Krise? Alles wie immer!
Dazu kommt, dass Italien im internationalen Vergleich zunächst relativ gut weggekommen ist. Unlängst bescheinigte die Rating-Agentur Standard & Poor"s dem Land, insgesamt keine schlechte Figur zu machen: Während etwa den südlichen Nachbarn Griechenland, Spanien und Portugal langfristig dramatische Einbrüche ihres Bruttoinlandprodukts bevorstehen, könnte es in Italien schon 2010 wieder aufwärts gehen. Eine Prognose, die die Tageszeitung Il Messaggero sogleich triumphieren ließ: "Italien hält sich stabil bei den Großen, Spanien ist deklassiert." Die vergleichsweise gute Krisen-Performanz der italienischen Wirtschaft wird als späte Genugtuung für Schmähungen der Vergangenheit empfunden. Was war die italienische Finanzwirtschaft als provinziell verspottet worden, weil ihre Banken ungleich weniger als andere europäische Länder auf den internationalen Finanzmärkten, besonders in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, vertreten waren! Was hatte das jahrelang stagnierende Wachstum auf dem Selbstverständnis Italiens als erfolgreicher Wirtschaftsnation gelastet! Die Krise legt nun eine andere Sichtweise nahe: Während andere Nationen ihren Erfolg auf Pump finanziert haben und vom Platzen der Blase besonders getroffen werden, zahlt sich das gemäßigte Wirtschaften jetzt aus. In Italien sind die privaten Haushalte weniger verschuldet als anderswo, das Bankensystem ist insgesamt solide und die Realwirtschaft zählt zu den wettbewerbsfähigsten der Welt. Von wegen Schildkröte!
Erst riet Berlusconi zum Aktienkauf ...
So setzte auch die Politik zunächst vor allem auf Besonnenheit. Ministerpräsident Berlusconi, der als Multimilliardär bei seinen Wählern und seinen Gegnern gleichermaßen unerschütterlich den Ruf ökonomischen Sachverstands genießt, beschränkte sich lange darauf, die Krise gebetsmühlenartig kleinzureden und seine Landsleute zu beruhigen. Ja, die Ersparnisse seien auf der Bank sicherer als unter der heimischen Matratze. Ja, er werde seine Aktien halten und rate anderen sogar zum Kauf. Nein, die Finanzturbulenzen würden sich nicht auf die Realwirtschaft durchschlagen. Lediglich einen auch Italien drohenden credit crunch gelte es zu verhindern, und daher beeilte sich die Regierung, per Dekret die Liquidität der Banken zu garantieren und eventuellen Bankenpleiten vorzubeugen.
Eine zentrale Rolle spielen hier die so genannten "Tremonti bond", nach Berlusconis mächtigem Wirtschaftsminister benannte verzinsliche Wertpapiere, die den Banken bei Bedarf (staatliches) Fremdkapital zur Verfügung stellen sollen. Entgegen anfänglicher Befürchtungen haben sich Berlusconi und Tremonti bei der Ausgestaltung der "bonds" aber gegen ein weit reichendes Hineinregieren in die Bankgeschäfte entschieden; sie sind geknüpft an die Auflage, das Geld in Form von Krediten besonders kleineren und mittleren Unternehmen sowie Familien zur Verfügung zu stellen. Außerdem müssen die betroffenen Banken einem Ethik-Kodex zustimmen, der unter anderem Managergehälter begrenzt. Alles im Rahmen der gesamteuropäischen Linie also " keine Nationalisierung der Banken, keine weitere Machtausdehnung Berlusconis, kein Austauschen politisch ungeliebter Bankenchefs, wonach es zeitweise ausgesehen hatte.
... nun ist der Premier "ernsthaft besorgt"
Inzwischen aber ist die Krise doch in der italienischen Realwirtschaft angekommen. Berlusconis anfängliche Beruhigungspillen waren wohl eine rein politische Indikation. Schließlich wusste auch der Premierminister genau, dass gerade die exportorientierte italienische Wirtschaft die weltweite Rezession unmittelbar spüren würde. Wenn die Amerikaner keine deutschen Autos mehr kaufen, stehen sofort auch die italienischen Zulieferer auf dem Schlauch. Diese beliefern nämlich nicht nur Fiat, sondern auch zahlreiche deutsche Autobauer: von Januar bis Oktober 2008, also vor Ausbruch der Krise, immerhin in einem Umfang von 2,8 Milliarden Euro. Die Politik kann da nur wenig tun. Jedes Programm zur Ankurbelung der Binnennachfrage bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn die internationale Nachfrage nach Made in Italy nicht wieder anzieht.
