanzierten Kernbereich der deutschen Parteiendemokratie, dann muss sie sich schon über längere Zeit besonders tollpatschig anstellen, um ihren institutionellen Fortbestand aufs Spiel zu setzen. Zwar ist der Untergang eingeführter parteipolitischer Markennamen in Deutschland möglich, die Regel ist er aber nicht. Wer erst einmal da ist, hat seit der Konsolidierung des bundesdeutschen Parteiensystems in den fünfziger und sechziger Jahren die Tendenz zu bleiben. Weit schwerer als das Im-Rennen-Bleiben ist dagegen der Anfang. Den hat die PDS hinter sich. Jetzt kann sie weiter sehen.
III. Wofür also steht der Fall PDS? Neue politische Parteien kommen gegen den verständlichen Widerstand und das Beharrungsvermögen der bereits existierenden Konkurrenten regelmäßig nur dann auf die Beine, wenn sie eine wirklich originäre Kraft besitzen, wenn sie einem in der Gesellschaft tatsächlich relevanten Konflikt politischen Ausdruck verleihen - wenn sie also gleichsam die geborenen Agenten und Akteure offensichtlicher "historischer Lagen" (Hennis) sind. Für Parteien, auf die diese Charakterisierung zutrifft, ist dann auch die Fünf-Prozent-Sperre (oder die Direktmandatsklausel) des deutschen Wahlrechts nicht zu hoch. Dagegen haben sektiererische Kopfgeburten ohne Ort und Anker in der gesellschaftlichen Konfliktstruktur keine Chance: Am Reißbrett lassen sich Parteien nicht erfinden.
Noch jede der im Bundestag vertretenen Parteien ist in diesem Sinne als politischer Arm einer vitalen gesellschaftlichen Bewegung entstanden, deren Zeit gekommen war: Die Sozialdemokratie erwuchs in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts als politischer Arm des dramatisch wachsenden Industrieproletariats. Die Christdemokratie als Nachfolgepartei des politisierten deutschen Katholizismus kann ihre Wurzeln bis in den preußischen Kulturkampf zurückverfolgen. Und selbst noch die heutige FDP steht, wie gebrochen und degeneriert auch immer, in der Kontinuität der einstmals stolzen Bewegung für Verfassung, Reichseinheit und bürgerliche Freiheitsrechte. Die drei Traditionsstränge des bundesrepublikanischen Parteiensystems der sechziger und siebziger Jahre spiegelten letztlich diese ursprünglichen politischen "Familien" wider.
Auch das plötzliche Auftauchen der Grünen in den Parlamenten vor zwanzig Jahren ging nicht auf die Ideen irgendwelcher Fischers, Schilys oder Ditfurths zurück. Deren Erfolg war vielmehr umgekehrt die Folge davon, dass die Friedens-, Frauen- und Umweltthemen die deutsche Gesellschaft nun mit Macht ergriffen hatten. Von den etablierten Parteien törichterweise zunächst als "Randgruppen" abgetan, waren die zotteligen Ökologen und Pazifisten in Wirklichkeit die Repräsentanten einer neuen und großen "postmateriellen" Konfliktdimension des Politischen. Einerseits polarisierte das "Postmaterielle" die Gesellschaft tatsächlich, andererseits konnten (oder wollten) es die bereits bestehenden Parteien nicht inkorporieren - erst dieser Zusammenhang machte die Grünen unvermeidlich.
Wie den Grünen seit den späten siebziger Jahren, so war es allen heute noch bestehenden Parteien irgendwann einmal gegangen: Auch das "Soziale", das "Konfessionelle" oder das "Freiheitliche" hatten sich im letzten Jahrhundert auf diese Weise ihren Weg in die Politik gebahnt. Und in ähnlicher Weise, als politische Repräsentantin einer zur Selbstbehauptung entschlossenen "Ostidentität", die sie ihrerseits reproduzierte, hat sich eben auch die PDS im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens für viele unerwartet als kraftvolle Partei erwiesen - in mancher Hinsicht sogar als die einzige kraftvolle der gegenwärtig in deutschen Parlamenten vertretenen Parteien.
