Das Fristenproblem



In meinem Umfeld gibt es zwei Arten von Beschäftigten: die Befristeten und die Entfristeten. Das Problem der Befristeten ist, dass sie denken, ihr Arbeitgeber wolle sie wieder loswerden. Wird der erste Vertrag durch einen weiteren befristeten Vertrag ersetzt, schwindet ihre Loyalität rapide. „Auf jeden Fall habe ich kein schlechtes Gewissen, wenn ich zur Konkurrenz gehe“, sagte eine Bekannte zu mir, nachdem sie den zweiten Zweijahresvertrag bekommen hatte. Von nun an verbrachte sie einen guten Teil ihrer Arbeitszeit mit der Suche nach einem neuen Job.

Manche sehen die Befristung auch durch die Brille gemeinsamer Interessen; man selbst will sich schließlich auch nicht binden: „Befristet? Kein Problem, ich gehe sowieso, bevor der Vertrag ausläuft.“ Ex-post-Rationalisierung nennen das die Psychologen. Auf Deutsch: Man redet sich die Welt passend.

Eine andere Bewältigungsstrategie der Befristeten ist der Verweis auf den Rechtsweg. „Ich könnte mich jederzeit einklagen“, sagen diejenigen, die schon den dritten befristeten Vertrag beim gleichen Arbeitgeber haben oder deren Vertrag unbegründet befristet ist. Getan hat das in meinem Bekanntenkreis jedoch noch niemand. Letztlich haben sie sich alle eine neue Stelle gesucht. Bei einer Klage wäre der Vertrauensverlust meistens zu groß.

Doch auch für die Entfristeten ist die Welt nicht rosig. Sie trauen sich nicht, ihren einmal ergatterten Arbeitsplatz aufzugeben, auch wenn sie eigentlich gern wollten. Der Gartenliebhaber, der jetzt im Büro sitzt, bleibt, wo er ist. Zwar nehmen es die Entfristeten ihrem Arbeitgeber übel, dass er nicht zu ihnen passt – oder sie nicht zu ihm. Aber weil sie auf der sicheren Seite sind, versuchen sie erst gar nicht, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihren Neigungen besser entspricht. Schon gar nicht, wenn der befristet sein könnte. Stattdessen wählen viele die Durchhaltetaktik und distanzieren sich innerlich von ihrem Job.

Kündigung oder Aufhebungsvertrag müssen in jedem Fall vermieden werden, auch wenn man dafür Gehaltseinbußen hat oder fachfremd beschäftigt wird. Eine Stelle für eine Weiterbildung, eine Beziehung oder einen Umzug aufgeben? „Auf keinen Fall selbst kündigen!“ ist die Reaktion im Bekanntenkreis. „Du bist verrückt, wenn du heutzutage den Job aufgibst.“ Dafür pendeln die Entfristeten lieber jedes Wochenende in Hundertschaften zu ihren Familien und Partnern in weit entfernte Städte.

Manchmal würden beide gern tauschen: Die Entfristeten hätten gern den Job der Befristeten, weil er interessanter ist oder in der Stadt, in der sie leben. Und die Befristeten hätten gerne einen festen Job.

Arbeitgeber befristen, weil sie Veränderungen erwarten und in dem Fall nicht kündigen möchten. Oder weil sie sich alle Türen offen halten und die Macht über ihre Mitarbeiter behalten wollen. Oder weil es zum guten Ton gehört. Selbst die Gewerkschaftsinstitute stellen Wissenschaftler heute aus nicht weiter benannten Gründen erst einmal befristet an.

Wie schön wäre eine Welt, in der die Arbeitgeber etwas weniger Bindungsangst hätten und die Arbeitnehmer etwas weniger Klammerhaltung an den Tag legen würden. Arbeitnehmer könnten solange bleiben, wie es eben zu ihrer Lebensplanung passt und nicht solange, wie das Arbeitsrecht eine Befristung zulässt. Sie würden sich willkommen fühlen. Arbeitgeber könnten Mitarbeiter fest einstellen und sich von Arbeitnehmern trennen, wenn es die betrieblichen Erfordernisse nicht anders zulassen. Vielleicht könnten sich beide Seiten die Kosten teilen, die die Kündigung dem Arbeitnehmer verursacht. Die Arbeitnehmer hätten mehr Chancen auf eine neue Stelle, weil es normal wäre, den Arbeitsplatz ab und an zu wechseln. Ehepartner könnten gemeinsam in eine neue Stadt gehen. Man könnte sich auch wieder auf interessante Stellen bewerben und müsste nicht als Erstes auf das Ablaufdatum des Vertrages schauen.

Ein schöner Traum? Das wird doch noch erlaubt sein.

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