Die dritte Wiederkehr des Cavaliere
In Wirklichkeit sieht Italiens Zukunft rosiger aus, als man vermuten könnte. Denn die Wahlen haben viel Neues gebracht. Zwei neue große Parteien. Das Verschwinden der Kommunisten. Ein gelichtetes Parlament. Aber auch den Erfolg der Lega Nord. Zwar wird sich erst noch zeigen, welche dieser Phänomene nachhaltig sein werden und welche sich von selbst erledigen. Dennoch: Alle diese Entwicklungen bieten hier und heute Chancen, die ergriffen werden können, um die Kränklichkeiten des politischen Systems Italiens abzumildern oder sogar zu heilen.
Die Ausdünnung der Parteienlandschaft begann bereits im Oktober vergangenen Jahres mit der Neuordnung der italienischen Linken: Die Ex-Ex-Kommunisten der Demokratischen Linken und die sozialkatholische Margherita-Partei schlossen sich zur Partito Democratico (Pd) zusammen. Parteichef Walter Veltroni hatte verstanden, dass die Linke sich von Grund auf reformieren musste. Zu wenig hatten sich die Nachfolger der Kommunisten inhaltlich erneuert. Neue Entwicklungen aufgreifen und Tabus brechen – das hatte man seit den neunziger Jahren den Parteien rechts der Mitte überlassen (wenngleich auch sie diese Aufgabe sträflich vernachlässigten). Doch nun knüpfte die Demokratische Partei an sozialdemokratische Vorbilder an und warb für reformistisch-progressive Politik. Nur wurde die langfristig angelegte Strategie von den tatsächlichen Entwicklungen überholt. Nachdem im Februar eine Kleinstpartei aus der heterogenen Mitte-Links-Koalition unter Regierungschef Romano Prodi ausgeschert war, sah sich die Demokratische Partei früher als geplant mit Neuwahlen konfrontiert.
Veltroni setzte auf Risiko
Daraufhin setzte Veltroni erneut auf Risiko. Weil zur inhaltlichen Erneuerung auch eine Überprüfung alter Bündnispartner gehört und weil er verstanden hatte, dass Italien eine stabile Regierung brauchte, um die lange drängenden Probleme anzugehen, entschied er sich dafür, mit nur einer Partei anzutreten – obwohl das italienische Wahlrecht vor der Wahl eingegangene Listenverbindungen mit einem Mehrheitsbonus prämiert. Damit tat die demokratische Partei den ersten Schritt, die italienische Parteienlandschaft auch ohne die seit Jahren immer wieder verschleppte Reform des Wahlgesetzes zu revolutionieren. Im Wahlkampf war dieser Neuigkeitsfaktor das zentrale Pfund, mit dem Veltroni zu wuchern versuchte. In seiner Kampagne wiederholte er gebetsmühlenartig eine zentrale Botschaft: „Wir sind die neue, progressive Kraft! Wir trauen uns was!“ Zugleich versuchte Veltroni, sich auch stilistisch vom politichese, dem in Italien verhassten Politiksprech, sowie vom Gezänk der etablierten Politik abzusetzen. Er bot Dialog an, wo die Linke zuvor noch gegen den Verführer Berlusconi polemisiert hatte.
Sein Mut zum Risiko hat Veltroni viel Respekt eingebracht. Und das, obwohl die Niederlage des Pd überraschend deutlich ausfiel. Auf die Anklagebank der Wahlanalytiker geriet nicht Veltroni selbst, sondern Regierungschef Prodi. Dessen Schatten hatte den Wahlkampf belastet und das linke Projekt diskreditiert. Veltroni dagegen, so die gängige Interpretation, habe eine Niederlage in Kauf genommen, um in einer fast ausweglosen Situation zumindest klar mit der Vergangenheit zu brechen und innerhalb der Linken aufzuräumen. Eine „Investition in die Zukunft“ nannte Ex-Staatspräsident Carlo Ciampi Veltronis Wahlkampf.