Denn dies eben, die auf einer klaren gesellschaftlichen Konfliktlage beruhende Bindung an die ganz bestimmten sozialen, konfessionellen, regionalen oder kulturellen Gruppen, Mentalitäten und Interessenlagen, denen sie ihre Entstehung verdanken, hat sich bei sämtlichen anderen Parteien gelockert. Die klassischen Konfliktlagen sind dahin, die harten Kerne der ursprünglichen Anhängerschaften schmelzen zusammen. Das traditionelle Industrieproletariat ist ebenso verschwunden wie der alte Mittelstand; ein selbständiges Bauerntum gibt es in Deutschland faktisch nicht mehr. Und auch ob einer katholisch ist oder evangelisch, hat nur noch wenig Prägekraft. Selbst der als säkulare Veränderung avisierte Postmaterialismus hat als Bestimmungsgrund für Wahlverhalten offenbar bereits wieder ausgespielt. Soziale Lagen oder Mentalitäten, aus denen sich die parteipolitischen Orientierungen gleichsam deterministisch ableiten ließen, gibt es immer weniger.
Zwar mögen Parteien in verblüffendem Maße zur Anpassung an sich wandelnde Umstände im Stande sein, wie nicht zuletzt der Erfolg des Prinzips Volkspartei in der Bundesrepublik belegt. Doch schon die Volksparteien bedeuteten einerseits das Verschwimmen von weltanschaulicher und sozialer Identität und blieben doch andererseits angewiesen auf die Loyalität vor-volksparteilicher Kernwählermilieus. Was aus den Volksparteien wird, wenn sich auch diese Milieus einmal gänzlich aufgelöst haben werden, ist ganz und gar offen.
Wo in der postindustriellen Gesellschaft die großen Konfliktlinien verlaufen werden, zwischen welchen Gruppen, zwischen welchem Oben und Unten, ja ob sich überhaupt noch einmal einigermaßen klare und dauerhafte gesellschaftliche Konfliktlinien formieren werden, auf die sich Parteien in stabiler Weise beziehen könnten, steht ebenfalls völlig dahin. Vorderhand evident ist erst einmal nur die - mit der Erosion der traditionellen Großgruppen einhergehende - Auflösung der bisher verlässlichen Beziehungen zwischen den Parteien und ihren jeweiligen sozialen Fußtruppen. Hier liegt der Grund für die letzthin nach oben wie nach unten erratischen Ausschläge der Wahlergebnisse beider großer Parteien, hier liegt letztlich auch der Grund für den Niedergang der beiden kleinen Parteien der Bonner Republik.
Um so mehr hat die PDS ihnen allen das Privileg voraus, sich als ostdeutsche Regionalpartei politisch von einem Riss zwischen den Interessen und Identitäten der Ost- und Westdeutschen nähren zu können, der nach aller Voraussicht noch auf längere Sicht klar und anschaulich zutage liegend zu den wenigen verlässlichen Konstanten der Berliner Republik gehören wird. Man muss darüber nicht begeistert sein: Die fortgesetzte innere Uneinheit Deutschlands ist das politische Standbein der PDS, das ihr so sicheren Halt gibt, dass die Entfremdung ehemaliger sozialdemokratischer Wähler im Westen des Landes in Zukunft tatsächlich zu ihrem Spielbein werden könnte.
Eine Handlungsanweisung für die Parteien des alten Westens folgt aus all dem nicht. Weder gesellschaftliche Konfliktlinien noch, aus ihnen resultierend, stabile Anhängerschaften können sie sich voluntaristisch nach ihren Zwecken basteln. Eindeutig zeigt sich allerdings am Fall der PDS, wie groß der strategische Vorteil ist, der sich für eine Partei aus einer fest umrissenen Identität ergibt. Wenigstens nicht auch noch die bestehenden Verbindungen zu ihren alten Kerngruppen zu vernachlässigen, die treuesten Anhänger wo immer möglich in ihrer Loyalität zu bestärken, und seien sie noch so unmodern und zukunftsunfähig - darin läge demnach die Weisheit des umsichtigen Modernisierers. Denn neue Stammwähler gibt es nirgendwo. Den Weg weist die PDS - wenn auch nur in dieser einen Hinsicht.