Die Faschisierung der Provinz
Toralf Staud hat es kommen sehen: „Die NPD wird bei der Bundestagswahl im Herbst 2005 voraussichtlich ein schwaches Ergebnis einfahren, und etwas Besseres könnte ihr kaum passieren. Dann werden sich alle zufrieden zurücklehnen und glauben, dass Problem habe sich erledigt.“ In der Tat gehörte zu den wenigen Fragen, die am Abend der Bundestagswahl 2005 und in deren Folge nicht aufgeworfen wurden, diejenige nach dem Abschneiden der rechtsextremistischen NPD. 750.000 Stimmen hatte diese auf sich vereinigen können und kam damit auf 1,6 Prozent.
Die antikapitalistische Wende von rechts
Keine Frage: Obwohl die NPD ihren Stimmenanteil damit gegenüber der Bundestagswahl 2002 vervierfacht hat, ist die Partei von einem Einzug ins deutsche Parlament vorläufig noch weit entfernt. Diese Bewertung darf allerdings nicht den Blick auf regionale Besonderheiten verstellen. In Ostdeutschland hat die NPD bei der Bundestagswahl durchweg überdurchschnittlich abgeschnitten. Sie kam auf 4,8 Prozent in Sachsen, auf 3,7 Prozent in Thüringen, auf 3,5 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern, auf 3,2 Prozent in Brandenburg und 2,5 Prozent in Sachsen-Anhalt. Hingegen erreichte sie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen nur 0,8 Prozent.
Wer den Hintergrund dieser Entwicklung besser verstehen will, dem ist Toralf Stauds Buch Moderne Nazis: Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD sehr zu empfehlen. Staud ist einer der wenigen Journalisten, die sich intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigen. Sein Buch liest sich flüssig, der Inhalt wird sehr engagiert dargelegt. Und am Ende findet sich sogar eine „Kleine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit der NPD“, die nicht nur für Politiker hilfreich sein kann.
Stauds Kernthese lautet: Die 1964 zunächst als nationalkonservative Partei gegründete NPD hat sich in den neunziger Jahren zu einer neofaschistischen Organisation entwickelt, die die soziale Frage in ihr nationalistisch-völkisches Weltbild zu integrieren sucht. Vor dem Hintergrund im Kern unverändert rassistischer Deutungsmuster habe sich die NPD in den letzten Jahren „revolutionär-antikapitalistisch statt konservativ-antikommunistisch“ ausgerichtet.
Der Osten Deutschlands dient der NPD dabei als Versuchsfeld. Staud weist aber darauf hin, dass der Rechtsextremismus nach 1989 nicht aus der alten Bundesrepublik importiert wurde, sondern dass rechtsextremistische West-Funktionäre an vorhandene subkulturelle Strukturen anknüpfen konnten – ein Aspekt, dessen eingehendere Behandlung freilich wünschenswert gewesen wäre.
Rechte Musik, nationalistischer Habitus
Die „Faschisierung der ostdeutschen Provinz“, die Toralf Staud beschreibt, wird seiner Ansicht nach durch mehrere Faktoren begünstigt, die der im Westen zeitweise bedeutungslosen NPD neue Chancen eröffnen. So macht sich die Partei das Demokratievakuum im Osten Deutschlands zwischen 1933 und 1989 ebenso zunutze wie die dort verbreitete Enttäuschung über nicht eingelöste Wohlfahrtsversprechen. Hinzu kommen die Aufnahmebereitschaft von Teilen der Jugendkultur für rechtsextreme Musik und einverbreiteter nationalistischer Habitus. Damit findet die NPD eine Fülle von Anknüpfungspunkten für ihre Arbeit. Zu Recht geht der Autor deshalb intensiv auf die Kooperation der Partei mit nicht oder nur partiell parteigebundenen Bündnispartnern ein.
Sehr eindrücklich schildert Staud, wie schwer sich eine demokratische Gesellschaft dort etabliert, wo die Passivität vieler Bürger die kulturelle und politische Deutungshoheit den Gegnern der Demokratie überlässt, wo kommunales Engagement ein Merkmal rechtsextremistischer Handlungsträger ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass der Erfolg der NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen im Herbst 2004 eine Ausnahme war. An den guten Perspektiven der NPD dürften auch die jüngsten Austritte von drei sächsischen Fraktionsmitgliedern wenig ändern. Galt die NPD vor der Wende als vergreist, liegt das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder mittlerweile bei rund 40 Jahren. Es sind nicht mehr alte Ewiggestrige, sondern junge Neugestrige, die das Bild der radikalsten rechtsextremistischen Partei Deutschlands prägen. Deshalb ist diese Partei keinesfalls ein vorübergehendes Phänomen. Mit Aktionismus kann man ihr nicht begegnen.
Der NPD entgegenzutreten ist vielmehr eine dauerhafte und langfristige Aufgabe, der die demokratischen Parteien nachkommen müssen, indem sie ihre jeweils eigene Basis stärken und die Entwicklung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen in den neuen Bundesländern fördern. Für den Kampf gegen Rechts bietet Moderne Nazis so gesehen nicht allein eine kluge Analyse. Das Buch ist auch eine Aufforderung zum Handeln.
Toralf Staud, Moderne Nazis: Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005, 232 Seiten, 8,90 Euro