Brauchen wir eine parteische Politikberatung?
In der Ausgabe 1/2010 der Berliner Republik fordert Gert G. Wagner mehr „parteiische Wissenschaft“. Politikberater sollten die „Wertgrundlagen“ ihrer Auftraggeber teilen. Für einen Abteilungsleiter einer staatlich finanzierten Denkfabrik (Wagner leitet das Sozio-ökonomische Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung) ist dies eine bemerkenswerte Aussage. Wagner schränkt freilich ein: Bei der Qualität der Wissenschaft dürften auch parteiische Berater keine Abstriche machen, „parteiische Wissenschaft“ solle lediglich „Möglichkeiten und Grenzen bestimmter parteiischer Politikkonzepte“ erforschen, die Politiker und Wissenschaftler gemeinsam verfolgen.
Die Idee selbst ist nicht neu. In ihrer Dissertation unterschied die Ökonomin Susanne Cassel schon 2001 zwischen Politikberatung, die „Bürger über ihre gemeinsamen Interessen aufklärt“, und Politikerberatung, die das Wiederwahlinteresse der Politiker berücksichtigt. Cassel zufolge befindet sich die wissenschaftliche Beratung im Dilemma: Entweder riskiert sie, mit ihren Ratschlägen auf taube Ohren zu stoßen, oder sie muss – will sie Gehör finden – wider besseres Wissen beraten.
Eine „parteiische Wissenschaft“ kann dieses Dilemma nicht überwinden. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass sie die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft insgesamt unterwandert und Forschung zu einer Waffe im parteipolitischen Grabenkampf wird. Zwar können (und sollten) Wissenschaftler erfolgreich Politikerberatung betreiben – Anthony Giddens hat dies mit seiner Theorie des Dritten Weges eindrucksvoll bewiesen. Aber seine Arbeit ist keine wissenschaftliche Politikberatung im Sinne einer Politikfeldberatung, sondern eher ein „political consulting“, mit dessen Hilfe politische Mehrheiten gewonnen werden sollen. „Parteiische Wissenschaft“ als parteiische Politikfeldberatung ist kaum mit der wissenschaftlichen Prämisse vereinbar, alle vermeintlichen Gewissheiten kritisch zu hinterfragen.
Wir brauchen auch keine neuen parteiischen Forschungsinstitute und Akademien, wie Wagner sie fordert. Mit ihren Parteistiftungen verfügen die Parteien bereits über ausreichend finanzierte Denkfabriken mit parteipolitischem Beratungsauftrag. Den Parteistiftungen gelingt es jedoch zu selten, Themen zu setzen. Und von der Fachwelt werden sie oft schlichtweg ignoriert. Das liegt, wie Wagner andeutet, zum Teil sicherlich an deren Personalpolitik. Zu oft werden die Stiftungen als Parkplatz für verdiente Parteipolitiker missbraucht, anstatt als Durchlauferhitzer für neue Ideen und Programme zu fungieren. Für Spitzenforscher ist die Arbeit in einer Parteistiftung zudem vermutlich weder karrierefördernd noch besonders attraktiv.
An diesem Punkt sollten die Parteistiftungen ansetzen und – wie Wagner auch vorschlägt – zum Beispiel Fellowships für namhafte Wissenschaftler vergeben, ähnlich den „Journalist in Residence-Fellowships“ des Wissenschaftszentrums Berlin. Der Austausch würde beiden Seiten gut tun: Die Stiftungen profitieren vom akademischen Input etablierter Wissenschaftler, und diese wiederum gewinnen Einblick in politische Entscheidungsprozesse.
Noch eine wichtige Aufgaben sollten Parteistiftungen übernehmen: Sie müssen der Politik helfen, die Akzeptanz der Bürger für notwendige Reformen zu erhöhen. Denn die politische Debatte ist heute von einer Nicht-in-meinem-Vorgarten-Mentalität geprägt: Reformen ja – aber nicht, wenn sie mich betreffen! Parteistiftungen könnten dabei helfen, die Bürger wieder stärker an den politischen Prozess anzubinden, indem sie gemeinsam mit ihnen politische Programme entwickeln. Wenn die Bürger das Gefühl haben, Politik gestalten zu können, wächst auch die Akzeptanz politischer Reformen. So könnte das Dilemma zwischen Politikberatung und Politikerberatung sinnvoll aufgehoben werden. «