Blasentraining in der Generationenfalle



Berliner Schüler sind in einer Disziplin Weltmeister: Sie heißt Blasentraining. Meine Kinder haben sich immer geweigert, die Toiletten in der Schule zu benutzen. Stattdessen kommen sie nachmittags nach Hause, werfen ihre Sachen in die Ecke und stürzen sofort ins Bad. Ein Besuch in der Sporthalle der Schule, wo meine Tochter ihr Konditionstraining absolviert, erklärt auch warum. Das ganze Gebäude macht einen verdreckten Eindruck und auf die Bänke im Umkleideraum will man sich lieber nicht setzen. Die Toiletten? Nun ja. Mittlerweile gibt es eine Elterninitiative gegen den Berliner Schul­dreck, da manche Schulen mit Fadenwürmern verseucht sind. Das Problem ist leicht erklärt: Der Berliner Senat verteilt die Putzaufträge an die billigsten Anbieter, die ihre Preise niedrig halten, indem sie nicht putzen. Da aber weder die Putzfirmen noch der Senat die Schultoiletten benutzen, ist die Hygiene für sie erst mal zweitrangig.

Das Blasentraining der Kinder fällt in eine Zeit, in der die neue Bundesregierung Rentenpläne beschlossen hat, die bis zum Jahr 2020 zwanzig Milliarden Euro kosten werden. Meine rundum versorgte Mutter, der ich kaum etwas zum Geburtstag schenken kann, da sie schon alles hat, und die sich gerade auf einer Bridge-Reise auf Lanzarote befindet, wird sich darüber freuen.

Der demografische Wandel macht sich also nicht nur auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar, sondern auch in den Prioritäten der Politik. Die CDU beschützt ihre wichtigste Wählerklientel, die besonders langlebigen Frauen über 60. Die Gewerkschaften, deren Mitgliederanteil bei den Beschäftigten unter 25 Jahren mittlerweile bei unter fünf Prozent liegt, sorgen sich um die Renten der Babyboomergeneration. Statt die Arbeit zu humanisieren und älteren Arbeitnehmern andere und leichtere Arbeiten zuzumuten, schickt man sie lieber nach Hause. (Ob der Generation meines Vaters und meiner Onkel die Frühverrentung wirklich so gut getan hat, kann man bezweifeln, aber das ist ein anderes Thema.)

Strukturell betrachtet, kann das Generationendilemma nur schlimmer werden. Die demografische Entwicklung wird nicht zu stoppen sein. Selbst wenn die Geburtenrate wieder steigen sollte, wird es immer weniger junge und immer mehr alte Menschen geben. Es stellt sich die Frage: Wie können wir langfristig die Ausbeutung der Jungen durch die Alten verhindern?

Ein Wahlrecht für Jugendliche wäre eine bedenkenswerte Möglichkeit. Es würde das Thema der Lebensqualität junger Menschen stärker auf die politische Agenda setzen. Die Kinder in der Schule meiner Tochter wüssten, wofür sie stimmen würden: für saubere Klassenräume, hygienische Toiletten und besseres Schulessen. Und sie hätten damit ein völlig legitimes Anliegen.

Ein doppeltes Stimmrecht für Eltern würde hingegen zu Recht an verfassungsrechtlichen Bedenken scheitern. Dass Eltern automatisch im Sinne ihrer Kinder abstimmen würden, kann nicht vorausgesetzt werden, und ein Mehrfachstimmrecht würde nur den Einfluss der mittleren Generation stärken, die vielleicht selbst schon an die Rente denkt.

Die größte Hoffnung liegt im demografischen Wandel selbst. Der Fachkräftemangel übt schon jetzt Druck auf Unternehmen aus. Diese sehen in den qualifizierten Müttern, die sich in Deutschland gerne in die Teilzeit verabschieden, eine große Arbeitskraftreserve. Mit deren Unterstützung könnte man eine bessere Qualität der Kinderbetreuung und höhere öffentliche Investitionen für die Belange von Kindern einfordern. Es ist bereits jetzt ein Skandal, dass die sinkenden Kinderzahlen in Deutschland nicht zu einer besseren Ausstattung von Schulen geführt haben. Unternehmen und Politik sollte klar werden, dass sie gut qualifizierten Nachwuchs nur bekommen, wenn sie in Kinder investieren statt in Renten. Die Mütter würden es ihnen danken. Auch im Alter.

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