Der ökonomische Charme der Familie

Renate Schmidt und Liz Mohn preisen die Allianz für Familie an - mit guten Gründen

Während die Konsenspolitik der Regierung Schröder - angefangen beim gescheiterten "Bündnis für Arbeit" - an ihre Grenzen gestoßen zu sein scheint, gelingt Renate Schmidt Erstaunliches. In ihrer "Allianz für Familie" hat es die Familienministerin tatsächlich geschafft, die Wirtschaft mit ins Boot zu holen und mit ihr einen wichtigen Verbündeten zu gewinnen. In dem Ziel, die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur in Deutschland nachhaltig auszubauen, sind sich alle Beteiligten der Allianz offensichtlich einig. Dass es diesen Konsens gibt, ist die wichtigste Erkenntnis aus dem von Renate Schmidt gemeinsam mit Liz Mohn herausgegebenen Band Familie bringt Gewinn.

Die wesentlichen Rahmendaten liefern die Bertelsmann-Gesellschafterin und die Familienministerin in ihrem Vorwort. Es bestehe in Deutschland zwar eine große Wertschätzung für die Familie, trotzdem sei die Geburtenrate hierzulande äußerst niedrig, was zu einem erheblichen Bevölkerungsschwund und entsprechenden ökonomischen Folgen führen werde. Der Blick ins Ausland belege, dass eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen mit einer hohen Geburtenrate einhergehe. Deshalb zahlten sich Investitionen in die Kinderbetreuung finanziell aus.

Die 17 Aufsätze des Buches unterstützen diese Annahmen der beiden Herausgeberinnen durchweg, indem sie die entscheidenden Rahmenzahlen ihrerseits noch einmal notieren. Das mag angesichts der völlig unterschiedlichen Hintergründe der Autorinnen und Autoren - zumeist Arbeitgebervertreter, Gewerkschafter oder Wissenschaftler - erstaunen. Aber offensichtlich sind die Fakten inzwischen so klar und so unbestreitbar, dass kaum noch ernstzunehmend gegen sie argumentiert werden kann: Wir brauchen eine erhebliche Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im Übrigen sind sich darin nicht nur die Expertinnen und Experten einig, sondern auch eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung unterstützt diese Politik: Die Menschen fordern mehr Investitionen in Bildung und Betreuung. Das belegt in seinem Beitrag Jürgen Kluge von der Prognos AG.

Zentral herausgehoben wird in diesem Band die Rolle der Wirtschaft, die Notwendigkeit einer "familienfreundlichen Unternehmenskultur und Arbeitswelt". Siegmar Mosdorf, ehemaliger Staatssekretär im Bundeswirtschaftministerium, stellt dar, wie sehr der staatliche Einfluss in den letzten Jahren zu Gunsten des Einflusses der Wirtschaft zurückgegangen sei. Deswegen sei die Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft unabdingbar. Mosdorf lobt den ?neuen Politiktypus", wie er in der Allianz für Familie ausprobiert werde.

Erfrischender Widerspruch von der Juniorin

Während die Politik auch angesichts leerer Kassen auf den Beitrag der Wirtschaft setzt, formuliert Roland Berger die Sache andersherum: Die Unternehmen dürften nicht allein gelassen werden; sie benötigten die Unterstützung der Politik. Volkswagen-Vorstand Peter Hartz wiederum lobt in seinem Beitrag besonders die Arbeitszeitverkürzung. Die 28,8-Stunden-Woche bei VW sei in Verbindung mit mehr Arbeitszeitsouveränität zur "work-life balance" ausgebaut worden.

Forderungen nach längerer Arbeitszeit, wie sie in jüngerer Zeit quer durch die Parteien beliebt geworden sind, erheben in diesem Buch übrigens weder Christine Licci, die ehemalige Deutschland-Chefin der Citibank, noch DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun oder Arbeitgeberchef Dieter Hundt. Ist darob der Verdacht berechtigt, es handele sich nur um eine Ansammlung von Sonntagsreden? Mitnichten! Denn es werden durchaus praktische Beispiele dafür aufgezeigt, wie eine familienfreundliche Arbeitswelt entstehen kann: flexible Arbeitszeiten, Programme zur Wiedereingliederung, Hilfen bei der Kinderbetreuung, alternierende Telearbeit und auch mehr ?work-life balance" im Management. Die Gewerkschafter Michael Sommer und Hubertus Schmoldt widersprechen dabei nicht - ihre Ansätze zielen zu großen Teilen in dieselbe Richtung. Erfrischender Widerspruch kommt hingegen von der Wirtschaftsjuniorin Dominique Döttling. Sie fragt, warum Familienfreundlichkeit in der Praxis so oft scheitert - und stellt fest, dass es noch immer überwiegend im traditionellen Familienbild groß gewordene Männer sind, die allenthalben das Sagen haben.

Der alte Sozialstaat kommt zu gut weg

Die Autorinnen und Autoren des Buches argumentieren gegenüber den Unternehmen vorwiegend mit betriebswirtschaftlichen Kosten. Dabei werden besonders die hohen Kosten herausgestellt, die bei einer Wiedereingliederung nach langer Elternzeit in den Beruf entstehen. Insgesamt geht das Buch jedoch zu wenig auf die Hemmnisse ein, die das Steuer- und das Sozialsystem vor einem Wiedereinstieg in den Beruf aufbauen. Ob es sich nun um die ungünstige Steuerklasse V handelt, um die kostenlose Mitversicherung in der Krankenkasse oder überhaupt um den auf den "Familienernährer" ausgerichteten Sozialstaat - diese Aspekte der Diskussion bleiben ausgespart.

