Jenseits der Grenzen des Wachstums
Im Jahr 1972 sorgte die wissenschaftliche Studie Die Grenzen des Wachstums des damals noch nicht einmal 30-jährigen Dennis Meadows und des Club of Rome für einen Aufschrei weit über das Fachpublikum hinaus. Nun ist das 30-Year Update erschienen. Obwohl sich vieles von den damaligen Prognosen bestätigt hat, schreit die Gesellschaft heute nicht mehr auf. Warum eigentlich nicht?
Um den Lesern der Grenzen des Wachstums die Schwierigkeiten von unendlichem Wachstum in einer endlichen Welt zu erklären, entschied sich Meadows damals wie heute für einen Vergleich aus einem französischen Märchen: In einem Gartenteich befindet sich eine einzelne Lilie, die sich jeden Tag verdoppelt. Nach dreißig Tagen werden die Lilien den ganzen Teich bedecken und alles andere Leben ersticken. Doch am Anfang erscheint die einzelne Pflanze klein, und so fällt man eine Entscheidung: Erst wenn die Lilien den halben Teich bedeckt haben, wird man das Problem angehen. Wie viel Zeit wird einem dann bleiben, um den Teich zu retten? Nur ein einziger Tag! Am 29. Tag ist der Teich halb bedeckt, am 30. sind auf der Oberfläche nur noch Lilien zu sehen. Hätte man schon am 21. Tag einschreiten sollen, als gerade 0,2 Prozent des Teiches bedeckt waren? Oder am 25. Tag, als erst 3 Prozent des Wassers bedeckt waren?
Als sich ein paar junge Wissenschaftler 1970 zusammensetzten, weil sie sich Sorgen um die Welt machten, erlebte diese gerade Jahrzehnte ungebremsten Wachstums. Sozialstaaten konnten ausgebaut werden und versprachen ein Leben in Sicherheit. Die Autos waren groß, eckig, laut und verbrannten eine Menge vom damals noch recht billigen Benzin. Selbst in armen Ländern wie Kenia waren in neu erlangter politischer Unabhängigkeit große Fortschritte zu verzeichnen. Es passte nicht so recht ins Bild dieser Welt, nun die Auswirkungen des Systems in Frage zu stellen, welches sich soeben auf den Weg gemacht hatte, mit “Farbfernsehern für alle” den baldigen Niedergang der politischen Konkurrenz aus dem Osten verkünden zu können.
Fünf Faktoren trieben Meadows um
Sicherlich waren Meadows und der Club of Rome weit davon entfernt, mit Planwirtschaft oder ähnlichem zu sympathisieren, obwohl sich die Autoren diesen Vorwurf im Nachhinein gefallen lassen mussten. Die Realität war wohl eher, dass vielen Kritikern das Potential von Markt und Technologie weit weniger vertraut war als Meadows & Co., die in Harvard und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) promovierten. Was Meadows umtrieb, war die Sorge um das Zusammenspiel von fünf Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen, und die seit Anfang des 20. Jahrhunderts allesamt exponentiell wachsen: die sich ausweitende Industrieproduktion, Bevölkerungswachstum, steigender Ressourcenverbrauch, höhere Umweltbelastung sowie um sich greifende Hungersnöte.
An diesem Ansatz hat sich im 30-Year Update nichts geändert. Die Studie bringt damit eine Hauptthese der klassischen Ökonomie ins Wanken: Wachstum schafft Wohlstand für alle. 1998, so führen die Wissenschaftler an, lebten 45 Prozent der Weltbevölkerung von weniger als zwei Dollar pro Tag. Das sind mehr als noch 1990, obwohl es in dieser Periode ein zum Teil beeindruckendes Wachstum auch in Entwicklungsländern gegeben hat. Seit 1930 hat sich die Weltwirtschaft vervierzehnfacht, doch Armut gibt es heute mehr als je zuvor. Warum, so Meadows, “soll eine weitere Vervierzehnfachung der Weltwirtschaft nun also plötzlich die Armut beenden können?”