Dennoch nahm in den vergangenen Wochen der Druck von allen Seiten zu, sowohl die italienischen Betriebe nicht im Regen stehen zu lassen, als auch die Folgen der Krise für die Schwächsten in der Gesellschaft abzufedern. Berlusconi, der nichts mehr hasst, als zögerlich zu wirken, reagierte prompt. Seit einigen Wochen erklärt er sich nun selbst "ernsthaft besorgt" und verspricht, die Dinge persönlich in die Hand zu nehmen. Das Resultat ist ein Maßnahmenpaket zur Abfederung der Krise, das insgesamt 40 Milliarden Euro kosten wird; angesichts der immensen Staatsschulden ist das nicht wenig. Stolz rechnet Berlusconi vor, dass diese Größenordnung " in Relation zum Bruttoinlandsprodukt " dem Umfang der deutschen Rettungspakete entspreche.
Hat die Regierung wirklich verstanden?
Die Hilfen konzentrieren sich auf Familien, die vor allem durch die Abschaffung der Besitzsteuer auf ihre Häuser entlastet werden sollen " eine äußerst populäre Maßnahme, die Berlusconi bereits im Wahlkampf versprochen hatte. Eltern von Kindern unter drei Jahren erhalten zusätzliche Konsumgutscheine, um die Kosten für ihren Nachwuchs zu decken. Ähnliche Gutscheine soll es auch für Arme und Rentner geben. Weitere Hilfsmaßnahmen betreffen Arbeiter und Angestellte in prekären Arbeitsverhältnissen, die aufgrund der Krise ihren Job verlieren. Neben diesen kurzfristigen Instrumenten betont die Regierung, auch längerfristig wirken zu wollen. Geld für zahlreiche Infrastrukturprojekte ist in Aussicht gestellt, und die bereits begonnenen Reformen im Schulwesen und in der öffentlichen Verwaltung werden nun als Krisen-Management verkauft. Dies kommt zwar dem Grundtenor aller politischen Kommentatoren entgegen, die hoffen, Italien möge in der Krise die Kraft finden, seine grundlegenden strukturellen Probleme anzugehen. Der Mezzogiorno, die Staatsverschuldung, die virulente Rentenfrage, die Zukunftsperspektiven für junge Italiener, die Energiesicherheit " die Liste könnte endlos weitergehen. Die Debatte um die umstrittene Bildungsreform von Ministerin Gelmini im vergangenen Herbst legt allerdings Zweifel nahe, ob Berlusconi und seine Mitte-Rechts-Regierung die Zeichen der Zeit verstanden haben.
Und die Opposition? Profitiert der noch junge Partito Democratico von der Krise des Kapitalismus? Treibt er die zunächst zögernde Regierung mit progressiven Vorschlägen vor sich her? Kämpft er an vorderster Front für die soziale Abfederung der Krise? Die Antwort lautet rundheraus: nein, im Gegenteil. Während Berlusconi den besonnenen Krisen-Manager mimt, streitet die Demokratische Partei über die Führungsqualitäten Veltronis und die richtige Oppositionspolitik. Während Berlusconi die Rettungspakete verkündet, versinkt die Demokratische Partei in einem Korruptionsskandal. Und während Berlusconi bei den Kommunalwahlen in Sardinien den Dank für sein entschlossenes Handeln einstreichen kann, verpassen die Wähler der Demokratischen Partei einen saftigen Denkzettel, der zum Rücktritt Veltronis führt.
Veltroni und sein Projekt sind gescheitert. Gerade jetzt, inmitten der Krise. Das ist kein Zufall, denn durch die Krise erhielt der Kampf um die Führung der Partei neue Nahrung. Sie führte auch eingefleischten Veltroni-Fans vor Augen, dass dessen neuartige Oppositionspolitik einfach nicht erfolgreich war. Veltroni wollte im Sinne einer bipolaren Demokratie gemeinsam mit Berlusconi für die Erneuerung Italiens arbeiten. Diese Idee fand Ausdruck etwa in der Berufung eines ständigen Schattenkabinetts, das den Ministern der Regierung diametral gegenüberstand.
Berlusconi aber verweigerte sich dem Dialog konsequent; nicht einmal zu Beginn der Finanzkrise, als etwa Merkel und Steinbrück die deutschen Oppositionsparteien in die Beratungen über das Finanzpaket mit einbezogen, wurde der PD konsultiert. Daher wurde dem Vorsitzenden seine Strategie innerhalb der Demokratischen Partei bald als Schwäche ausgelegt, und auch die Wähler honorierten die neue Konsensorientierung nicht. Veltronis Nachfolger Francheschini hat das viel kritisierte Schattenkabinett denn auch wieder abgeschafft. Wohin er die Demokratische Partei inhaltlich führen will, bleibt abzuwarten. Viel Spielraum hat er nicht, da er " wie er selbst betont " ein Übergangskandidat ist. Seine Aufgabe wird vor allem darin bestehen, die anstehenden Wahlen zu organisieren.
