Der Neo-Protektionismus der Reichen

Ob Buy-American-Klausel oder Abwrackprämien: Die Subventionierung einzelner Branchen schafft einen Protektionismus neuer Art - mit dramatischen Folgen für die Weltwirtschaft. In den Entwicklungsländern droht eine humanitäre Katastrophe

Die hässliche Fratze der Wirtschaftskrise hieß Smoot-Hawley. Auf durchschnittlich 60 Prozent hob der amerikanische Präsident Herbert Hoover, eigentlich ein Fachmann der Ökonomie, mit diesem Erlass die Sätze der zollpflichtigen Güter an - um die inländische Produktion zu schützen. Andere Staaten zogen nach, die Welt schlitterte in die Große Depression. Das erste Kapitel der Globalisierung wurde mit einem Schlag beendet, in den betroffenen Industrieländern zwischen den USA und Europa setzte der Kater ein.

Börsenboom und -einbruch, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit - in der aktuellen Krise bestehen zahlreiche Parallelen zu den dreißiger Jahren. Doch im Unterschied zur damaligen Situation geht heute nicht ein erster Globalisierungsrausch zu Ende. Sondern 80 Jahre später ist die Welt bis in den letzten Winkel ökonomisch miteinander verbunden. Die Entwicklungsländer, denen Know-how und Produktionsmöglichkeiten für Fertigprodukte fehlen, steuern hierzu die Rohstoffe bei. Öl aus Angola, Diamanten aus Botswana, Holz aus Südamerika.

Genau das macht sie im Schatten von Dax-Turbulenzen und Ratlosigkeit bei General Motors zu den wirklichen Verlierern der wirtschaftlichen Talfahrt. In Südostasien sind Exporte und Importe bereits um 20 bis 40 Prozent zurückgegangen. Zwischen sechs und neun Prozent soll der globale Handel in diesem Jahr einbrechen, sagen Welthandelsorganisation (WTO) und Weltbank voraus -in den letzten Jahren war er noch um ähnliche Werte gewachsen. Und einen beträchtlichen Teil davon machen eben die Rohstoffe aus.

Während der Großen Depression sorgten Herbert Hoovers Smoot-Hawley-Gesetze für einen Wettlauf der protektionistischen Maßnahmen in den Industrienationen, und damit wurde alles noch schlimmer. Die Länder haben aus der Geschichte gelernt. Es gibt mittlerweile die WTO und damit eine Reihe von internationalen Abkommen, die Protektionismus verhindern sollen. Und tatsächlich ist ein klassisches Comeback, etwa in Form von Importbeschränkungen und höheren Zöllen, unwahrscheinlicher geworden.

Mit der Chancengleichheit ist es vorbei

Doch um Schaden anzurichten, braucht man keine Zölle. Die um sich greifende Subventionierung der schwächelnden Wirtschaft in den reichen Ländern wirkt nahezu genauso protektionistisch. Denn mittelfristig wird dadurch der Aufbau von wettbewerbsfähigeren Produktionen in ärmeren Staaten verhindert. Verlierer sind wiederum die Entwicklungsländer. Deren Budgets sind für eigene unterstützende Maßnahmen zu klein. Sie können keine nationalen Konjunkturpakete schnüren.

"Falls es je so etwas wie Chancengleichheit gab, ist es damit durch die Subventionen endgültig vorbei", wiederholt Joseph Stiglitz in diesen Monaten immer wieder in seinen Aufsätzen. Stiglitz war früher Chefökonom der Weltbank und befasst sich seit Jahren mit den Folgen der Globalisierung für die Entwicklungsländer. In der Wirtschaftskrise sind seine Thesen gefragt wie lange nicht. Aber Gehör finden sie anscheinend gerade dort nicht, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Bei den 20 mächtigsten Staaten der Welt, der G20.

Am 15. November 2008 hatte sich die G20 in Washington getroffen. Die Wirtschaftskrise hieß damals bei den meisten Menschen noch Finanzkrise, seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers waren auf den Tag genau zwei Monate vergangen. Eine Abmachung traf der Gipfel mit Blick auf die Erfahrungen aus den dreißiger Jahren: kein Protektionismus in der Krise.

Deutschland auf französischen Pfaden?

Die Versprechen sind Lippenbekenntnisse geblieben. 17 von 20 der G20-Staaten haben seitdem Maßnahmen zum Schutz der eigenen Wirtschaft ergriffen, wie eine Studie der Weltbank ergab. In manchen Ländern heißen sie "Buy American"-Klausel, in anderen Abwrackprämie. In Brasilien gab es zeitweise eine Genehmigungspflicht auf zahlreiche Importgüter. Der deutschen Subventionspolitik bescheinigte der Sachverständigenrat, sie "bewege sich mehr und mehr auf die Industriepolitik Frankreichs zu". Erst auf internationalen Druck wurden einige der Maßnahmen zumindest entschärft.