Die Tragfähigkeit der Erde wird überschritten
Stattdessen fragten sich die Wissenschaftler: Wie viel Wachstum ist auf der Erde überhaupt möglich und tragbar? Für wie viele Menschen bietet die Erde wirklich genügend Ressourcen und Lebensraum? Und wie groß ist dann der erreichbare Wohlstand? Die Überlegung ist denkbar schlüssig: Bei immer größer werdender Menschheit wird zunehmend Nahrung benötigt, um das eigene Überleben zu sichern. Fruchtbare Böden sind aber begrenzt und werden zudem von steigender Verschmutzung belastet. Um die Erträge halten zu können, werden Chemikalien eingesetzt – die Fruchtbarkeit sinkt dadurch mittelfristig noch weiter ab. Eine weiter steigende Bevölkerung jedoch entwickelt parallel eine immer höhere Nahrungsmittelnachfrage. Das System erlebt einen “Overshoot” – die Tragfähigkeit der Erde wird überschritten.
Der Kybernetiker Jay Forrester, ebenfalls vom renommierten MIT, lieferte das Werkzeug, mit dem die Untersuchung fundiert werden konnte. Das “World 3”-Modell wurde entwickelt. Heute heißt das Modell “World 3-03”, ist leicht modifiziert und dem neuesten Wissensstand angepasst. Es wird gefüttert mit der Bevölkerungsanzahl und ihrer Wachstumsrate, mit 12.400 Kubikkilometern verfügbarem Trinkwasser, mit etwa 2 – 4 Milliarden Hektar global bebaubarer Ackerfläche, mit Waldbestand samt Verringerungsrate – aber auch mit verfügbarem Kapital und allen anderen wichtigen Einflussfaktoren dieser Erde.
Dabei wird “World 3-03” den Wechselwirkungen der einzelnen Faktoren untereinander und möglichen Zeitverzögerungen gerecht. Es simuliert realitätsnah einen Zustand, in dem die einzelnen Reaktionen nicht mehr unabhängig verlaufen, sondern sich im Zusammenspiel in so genannten “Feedback-Loops” weiter verstärken oder abschwächen. Höheres Wirtschaftswachstum bedeutet mehr Ausgaben für Gesundheit, damit steigt das Lebensalter, und höhere Bildung senkt die Geburtenquote. Ebenso senkt nach einer Anpassungsphase von ein oder zwei Generationen Wirtschaftswachstum unmittelbar den Wunsch der Gesellschaft nach Kindern. Das Modell enthält also bei weitem nicht nur negative Faktoren, es spiegelt im Prinzip den Lauf der Dinge wieder, den die Menschheit in ihrer bisherigen Industrialisierungsgeschichte durchlebt hat.
Reichen die Ressourcen nur noch für 60 Jahre?
Meadows und sein Team haben sich zu Anfang der Modellversuche einen Vorversuch erlaubt, der uns aller Sorgen entledigen würde. Szenario “0” spielt die Situation durch, in der alle globalen physischen Grenzen entfernt wären. Es gibt fruchtbaren Boden und Wasser für alle, zudem wird jegliche Form von Verschmutzung von der Erde problemlos absorbiert. Das Ergebnis ist rosig: Die Weltbevölkerung steigt auf 9 Milliarden bis 2080 bevor das hohe Wohlstandsniveau sie anzahlmäßig wieder etwas abnehmen lässt. Bei dann 30-fachem industriellem Output werden immer noch jährlich die gleiche Menge unendlicher, nicht erneuerbarer Ressourcen verbraucht wie im Jahr 2000, und der Gesamtausstoß an Umweltverschmutzung beläuft sich auf ein Achtel des heutigen Standes.
Füttert man das Modell hingegen mit den heute real existierenden Daten und Grenzen, so geschieht Erstaunliches: Während auf dem Konsumniveau von 2000 die verbleibenden, nicht erneuerbaren Ressourcen in der Erde noch 60 Jahre reichen würden, so bedeuten der Anstieg der Weltbevölkerung bis 2020 um 20 Prozent und der Anstieg des Wirtschaftswachstums um 30 Prozent, dass in diesen zwanzig Jahren die gleiche Menge nicht erneuerbarer Ressourcen verbraucht werden, wie im gesamten 20. Jahrhundert zuvor. Geld müsste dann verstärkt aufgewendet werden, um die verbliebenen Bestände zu erschließen, oder Substitute zu entwickeln. Diese Mittel fehlen der Agrarwirtschaft und der restlichen Ökonomie als Investitionen. Der Output fällt ab, und mit Agrarproduktion und Industrieoutput sinken auch Wohlstand und Lebenserwartung.
