Bloß gegen Schwarz-Gelb zu sein ist nicht genug
Herzlichen Glückwunsch zum zehnjährigen Jubiläum, Berliner Republik! Als Eure erste Ausgabe erschien, lag Aufbruchstimmung über dem Land, nachdem die Regierung Kohl einheitstrunken den notwendigen Wandel verschlafen hatte. Ihr habt in dieser Zeit gute und konstruktive Beiträge veröffentlicht, die den intellektuellen Nährboden für sozialdemokratische, aber auch grüne Reformpolitik geschaffen haben. Gøsta Esping-Andersens Beitrag über eine grundlegend reformierte Sozialpolitik am Beispiel Skandinaviens (Berliner Republik 6/2003) hat unser Denken und mich persönlich sehr beeinflusst.
Fünf Monate nach der Bundestagswahl im vergangenen Herbst ist der Kater immer noch spürbar. Das Land war des Stillstands unter der Großen Koalition müde und wollte einen Wechsel. Und aus Mangel an Alternativen und nach einem moderat angehauchten Verlobungswahlkampf von Schwarz-Gelb bekamen wir, was wir nun seit einigen Wochen erleben: eine zerstrittene, nach rückwärts gewandte Reformpolitik.
Wie geht es weiter in der Berliner Republik? Die Frage ist: Was stellen wir gegen Schwarz-Gelb? Das Ziel ist klar: Am Ende, voraussichtlich 2013, muss es eine echte Alternative geben. Schwarz-Gelb hat nur dann eine Mehrheit, wenn die SPD substantiell unter 30 Prozent bleibt. Die SPD muss sich stärker bemühen, sich mit ihren Inhalten langfristig und glaubwürdig zu profilieren. Auch wenn uns Grünen das in den Bereichen Klimaschutz, Ökologie und zunehmend auch Bildung gelungen ist, gilt diese Aufforderung auch für uns selbst. Denn unser zentrales programmatisches Angebot eines „Neuen Gesellschaftsvertrages“ ist in der Bevölkerung noch nicht richtig angekommen. Doch solange mehr Menschen der CDU die Lösung der Probleme des Landes zutrauen, obwohl sie kein Konzept dafür anbietet, macht gerade die SPD etwas falsch.
Bei Rot-Grün lief nach der Bundestagswahl 2002 wahrlich nicht alles rund. Doch Angela Merkels Fehlstart, die bereits während der Großen Koalition offensichtlich mehr moderiert denn regiert hat, schlägt das um Längen. Der vernünftige Teil der Union ist vor allem damit beschäftigt, zu verhindern, dass die FDP weiter ihre Klientelpolitik der 15 Prozent durchsetzt, will sie die gegen die SPD behauptete Hegemonie in der Mitte nicht gefährden. Zum Regieren bleibt Merkel keine Zeit, schließlich hat sie die Moderation der Großen Koalition durch die Moderation zwischen Westerwelle und den alarmierten unionsgeführten Ländern und Kommunen ersetzt.
Und die Linkspartei? Entweder sie realpolitisiert sich, oder sie wird am Zenit ihrer bundespolitischen Hausse langsam verpuffen. Denn linker Populismus ist auf Dauer und bei Verweigerung der Übernahme von Verantwortung ebenso wenig glaubwürdig wie der Schlingerkurs der SPD in den vergangenen Jahren. SPD und Grünen obliegt die Aufgabe, die Linkspartei an ihrer schwächsten Stelle herauszufordern: ihrer Verantwortungslosigkeit. Dazu muss man sie allerdings auch ernst nehmen.
Die SPD hat mit Sigmar Gabriel offenbar den richtigen Mann an die Spitze gewählt, um ihre zahlreichen offenen Wunden zu heilen. Jetzt fehlen ihr vor allem noch der richtige Kurs und der Mut, diesen nicht sofort wieder infrage zu stellen. Ein Dialog mit den Ortsvereinen ist sicher gut, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, steigert aber noch nicht die von außen wahrgenommene Attraktivität. Die Frage lautet: Was ist das Leitmotiv der SPD? Trauert man weiter den verlorenen Strukturkonservativen nach, die in den letzten Jahren in großer Zahl zur Linkspartei abgewandert sind, wie es die Diskussion über die Rente mit 67 und der Beschluss zur Vermögenssteuer auf dem Parteitag in Dresden zumindest nahelegen? Ernsthafte Zweifel sind angebracht, ob die SPD auf diesem Wege Teil einer neuen Mehrheit und Zukunft werden kann. Als Grüner wünsche ich mir eine Sozialdemokratie, die grundsätzlich nach einer zukunftsfähigen und sozial gerechten Lastenverteilung bei der Bewältigung der Krisen fragt. Die Vermögenssteuerdebatte hat allerdings gezeigt, dass es wieder nur mechanisch um symbolische Instrumente ging. Es ist auch schade, dass ausgerechnet die Jusos diese verengten und rückwärtsgewandten Beiträge geleistet haben. Gerade von ihnen sollte man doch ein schnelleres Umschalten auf Opposition und neue, nach vorne gerichtete, kreative politische Konzepte erwarten.