Warum Veltroni scheitern musste
Eine Krise gibt es also nicht nur auf den Finanzmärkten, sondern einmal wieder auch in der italienischen Linken. Im April 2008, kurz nach den Neuwahlen, schrieb ich in dieser Zeitschrift noch voller Zuversicht: "Die Chancen stehen so schlecht nicht für Italiens linke Mitte" (Berliner Republik 3/2008). Nach der mutigen Entscheidung, sich als Demokratische Partei allein zur Wahl zu stellen " das bedeutete: in Abgrenzung zur radikalen Linken ", schien eine progressive Neuausrichtung zum Greifen nah. Ein knappes Jahr später muss ich leider eingestehen: Hier war vor allem der Wunsch Vater der Prognose. Veltronis Vision einer neuen Partei der linken Mitte ist formelhaft geblieben. Bei einer Großdemonstration im Circus Maximus verkündete er im vergangenen Herbst zwar voller Stolz: "Der PD ist die größte reformistische Partei, die Italiens Geschichte je gesehen hat." Als es aber darum ging, auszubuchstabieren, worin das Neue der Partei substanziell bestehen solle, war nicht viel von ihm zu hören.
Im Circus Maximus trat der Widerspruch zwischen dem Anspruch Veltronis und der Wirklichkeit des PD offen zutage. Sinnbildlich der Mann, der auf einem umgehängten Plakat bekundete: "Ich bin im PD und bleibe Kommunist!". Sinnbildlich die Zuhörer, die Forderungen nach einer neuen Umweltpolitik begeistert beklatschten " und den Circus Maximus kurz darauf müllüberflutet zurückließen. Sinnbildlich Veltronis Beteuerung, es gehe ihm nicht um eine Dämonisierung Berlusconis " bevor er dann doch den größten Applaus für die persönlichen Attacken auf den Premier einstrich.
Veltroni musste scheitern. Die Vision progressiver Politik bestimmt die Lebenswirklichkeit des PD nicht. Spätestens an dieser Stelle sollte die deutsche Sozialdemokratie aufhorchen. Denn das Problem ist diesseits wie jenseits der Alpen das Gleiche: Die Führungsspitzen der linken Parteien bekennen sich zu einer progressiven Politik, die alte Gegensätze zwischen Markt und Staat, zwischen Kapitalismus und Sozialismus überwinden will. Und hier wie dort hängen ganz im Gegensatz dazu weite Teile der Funktionärsschichten sozialromantischen Ideen nach, die bei objektiver Analyse bereits vor 20 Jahren als überholt gelten mussten.
Formeln, die alles und nichts bedeuten
Warum gelingt es augenscheinlich so schlecht, die Gesamtheit der Partei(en) mitzunehmen in das "Abenteuer Reformismus"? Sicherlich ist es schwer, in der politischen Auseinandersetzung auf Kampfbegriffe und Schwarz-Weiß-Malereien zu verzichten. Eine Bewegung, die sich die Überwindung alter Denkmuster und Grabenkämpfe auf die Fahnen geschrieben hat, müsste aber gerade deswegen auf Klarheit bedacht sein. Klarheit in den Positionen und Klarheit in den Forderungen " damit aus "Differenziertheit" nicht "Beliebigkeit" wird. Und damit progressive Politik nicht zum Selbstzweck verkommt, denn Fortschritt um seiner selbst willen hat noch niemandem genützt. Klarheit bedeutet auch die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Konzepten. Hier aber zaudern die Reformer und sagen nur selten deutlich, was sie nicht möchten, was keinen Platz (mehr) hat in ihrer Programmatik. Sicherlich verständlich, weil sie die Mehrheit ihrer Partei nicht hinter sich wissen. Aber doch sträflich, weil sie diese Mehrheit so auch nie gewinnen werden. Das Ergebnis sind Formelkompromisse, die alles und nichts bedeuten. In Hamburg der Verbleib des "demokratischen Sozialismus" im Grundsatzprogramm der SPD, das Nebeneinander des nachsorgenden und vorsorgenden Sozialstaats. Im Circus Maximus Gemeinplätze wie diese: "Was wir sind? Eine freie Partei, die weder fürchtet, von einigen als gemäßigt angesehen zu werden, noch, von anderen extremistisch genannt zu werden. Nichts anderes bedeutet es nämlich, reformistisch zu sein."
Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise bietet die Chance für ein ehrliches Umdenken, für eine grundlegende Debatte neuer Politikkonzepte, für ein Neujustieren unseres Verständnisses von Staat und Markt. Jedoch bringen uns weder Schulterzucken noch Weglächeln noch parteiinterne Kleinkriege weiter. Es gibt keine Alternative zu klaren Worten und prägnanten Forderungen, wenn Reformismus konkrete Politik werden und nicht bloß Wahlkampfschlager bleiben soll. Und zwar auf beiden Seiten der Alpen.