Habe ich alles schon ausprobiert!
Kaum ist dies in der Studie niedergeschrieben, so scheint Meadows die Dramatik der Ergebnisse – für den Leser etwas leichter verdaulich – auch schon wieder relativieren zu wollen. Wie bei keinem der Szenarios, so betont er, handelt es sich auch bei diesem nicht um eine Vorhersage. Nein, es ist “noch nicht einmal die wahrscheinlichste aller Varianten”. Es ist lediglich der Versuch zu simulieren, was passiert, wenn alles so weiter läuft wie bisher. Ernüchterung macht sich breit. Wirklich unwahrscheinlich erscheint die Variante damit nicht. Wie ein roter Faden zieht es sich durch die Grenzen des Wachstums, dass Meadows und sein Team Optimismus verbreiten, niemals die Unveränderbarkeit der Dinge ausrufen, stets eine Alternative zur Hand haben.
Dabei scheint Meadows mit jedem weiteren Szenario dem nächsten “Ja, aber...!” seiner Kritiker zuvorzukommen, um – fast unangenehm berührt – zu zeigen: “Habe ich alles schon ausprobiert! Die Lösung ist es auch nicht!” Im nächsten Modellversuch nimmt er also an, dass unter der Erde doppelt so viele Ressourcen schlummern wie heute vermutet – und tatsächlich, die Periode des Wachstums verlängert sich um 20 Jahre. Danach jedoch fallen Wohlfahrt und Wirtschaftswachstum genauso ab, wie im Szenario zuvor.
Dem stärksten aller Gegenargumente wenden sich die “Grenzen des Wachstums” ausführlich zu: Kann uns technologischer Fortschritt eine Alternative zu Kollaps und Beschränkung bieten? Für Markt- und Technologiefanatiker ist die Antwort klar: Entsteht Knappheit einer Ressource oder Verschmutzung in einem Bereich, so entstehen Kosten, die der perfekte Markt in höheren Preisen widerspiegelt. Ist das knappe Gut oder die Ursache der Verschmutzung verteuert, so provoziert dies Reaktionen. Forschungsabteilungen beginnen den Wettlauf um das beste Alternativprodukt, oder Reinigungsfilter gegen die Verschmutzung werden erfunden. Sind die Produkte erst entwickelt, werden sie gegeneinander auf dem Markt wettstreiten. Das Produkt, welches die Knappheit oder Verschmutzung am besten überwinden kann, setzt sich durch. Die Technologie löst damit das Problem.
Ein solcher Vorgang ist für Meadows in der Tat vorstellbar, sofern die Reaktion schnell genug einsetzt und finanzielle Mittel vorhanden sind. Viele technische Entwicklungen sind daher bereits im Weltmodell enthalten, wie etwa eine “grüne Revolution” in der Landwirtschaft. Über dies hinaus möglichem technischem Fortschritt gönnt Meadows jeweils ein eigenes Szenario. Was passiert, wenn alle Materialien nahezu vollständig recycelt werden könnten? Was, wenn der Landertrag noch einmal verdoppelt werden könnte, und vielleicht sogar noch ein weiteres Mal? Was würde passieren, wenn Emissionen um jährlich vier Prozent gesenkt werden könnten? Selbst bei diesen Annahmen kommt Meadows immer wieder zu dem Ergebnis, dass Grenzen noch innerhalb dieses Jahrhunderts überschritten werden und die Gesellschaft in einer Kettenreaktion an Wohlfahrt verliert. Auslöser ist zunächst mangelnde Nahrung, dann ist es die Bodenerosion. Um dies zu verhindern wird zuletzt so viel Kapital in die Entwicklung neuer Technologien gelenkt, dass es in anderen Bereichen fehlt. Allein der technologische Fortschritt kann also den Karren nicht aus dem Dreck ziehen.