Wir Grüne haben mit dem grünen New Deal im Sinne eines neuen Gesellschaftsvertrages ein anspruchsvolles Zukunftsprogramm ins Zentrum unseres Bundestagswahlkampfes gestellt. Wir haben uns damit gegen eine Große Koalition positioniert, die der Krise instrumentell, bloß bürokratisch begegnet ist. Die Nachhaltigkeit von immensen Investitionen wurde nicht hinterfragt, die Krise blieb hinter Hypo Real Estate (HRE), Karstadt und Opel, Kurzarbeit und Abwrackprämie diffus. Progressive Politik von heute und für morgen muss die Interdependenz der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Krisen vom Zentrum her gemeinsam denken und lösen. Genau diesen zwingenden Anspruch haben wir Grüne. Unterkomplexe, kurzsichtige Politik hat uns in die Krisen geführt, sie kann keine Lösung sein. Deshalb werden wir das Konzept des grünen New Deal in den kommenden Jahren weiter ausbuchstabieren und konkretisieren. In der Opposition werden wir Grüne konsequent darauf setzen, unsere inhaltlichen Alternativen gegen Schwarz-Gelb zu stellen. Die Chance, damit durchzudringen, ist nun größer als während der Großen Koalition. Das Parlament kann wieder eine stärkere Rolle einnehmen, Konzepte können gegeneinander gestellt und die zuletzt leidende parlamentarische Demokratie dadurch gestärkt werden.
Rot und Grün? Auf die Inhalte kommt es an
Mit der ökologischen Industriepolitik haben Sigmar Gabriel und Matthias Machnig der SPD im Jahr 2006 einen fortschrittlichen Weg gewiesen, um die ökologische Frage sozialdemokratisch neu zu interpretieren. Wir haben es begrüßt, als Frank-Walter Steinmeier im Sommer 2009 seinen Deutschlandplan vorgestellt und damit in weiten Teilen den Fokus des Regierungsprogramms der SPD überholt hat, auch wenn der Kurswechsel sehr hastig und reaktiv erschien. Die SPD muss sich entscheiden, wo sie hin will – und zwar entlang der bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen. Sie muss den Schatten des Traumas der Folgen der Agenda 2010 überwinden und sich nach vorne orientieren, um in der Opposition wieder zu einer ernsthaften Alternative zur Union zu wachsen. Weder ein sozialpolitischer Linksrutsch noch der Versuch, sich an einer schwachen schwarz-gelben Regierung abzuarbeiten, werden zum Erfolg führen. Der Weg, die Mitte gegen Merkel, von der Leyen, Guttenberg und Röttgen zurückzuerobern, wird nicht einfach. Er kann jedoch gelingen, wenn die Menschen in Deutschland von einer verantwortungsvollen und progressiven Politik der SPD überzeugt werden.
Eines ist genauso klar: Es gibt keine Koalition in der Opposition. Koalitionen bilden sich entlang programmatischer Übereinstimmungen vor Ort, um zu gestalten. Aber wir Grüne freuen uns auf die Zusammenarbeit mit jedem demokratischen politischen und gesellschaftlichen Akteur, der sich wie wir für die Inhalte eines grünen New Deal einsetzt. Dafür gibt es schließlich weder Patent noch Alleinvertretungsanspruch. Die entscheidende Frage geht deshalb an die SPD: Traut sie sich, progressive Politik zu betreiben? Schaffen wir es in Deutschland, Mehrheiten zu bekommen für einen Aufbruch im Klimaschutz, in der Wirtschaft, für Bildungsgerechtigkeit, für gute Arbeit, die fair entlohnt wird, und für Bürger- und Verbraucherrechte im digitalen Zeitalter? Das wären doch schon ein paar Themen, für die es progressive Politik in Deutschland braucht. «