Dennoch bleibt die Grundtendenz bestehen: Der Protektionismus schleicht sich auf leisen Sohlen zurück in die Weltwirtschaft, subtiler als früher, aber genauso zerstörerisch. Bis zu 200 Millionen Menschen weltweit könnte die Krise in Armut stürzen, die Anzahl der chronisch hungernden Menschen wird auf mehr als eine Milliarde steigen. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern verringert sich nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) von über 8 Prozent auf nur noch 1,6 Prozent. Steigerungsraten, die vor allem in Afrika durch die ungleich höheren Geburtenquoten einfach verschluckt werden.

Die Entwicklungsländer trifft dabei besonders hart, dass sie keine funktionierenden Sozialsysteme haben. Zaghaft wurde in den vergangenen Jahren versucht, auf den Gebieten Gesundheit und Grundsicherung Verbesserungen zu erreichen. Ansätze sind da, wie etwa in Ghana und Kenia zu besichtigen. Aber für den Großteil der Bevölkerungen gilt: Bricht die nationale Wirtschaft ein, verbreitet sich die Armut rasend.

Dabei war die Lage auch vorher brisant. Auch ohne Wirtschaftskrise ist vor allem die Landbevölkerung schon immer in der Armutsfalle gefangen gewesen. Daran sind auch Agrarsubventionen Schuld, die vielen armen Ländern den Zugang zu Märkten in Industrieländern versperren. Zögerlich hatten dies irgendwann auch die westlichen Verursacherstaaten erkannt. Und so hat der Weg zu einem gerechten Handelssystem 2001 einen Namen bekommen: Doha.

Vor acht Jahren traf sich in Katars Hauptstadt die WTO, um an fairen Handelsregelungen zu feilen. Schon damals ging es vor allem um Gerechtigkeit gegenüber den Entwicklungsländern. Dies betrifft nicht nur Importbeschränkungen. Denn durch massive Subventionierung der landwirtschaftlichen Güter in den Industrieländern werden deren Produkte zum Teil zu Dumpingpreisen auf den Märkten der Entwicklungsländer angeboten. So zerstört etwa die europäische Regulierung des Zucker- und Milchmarktes in Herstellerregionen der Südhalbkugel die Preise. Der dadurch entstandene Schaden für die armen Länder war schon Jahre vor der Krise beachtlich.

Ein Doha-Abschluss wäre jetzt wichtig

Viel ist seit dem Treffen der Minister in den Emiraten nicht passiert. Bis heute warten die Entwicklungsländer auf einen Abschluss der Doha-Runde. Die Verhandlungen sind aber zwischenzeitlich am Starrsinn und an Eigeninteressen der Industrieländer erstickt.

Gerade jetzt wäre eine erfolgreiche Vereinbarung wichtiger denn je. Der strauchelnde Welthandel könnte gerechter gestaltet werden, die bestehenden Spielräume für Zollerhöhungen, die zum Teil ein bedauerliches Comeback feiern, könnten eingeschränkt werden. Doch besonders die Industrieländer müssten hierfür Konzessionen eingehen. Dass dies passieren wird, ist unwahrscheinlich. Die WTO ist heute mehr denn je ein zahnloser Tiger, dessen Regelungen je nach Wetterlage ein wenig restriktiver oder lockerer gehandhabt werden.

Im Schatten der handelspolitischen Rückratlosigkeit werden nun die internationalen Hilfsmaschinen angeworfen. Damit steht schon das nächste Problem vor der Tür: Auch internationale Organisationen werden mit dem immensen Kapitalbedarf der Entwicklungsländer überfordert sein. Dabei geht es bereits darum, eine "humanitäre Katastrophe in den armen Ländern zu verhindern", die unter anderem Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul heraufziehen sieht.
Dem IWF, der hier mit frischem Geld einspringen müsste, fehlen die Mittel für Krisen dieses Ausmaßes. Dreistellige Milliardenbeträge werden bereits als Sofortmaßnahme für den Washingtoner Finanzfonds gehandelt. Aber selbst wenn die Organisation die nötigen Mittel aufbringen könnte, wären Zweifel angebracht.

Der IWF hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Hilfsmaßnahmen an deregulierende Maßnahmen in den Entwicklungsländern geknüpft. Die Länder, die sich auf die Bedingungen eingelassen und ihre Märkte geöffnet haben, leiden nun besonders unter der Krise. Und da soll gerade dem IWF die Verantwortung zufallen, den mit verantworteten Schaden wieder zu beheben? Viele Entwicklungsländer haben das Vertrauen in den Fonds verloren. 

Wie wirksam kann die UNO sein?