Den einzigen Vorschlag zu einer substanziellen Änderung auf dem Gebiet der sozialen Transfers machen Sandra Gruescu und Bert Rürup. In fast schon überzeichnet ökonomistischer Sprache fordern sie, dass "die Opportunitätskosten von Kindern verringert werden" müssten. Die genauen Kosten können sie nicht benennen, sie lägen irgendwo unterhalb von 100 Prozent des letzten Nettolohnes, da "Kinder einen individuellen Nutzen für die Eltern stiften". Sie fordern ein Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des letzten Nettogehalts, was etwa 4,3 Milliarden Euro jährlich koste. Nach gutem schwedischem Vorbild sollen jedem Elternteil jeweils drei Monate Elterngeld zustehen, zusätzliche sechs Monate können frei aufgeteilt werden. So interessant dieser Vorschlag einer Lohnersatzleistung zur Gleichstellung der Geschlechter auch ist, erscheint er doch kaum finanzierbar. Die Kosten für den Aufbau einer Betreuungsinfrastruktur soll er jedenfalls nicht reduzieren, da das Elterngeld nur ein Jahr gezahlt wird.

C. Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt in ihrem Beitrag, dass der volkswirtschaftliche Gewinn einer Investition in Kindertageseinrichtungen die Kosten um ein Vielfaches übersteigt. Bereits die Beschäftigung erwerbswilliger Mütter mit akademischer Ausbildung würde für die öffentlichen Kassen Einnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bedeuten. Hinweise, wie es den Stadtverwaltungen gelingen könnte, Kinderbetreuung nicht als kurzfristig ?konsumtive" Ausgabe, sondern als investive Zukunftsausgabe - wie etwa beim Bau einer Straße - zu behandeln, sind bei Spieß allerdings nicht zu finden.

Pädagogisch hochwertige Kinderbetreuung führe zudem zu Einsparungen: bei den Sonderschulen, bei der Jugendhilfe, der Integration von Einwanderern, bis langfristig hin zur Kriminalitätsvermeidung. Diesen Nutzen zu beziffern wagt das DIW indes nicht. Belegt sei freilich, dass die Rendite einer frühen kindlichen Förderung und Erziehung höher sei als die bei Erziehungsleistungen zu einem späteren Zeitpunkt.

Die kulturelle Dimension einer kinderfreundlicheren Gesellschaft beschreibt Jutta Limbach, Präsidentin des Goethe-Instituts. ",Neue Väter′ braucht das Land", fordert sie unter anderem und beklagt den bei fortschrittlich eingestellten Männern erkennbaren Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, aber auch das Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Erwerbseinkommen. Die ehemalige Verfassungsgerichtspräsidentin hält darüber hinaus ein Plädoyer gegen den Trend zum Einzelkind. Zwar muss auch Jutta Limbach konstatieren, dass dieser Trend in Deutschland überhaupt noch nicht feststellbar sei, sondern einer zur Kinderlosigkeit. Sie zitiert jedoch die Spekulation eines US-Forschers, dass es im Jahre 2050 keine Geschwisterkinder mehr geben werde. "Geschwister multiplizieren die Liebe", antwortet sie auf dieses Szenario. Leider nicht erwähnt wird hingegen, dass die alten Vorurteile, denen zufolge Einzelkinder kontaktärmer, unsozialer, durchsetzungsunfähiger und weniger einfühlsam seien, längst durch die Forschung widerlegt wurden.

So lassen es die jungen Frauen einfach bleiben

Der Publizist Warnfried Dettling stellt fest: "Je überzeugender die Rhetorik der Familienwerte, je mehr auch junge Frauen sie verinnerlicht haben, umso eher werden sie sich fragen, ob sie zu diesen Familienwerten aufleben können." Das gelte besonders für gut ausgebildete Frauen, "die auch noch etwas Anderes vom Leben erwarten. Und so lassen sie es denn einfach bleiben: Kinder und Familie."

Dettling weist darauf hin, dass in Ländern wie Deutschland, Italien, Japan, Österreich und Spanien - dort also, wo die Kirche einen starken Einfluss ausübe - typischerweise abstrakte Wertedebatten über die Familie geführt würden. Dass diese geburtenschwachen Länder alle zugleich auf eine faschistische Vergangenheit im 20. Jahrhundert zurückblicken, erwähnt er nicht, obgleich hier interessante Zusammenhänge zu existieren scheinen. In kinderreichen Nationen wie den Vereinigten Staaten, Frankreich und den nordischen Ländern würden dagegen "die ′Hürden′ für Kinder und Familien kulturell und politisch niedrig gehängt". Insgesamt wirbt der Band für den ökonomischen Charme der Familie und ergänzt die aktuelle Debatte um mehr Bildung und Betreuung von Anfang an um gute Argumente. Ein umfangreicher Serviceteil bereitet die wichtigsten Daten, Adressen und Literaturhinweise zum Thema auf.


Renate Schmidt und Liz Mohn (Hrsg.), Familie bringt Gewinn: Innovation durch Balance von Familie und Arbeitswelt, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2004, 201 Seiten, 25 Euro

zurück zur Person