Ohne Arbeit keine Rente
Die durchschnittliche Altersrente von Frauen liegt deutlich unterhalb des Niveaus der Grundsicherung. Selbst wenn einige Rentnerinnen eine zusätzliche Witwenrente beziehen, sind die Bezüge besonders in Westdeutschland häufig so niedrig, dass sie für ein eigenständiges, auskömmliches Leben im Alter nicht ausreichen. Dieses Problem treibt die frühere Familienministerin Renate Schmidt seit Jahren um. Gemeinsam mit Helma Sick, einer unabhängigen Finanzberaterin für Frauen, hat sie nun ein starkes Plädoyer für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen verfasst: Ein Mann ist keine Altersvorsorge.
Papa Vollzeit, Mama zu Hause
Anhand anschaulicher Beispiele und aktueller Zahlen zeigen die beiden Autorinnen, dass sich auch heute noch zu viele junge Frauen nach der Geburt ihrer Kinder dafür entscheiden, ihre Arbeitszeit langfristig zu reduzieren oder sogar ganz aus dem Beruf auszusteigen, um mehr für die Familie da zu sein. Das Allensbach-Institut hat im vergangenen Jahr eine Umfrage zur Aufgabenverteilung in Familien mit Kindern unter drei Jahren durchgeführt. Das Ergebnis: In 71 Prozent der Familien arbeiteten beide Partner vor der Geburt des ersten Kindes in Vollzeit. Nach dem Ende der Elternzeit entscheiden sich aber 63 Prozent der Paare in den alten Bundesländern dafür, dass die Frau nur noch stundenweise oder gar nicht mehr arbeitet, während der Mann weiter Vollzeit beschäftigt bleibt. In den neuen Bundesländern wählen nur 26 Prozent der Befragten diese Aufteilung.
Die Entscheidung für die unbezahlte Fürsorgearbeit kann sich im Alter rächen. Ehen werden geschieden, Ehepartner sterben. Zurück bleibt eine finanziell nicht abgesicherte Frau, die sich keine nennenswerte eigene Rente mehr erarbeiten kann.
Sehenden Auges in die Teilzeitfalle
Renate Schmidt und Helma Sick plädieren deshalb für bessere Rahmenbedingungen, die es Frauen ermöglichen, ein eigenes Einkommen und eine eigene auskömmliche Rente zu erzielen. Konkrete Forderungen richten sie an den Gesetzgeber und die Arbeitgeber – aber auch an die Frauen selbst, die allzu häufig sehenden Auges in die Teilzeitfalle laufen. Die Autorinnen verlangen die Abschaffung der steuerlichen Privilegierung der Ehe, um die Einverdienerehe finanziell unattraktiver zu machen: weg mit dem Ehegattensplitting, weg mit der kostenfreien Mitversicherung der Ehefrau in der gesetzlichen Krankenversicherung, weg mit der beitragsfreien Witwenrente! Her mit den Kindergärten, den Ganztagsschulen und der familienfreundlichen Infrastruktur! Zugleich müssen die Arbeitgeber, so Schmidt und Sick, endlich familienfreundlichere Arbeitszeiten und Arbeitsmodelle anbieten. Außerdem sollten die Frauen ihr Leben in die eigene Hand nehmen und die Familienphase als das sehen, was sie ist: eine Zeit in einem vermutlich langen Leben, das auch nach den Kindern weitergeht. Renate Schmidt und Helma Sick ermutigen Frauen, sich im Beruf zu engagieren, für ihre Rechte einzutreten, finanziell unabhängig zu bleiben und – besonders wichtig – ihre Partner gleichberechtigt in die Verantwortung für die Familie einzubeziehen.
So notwendig dieses Plädoyer ist – die Autorinnen setzen darauf, das klassisch männliche Vollzeit-Arbeitsmodell auf die Frauen zu übertragen. Frauen sollen das tun, was Männer schon lange machen: voll arbeiten, um finanziell unabhängig zu sein. Dass dieses Modell viele Frauen (und auch Männer) allerdings dauerhaft an den Rand der Belastbarkeit bringt, zeigt die lebendige Diskussion über zwei weitere aktuelle Bücher: Die Alles ist möglich-Lüge (Susanne Garsoffky und Britta Sembach) und Geht alles gar nicht: Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können (Marc Brost und Heinrich Wefing). Beide Bände beschreiben das Lebensgefühl moderner Paare, die zwischen Vollzeitjob und Familie aufgerieben werden.
Dieses Leben ist nicht erstrebenswert
Immer müssen Terminkalender abgeglichen werden; die „quality time“ für Kinder und Partner wird vorab festgelegt; und die Hausarbeiten übernehmen Dienstleister. Ein solches Leben, bei dem es keine Ausfälle und unvorhergesehene Ereignisse geben darf, ist für viele Paare nicht dauerhaft erstrebenswert. Ebenso wenig wollen sie aber in die klassischen Rollenmuster zurückkehren. Es bleiben also viele Fragezeichen, wie ein Leben mit eigenständiger Erwerbsarbeit und Fürsorge für die Familie im 21. Jahrhundert möglich sein soll.
Manuela Schwesigs bestechende Idee
Die Politik muss Möglichkeiten schaffen, Beruf und Familie so zu vereinbaren, dass die jungen Eltern ohne immer neue Alltagsoptimierungsstrategien auskommen, aber dabei nicht in die Teilzeitfalle tappen. Familienministerin Manuela Schwesig wurde 2014 von der Bundeskanzlerin zurückgepfiffen, als sie offensiv für neue Familienarbeitszeitmodelle warb. Dabei war und ist ihre Idee bestechend gut. Sie würde das Leben vieler Paare in der „Rushhour des Lebens“ entlasten, der kurzen und besonders vollgestopften Zeit im Alter zwischen Ende 20 und Ende 30.
Schwesigs Vorschlag: Nach der Elternzeit sollen Eltern kleiner Kinder die Möglichkeit haben, etwa 30 Stunden zu arbeiten. Der entstehende Lohnausfall wird mittels staatlicher Leistungen ausgeglichen. Ein solches Modell fördert die Erwerbstätigkeit von Frauen – und kann nebenbei die gerechtere Verteilung der (unbezahlten) Haus- und Familienarbeit bewirken. Denn auch in Familien, in denen beide Partner Vollzeit arbeiten, erledigen meistens die Frauen den größeren Teil der Hausarbeit. Reduzieren jedoch beide Partner ihre Arbeitszeiten moderat, bleibt mehr Zeit für die Kinder und die Hausarbeit, während kein Elternteil fürchten muss, im Job den Anschluss zu verlieren.
Eine gerechtere Verteilung der Erwerbs- und der Familienarbeit zwischen den Geschlechtern würde das drängendste Problem, das berufstätige Paare mit Kindern haben – die knappe Zeit und der permanente Druck – pragmatisch lösen. Viele Frauen könnten mehr arbeiten, ein eigenes Einkommen erzielen und sich eine auskömmliche Rente sichern. Das Ziel von Renate Schmidt und Helma Sick wäre damit erreicht.
Helma Sick & Renate Schmidt, Ein Mann ist keine Altersvorsorge: Warum finanzielle Unabhängigkeit für Frauen so wichtig ist, München: Kösel-Verlag 2015, 224 Seiten, 16,99 Euro