In der Tat hat Veltroni den Partito Democratico durch die klare Abgrenzung zum Arcobaleno-Bündnis der radikalen Linken als einzige starke Mitte-Links-Partei etabliert. Er selbst bestreitet zwar, der „Killer“ des Regenbogens zu sein. Doch unbestritten trug er zu dessen Wahlniederlage bei. Merkwürdig altbacken nahm sich die extreme Linke neben den frischen Botschaften des Pd aus, und Veltronis klarer Abgrenzungskurs sowie sein Mantra des voto utile ließen Stimmen für die radikale Linke als verschenkt erscheinen. Das Ergebnis: Der Pd ist nun die zweitstärkste Partei im Parlament, die radikale Linke schaffte es mit Verlusten von über sieben Prozent weder in den Senat noch in die Abgeordnetenkammer. Es ist das Ende einer Ära, schließlich waren die Kommunisten seit 1945 durchgängig im italienischen Parlament vertreten gewesen. Das Wahldebakel setzte einen Schlusspunkt unter den italienischen Kommunismus, der zu einer zänkischen Splittergruppe alter Männer verkommen ist und als gestaltende Kraft längst abgedankt hat.
Mit zugehaltener Nase für Berlusconi
Statt Neuanfang und Risiko haben die italienischen Wähler auf Stabilität gesetzt und nunmehr zum dritten Mal den höchst umstrittenen Silvio Berlusconi zum Ministerpräsidenten gewählt. Für viele Wähler schien es ganz einfach keine andere Wahl zu geben. Sie stimmten weniger aus Überzeugung, denn aus gefühlter Alternativlosigkeit für Berlusconi – mit zugehaltener Nase und einem kleinen Fünkchen Hoffnung. Prodis Erfolglosigkeit hatte den fünfjährigen Stillstand unter Berlusconi vergessen gemacht. Immerhin hatte Berlusconis Regierung als erste in der Geschichte der Italienischen Republik eine volle Legislaturperiode überdauert, was ihn als so etwas wie den Garanten für Stabilität erschienen ließ. Nicht unwichtig mag auch Berlusconis beeindruckender unternehmerischer Erfolg gewesen sein: Wenn er sein Unternehmen Mediaset so weit gebracht hat, warum sollte er dann nicht das Land sanieren können? Schließlich profitierte Berlusconi von der Unzufriedenheit mit der politischen Klasse, obwohl er dieser seit knapp zwei Jahrzehnten selbst angehört. Dabei schadeten ihm auch seine zahlreichen Konflikte mit der Justiz nicht.
Ausschlaggebend für Berlusconis erneuten Wahlerfolg scheint jedoch gewesen zu sein, dass er die Gemütslage seiner Wähler sehr viel besser traf als sein Konkurrent Veltroni. Berlusconi fällt es leichter, auf Stimmungen zu reagieren, schon weil er an keine innerparteiliche Willensbildung gebunden ist – der letzte Kongress der Forza Italia fand 1994 statt! So konnte er quasi im Handstreich die neue Partei Popolo della Libertà aus dem Boden stampfen, um der Pd ein ähnlich einheitliches Gebilde auf der Rechten entgegenzusetzen. Er kopierte schlicht Veltronis Strategie. Schlau sprach Berlusconi zudem die Abstiegsängste und Stagnationsgefühle der Italiener an. Er verbreitete Zuversicht und bediente die fatalistische Grundstimmung vieler Italiener, die zwar gern auf alles und jeden schimpfen, letztlich aber doch die Kontinuität dem Wandel vorziehen. Veltronis Vision eines neuen Italiens scheint dagegen eher eingeschüchtert als hoffnungsfroh gestimmt zu haben. Der Erfolg jedenfalls gibt Berlusconi Recht: Seine Partei gewann in allen Regionen, sozialen Schichten und Altersgruppen. Berlusconi regiert in einer homogeneren Koalition, mit einer stabileren Mehrheit als in den Jahren zuvor.
Auf dem Weg ins Zwei-Parteien-System?
Trotzdem ist Berlusconis Sieg kein Grund zum Verzweifeln. Zunächst: Wahrscheinlich wird Berlusconi III anders regieren als Berlusconi I und II. Für eine gewisse Altersmilde spricht zumindest, dass er seine persönlichen Interessen bereits befriedigt hat. Im Jahr 1994, während seiner ersten Legislatur, ordnete er die Belange seiner Unternehmen. Von 2001 bis 2006 klärte er seine Verwerfungen mit der Justiz. Nun hat er nur noch ein Ziel vor Augen: Er will Staatspräsident werden. Dafür würde ihm ein moderaterer Ton gut anstehen.