Parallel werden auf nationaler Ebene Hilfspläne geschmiedet. Neben dem in der entwicklungspolitischen Szene neuerdings wieder entdeckten Thema "Landwirtschaft" sollen dabei auch Teile der für die Entwicklungsländer so schädlichen nationalen Wirtschaftshilfen in deren Aufbau fließen. In Deutschland unterstützt Ministerin Wieczorek-Zeul den Vorschlag von Weltbank-Chef Robert Zoellick, wonach "0,7 bis 1,0 Prozent der Konjunkturprogramme der Industriestaaten in Entwicklungsländer investiert werden sollen". Aber es ist nur scheinbar ein faires Geschäft. Denn die verbleibenden 99,3 Prozent richten ungleich höheren Schaden auf dem armen Teil der Erde an.

Die Bundesregierung hat diesen Zielwert bereits erreicht. Für Deutschland bedeutet dies: Aus dem eigenen Konjunkturpaket zahlt die Bundesregierung 100 Millionen Euro in den Infrastrukturfonds der Weltbank ein. Ob diese Infrastrukturprojekte der Weltbank besser geplant und in den Folgen abgeschätzt werden als manches haarsträubende Projekt der Vergangenheit, bleibt freilich ungewiss. Im Schatten der viel größeren weltwirtschaftlichen Probleme wird keine Diskussion über die genaue Verwendung der Hilfsmittel geführt.

Darüber hinaus fordert Heidemarie Wieczorek-Zeul einen neuen UNO-Rat für soziale, wirtschaftliche und Umweltfragen. Vorschläge dafür liegen bereits auf dem Tisch, spätestens im September sollen sie erörtert werden. Ob die UNO damit jedoch ein handlungsfähiges Gremium schafft und nicht nur eine weitere kostspielige Unterorganisation, ist fraglich. Auch steht die genaue Zusammensetzung des Rates in den Sternen. Eine solche Institution würde aber nur dann Sinn machen, wenn die Entwicklungsländer fairere Mitspracherechte bekämen, als dies in allen bestehenden Gremien und Institutionen von UNO, Weltbank, WTO und IWF bis zur G20 bisher der Fall ist. Dabei geht es wieder um Zugeständnisse der Industrieländer. Doch die sind in der Krise besonders wenig zu erwarten. 

Meint man es ernst mit der Hilfe für die von der Krise am härtesten getroffenen Entwicklungsländer, führt kein Weg an konsequent antiprotektionistischer Politik vorbei. Dies umfasst zuallererst den seit Jahren ausstehenden Abschluss der Doha-Runde zur Schaffung eines gerechteren Welthandelsystems. Auch darüber hinaus müssen die Industrieländer zu Konzessionen in der Agrarpolitik bereit sein und die bestehenden Subventionen zurückschrauben, die vielen Bauern in Entwicklungsländern die einzige Lebensgrundlage entziehen.

Die Politik in der moralischen Zwickmühle

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Folgen der Wirtschaftskrise umfasst aber vor allem ein klares Bekenntnis gegen die aktuelle Form von "Neo-Protektionismus" in den Industrieländern. Denn durch die Subventionierung der eigenen Wirtschaft wird den Entwicklungsländern genauso geschadet, als würden Zölle erhoben.

Dass diese Auseinandersetzung nicht geführt wird, liegt vor allem an der Nicht-Beachtung der Entwicklungsländer in der Öffentlichkeit. Denn wer sich für die staatlichen Konjunkturprogramme einsetzt und gleichzeitig fordert, man möge "die Entwicklungsländer nicht vergessen", argumentiert widersprüchlich.

Dass dieser Widerspruch von der Politik nicht durch eine kohärente Krisenpolitik aufgelöst wird, ist in der moralischen Zwickmühle begründet, in der sie sich befindet. Ein sichtbarer Scheck an einen kranken Betrieb und ein zweiter an die Entwicklungsländer lässt sich eben (besonders vor Wahlen) besser verkaufen, als eine abgeschlossene Doha-Runde und der Niedergang eines nicht mehr wettbewerbsfähigen Unternehmens.
Um dem entgegenzuwirken, bedarf es einer verbindlichen Erklärung der G20, auf Subventionierung einzelner Industrien zu verzichten. Stattdessen kann die Belebung der Weltwirtschaft - und in der haben die Entwicklungsländer ihren Platz - nur durch ein gemeinsam abgestimmtes Konjunkturprogramm erreicht werden.

Wie schon bei vorangegangenen globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel fehlt auch in dieser Wirtschaftskrise spürbar eine schlagkräftige, entscheidungsbefugte internationale Organisation. Denn globale Krisen, das zeigt die aktuelle Wirtschaftskrise, können nicht national gelöst werden. Das war schon bei Herbert Hoover so. Doch in einer miteinander verflochtenen Welt, auf der der arme Teil zur Selbsthilfe zu schwach ist, gilt dies mehr als je zuvor. 

zurück zur Person