Nach neun Anläufen die theoretische Lösung
Doch wiederum relativiert Meadows die Ergebnisse. Ob die Szenarien, so wie das Modell sie simuliert, auch nur annähernd genau eintreten, wisse er nicht. Auch hält er es für denkbar, dass sich die zeitlichen Horizonte verschieben. Dennoch sei eines in jedem Fall aus dem Modell mitzunehmen: Technologie kann globale Grenzen nicht aus der Welt schaffen! Sie kann sie nur dehnbarer machen, oder die Entwicklung auf eine Grenze hin verzögern. Besonders bei exponentiellem Wachstum, so resümiert Meadows die Ergebnisse, “erscheint jedoch die nächste Grenze erstaunlich schnell am Horizont”.
Der offensichtlich einzige Lösungsansatz ist eine Kombination aus Technologie, einer globalen Geburtenrate von durchschnittlich zwei Kindern pro Frau und einem stabilen Wirtschaftsoutput für jedermann von etwa 110 Prozent des Niveaus des Jahres 2000. So modifiziert, ergibt sich für das letzte Szenario der Grenzen des Wachstums endlich der ersehnte, langfristig stabile Zustand auf relativ hohem Wohlfahrtsniveau. Nach neun Anläufen ist also zumindest die theoretische Lösung des Problems erreicht.
Doch was hat dies für Implikationen? Sind wir im Stande, ökonomischen Output auf einem bestimmten Niveau zu stabilisieren? So wie die Wirtschaft heute funktioniert, ist sie nicht nur vom Menschen selbst geschaffen, sie spiegelt auch ureigene Charaktereigenschaften der Menschheit wider. Das Streben nach Wachstum ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als das Streben nach Verbesserung der eigenen Lebensumstände. Von der Erfindung des Rades über die Bronzezeit bis zu den vielen Innovationen der Neuzeit folgte menschliches Handeln stets diesem Ideal. Würde damit nicht sogar Individualismus und Kreativität einer Gesellschaft verloren gehen? Meadows sähe kreatives Handeln auch in einer solchen Gesellschaft nicht auf verlorenem Posten. Gerade die Suche nach qualitativer Verbesserung der Lebensumstände würde viel mehr von den Menschen abfordern als der wachstumsorientierte Status quo.
Dennoch sind wir heute – gerade da sich Wirtschaftswachstum nicht mehr so selbstverständlich generiert wie noch vor 20 oder 30 Jahren – von den jährlichen Statistiken unseres Volkeinkommens abhängiger denn je. Allein die Vorstellung eines Paradigmenwechsels – weg vom Wirtschaftswachstum, hin zu Stabilität – ist viel zu abstrakt, um sich eine solche Gesellschaft wirklich ausmalen zu können. Doch Gedanken darauf zu verwenden, was die unfreiwillige Endlichkeit von Wachstum für Folgen hätte, und wie man diesen schon heute entgegentreten könnte, muss ja trotzdem nicht dumm sein. Ein politisches Klima zu schaffen, in dem die Lösung eines Problems Priorität hat und Kooperation betrieben wird, statt sie nur zu proklamieren, wäre ein Schritt, der eine Gesellschaft befähigen kann, auf kritische Veränderungen adäquat zu reagieren.
Umweltbewegung und Freihandelskonzept
Ein Jahr nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe der Grenzen des Wachstums bescherte 1973 die erste Ölkrise dem Buch die nötige Aufmerksamkeit. Sie bewies: Die Ressourcen waren tatsächlich endlich. Seitdem entstanden in vielen Ländern der Welt Umweltministerien, Privatinitiativen gründeten sich und Klimakonferenzen wurden veranstaltet. Vor dreißig Jahren begann auch der globale Siegeszug des Freihandelskonzepts. Anders als die Botschaften der Grenzen des Wachstums sind die Botschaften des Freihandelskonzeptes heute in aller Munde und werden überall in der Welt in politisches Handeln umgesetzt. “Warum haben die Grenzen des Wachstums es nicht ebenso geschafft, Politiker für die beschriebenen Ziele kämpfen zu lassen?”, fragt Meadows ganz am Anfang des Buches. Die neue Ausgabe ist ein weiterer Versuch, diesen Missstand zu beseitigen.
Donella Meadows, Joergen Randers und Dennis Meadows, Limits to Growth: The 30-Year Update, Vermont: Chelsea Green Publishing 2004, 338 Seiten, 19,50 Euro bei amazon.de oder US $ 15,75 plus Versand bei amazon.com