Die Affenfallen des Kapitalismus
Mit Consumed widmet sich Barber erneut der Verfassung des zeitgenössischen Kapitalismus. Im Zentrum seiner Untersuchung steht dabei der Begriff der Infantilisierung. Materialreich schildert er in freudianisch geprägter Terminologie, wie die Mechanismen des Marktes Lebenswelten immer umfassender durchdringen, Kinder manipulieren und die „Regression bei Erwachsenen“ befördern. Die Situation des Verbrauchers in der „Ära des globalen Konsumismus“ fasst Barber in das Bild der afrikanischen Affenfalle: Die Falle besteht aus einem Pfahl mit einer Öffnung zu einem Behälter, in dem sich eine verlockend große Nuss befindet. Sobald der Affe die Nuss umklammert hat, passt seine Faust nicht mehr durch die Öffnung. Um wieder freizukommen, müsste er die Beute nur loslassen. Aber das tut er nicht – der Verbraucheraffe sitzt in der Falle seiner Begierde, unfähig, seine auf Freiheit zielende Präferenz zweiter Stufe gegenüber der auf die Nuss gerichteten Präferenz erster Stufe zur Geltung zu bringen.
Benjamin Barbers Analysen sind subtiler als das plakative Bild der Affenfalle nahe legt. Und doch überrascht das Abstellen auf eher simple psychoanalytische Kategorien in einer politiktheoretischen Untersuchung zunächst, ebenso wie die deutlichen Anleihen bei Herbert Marcuses Klageschrift über den „eindimensionalen Menschen“. Barber macht allerdings schnell deutlich, dass es ihm nicht allein um eine Übung in allgemeiner Kulturkritik geht.
Infantilisierung und Kommerzialisierung
Dem von einem „infantilistischen Ethos“ – immer einfacher, immer schneller – getragenen Konsumkapitalismus stellt er in einer an Max Weber orientierten historischen Typologie den „produktivistischen Kapitalismus“ früherer Zeiten gegenüber. Skizzenhaft, aber durchaus erhellend beschreibt Barber, wie aus einer produktionsorientierten, reale Bedürfnisse befriedigenden Marktwirtschaft die markengetriebene schöne neue Ökonomie der Gegenwart hervorging. Als Triebkraft dieser Wandlung identifiziert er die globale Ungleichheitsproblematik. Da die wohlhabenden Erwachsenen der westlichen Welt saturiert seien und die Bedürftigen der Dritten Welt ohne Kaufkraft, verlege sich der Kapitalismus zunehmend auf die Herstellung von immer neuen Bedürfnissen via Marketing und Branding. In Barbers Sicht entfaltet dabei das Geschwisterpaar aus Infantilisierung und Kommerzialisierung seine bedrohliche Wirkung: Markenidentitäten verdrängen traditionell vorgegebene ebenso wie frei gewählte Zugehörigkeiten, erobern den gesellschaftlichen Raum, dringen „bis ins Innerste“ vor.
Gefährdet sieht Barber vor diesem Hintergrund nicht nur den Kapitalismus selbst, sondern vor allem die Basis der Demokratie. Das konsumistische Versprechen einer immer größeren Wahlmöglichkeit leiste der „Ideologie der Privatisierung“ Vorschub. In einer Republik reiner Verbraucher würden die Sphäre der öffentlichen Entscheidung, soziale Zusammenhänge und Kosten vollständig ausgeblendet. Um im Bild zu bleiben: Wo die Präferenz für die Nuss zu sehr dominiert, ist die Res publica akut gefährdet. „Das Private verhält sich zum Öffentlichen wie das Kindliche zum Erwachsenen“, lautet einer der Kernsätze des Buches. Ein rousseauistisch geprägter positiver Freiheitsbegriff schimmert unter ihm durch. Staatsbürgerliche Freiheit in einer Demokratie ist für Barber wesentlich Freiheit zur Mitwirkung an kollektiven Entscheidungsprozessen, nicht bloß Freiheit von staatlicher Bevormundung.
Die Diagnose fällt erwartungsgemäß leichter als die Therapie. Subkulturelle Strategien gegen den Konsumismus – Kreolisierung, Karnevalisierung, Spaßguerilla – erörtert Barber nicht ohne Sympathie, wenngleich er die Aussichten angesichts der Machtverhältnisse in der „McWorld“ skeptisch beurteilt. Erfolg versprechender scheinen ihm marktimmanente Rezepte, die an der globalen Ungleichheitsproblematik ansetzen und auf eine „produktivistische“ Rückwendung des Kapitalismus zielen (Mikrokredite zum Beispiel). Aber auch in dieser Hinsicht bleibt die Prognose vage und verhalten. Unterhalb der Schwelle einer globalisierten Demokratie vertraut Doc Barber den Selbstheilungskräften des Kapitalismus letztlich nicht.
Die öffentlichen Güter der Erwachsenenwelt
Consumed ist ein Buch mit Schwächen, methodisch mitunter eklektisch und inhaltlich nur in Teilen originell. Ganz kommt die Kritik des Konsumismus um das – mit der Zuschreibung falschen Verbraucher-Bewusstseins verbundene – Paternalismus-Problem nicht herum: Wer entscheidet, ob meine Präferenzen „legitim“ oder manipuliert sind? Barber greift in diesem Kontext Argumentationsmuster der älteren Frankfurter Schule erstaunlich unbefangen auf. Horkheimer und Adorno lassen nicht selten grüßen; passagenweise liest sich der Band wie eine populäre „Dialektik der Aufklärung 2.0“.
Trotz mancher Vorbehalte lohnt die Lektüre. Barber verbindet einen großflächigen Ansatz mit einer stringenten und anschaulichen Schreibweise. Ins Doktrinäre gleitet er nie ab. Die Befunde zur Infantilisierung untermauert Barber durchaus plausibel und eindrucksvoll, wobei sich die primär amerikanische Perspektive auch europäischen Lesern gut erschließt. Sein Buch ist eine vehemente Streitschrift für die „öffentlichen Güter der Erwachsenenwelt“, für diejenigen Sphären – kritisches Denken, bürgerschaftliches Engagement –, die mit einer Logik des Konsums nicht vereinbar sind. Dass er mit diesem Plädoyer einen wunden Punkt zeitgenössischen Marktwirtschaftens trifft, lässt sich ernsthaft kaum bestreiten.
Benjamin R. Barber, Consumed: Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt, München: Verlag C.H.Beck 2008, 395 Seiten, 24,90 Euro