Darüber hinaus sollte ihn eine genauere Analyse der Wahlergebnisse auf den Boden der Tatsachen zurückholen: An absoluten Stimmen hat der Popolo della Libertà nämlich verloren. Fest steht auch, dass Berlusconi keine neuen Wähler an sich binden konnte. Seinen klaren Wahlsieg verdankt er vor allem dem guten Abschneiden der verbündeten Lega Nord, die erneut viele Protestwähler aus dem Norden einsammeln konnte. Dabei profitierte sie wiederum von der massiven Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, ihrer starken regionalen Verankerung und der populistischen Aufbereitung drängender Probleme. Beide großen Parteien wissen: Um in Zukunft Wahlen zu gewinnen, müssen sie diese Unzufriedenen wieder an sich binden.
Genau hier liegt die Herausforderung, aber auch die Chance für Italien. Um das Vertrauen und das Interesse bei abgestumpften Nichtwählern, frustrierten Lega-Anhängern und enttäuschten Regenbogen-Unterstützern zurück zu gewinnen, müssen die Parteien dem rhetorischen Neuanfang inhaltliche Konzepte folgen lassen. Sie müssen konkrete Lösungen formulieren, sich von ihren Gegenspielern abgrenzen und um den besten Weg streiten – so wie es Veltroni zumindest begonnen hat: sachorientiert und fair. Im zurückliegenden Wahlkampf wurde noch nicht so richtig klar, worum sich die Auseinandersetzung thematisch eigentlich drehte. Die ausgedünnte Parteienlandschaft wird helfen, eindeutigere Positionen zu vertreten: Von nun an wird sich die parlamentarische Auseinandersetzung zwischen den Polen Partito Democratico und Popolo della Libertà abspielen.
Immer dieselben alten Gesichter
Darüber hinaus ist Vertrauen auch eine personelle Frage. In Italien bedeutet dies vor allem: Verjüngung! Seit Jahrzehnten dominieren in der italienischen Politik immer dieselben Gesichter. Daran haben die wechselnden Parteinamen nichts ändern können. Die Ausgrenzung junger, neuer Persönlichkeiten aus der Politik zieht ein massives inhaltliches Defizit nach sich, wenn den Belangen junger Menschen kein Gehör verschafft wird. Vor allem aber verankert es bei den Wählern das fatale Gefühl, überhaupt nicht zwischen verschiedenen Politikkonzepten wählen zu können.
Die politische Klasse muss sich öffnen
Die Demokratieforschung kennt drei elementare Prinzipien der Demokratie: equality, publicity und accountability. Während in der Berichterstattung über Italien der vergangenen Jahre in Sachen publicity und freier Meinungsäußerung stets die Alarmglocken schellten, ist heute vielmehr die accountability in Gefahr: die Gewissheit, dass Entscheidungsträger für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können, spätestens bei den nächsten Wahlen. Die Möglichkeit der Abwahl existiert zwar theoretisch auch in Italien. Wenn dann dieselben Personen jedoch bereits bei der nächsten Wahl erneut kandidieren und aus Mangel an Alternativen sogar wiedergewählt werden, stellt sich tatsächlich die Frage von Haftung oder Rechenschaftspflicht der Politik. Genau hier wurzeln die Apathie und die innere Aufkündigung gegenüber allem Politischen, die heute in Italien so erschreckend weit verbreitet sind: wo Bürger zu Zuschauern werden, Politik zum Showbusiness und Politiker zu Patriarchen. Die politische Klasse Italiens muss sich dringend öffnen, und zwar sowohl für neue aktive Persönlichkeiten als auch für die Demokratisierung von Entscheidungsprozessen. Die Demokratische Partei hat mit ihren aus den Vereinigten Staaten abgekupferten primaries zur Bestimmung von Parteichef und Spitzenkandidaten bereits Neuland betreten. Dieser Weg muss dringend und konsequent weiter verfolgt werden.
Wenn der Partito Democratico Berlusconi bei den nächsten Wahlen schlagen will, muss er die heimatlos gewordenen Wähler der Mitte und der Linken überzeugen und dauerhaft binden. Mit der Standfestigkeit, die Veltroni im Wahlkampf bewies, hat sein progressiver Kurs zweifellos an Glaubwürdigkeit gewonnen. Die Chancen stehen so schlecht nicht für Italiens linke Mitte.