Die transatlantische Maschinerie läuft leer
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind am Boden“, heißt es auf dem Cover des Heftes 2/2007 der Berliner Republik. Stimmt – und stimmt doch wieder nicht. Denn auf der Arbeitsebene sind die Beziehungen zu Zeiten der Großen Koalition heute allemal freundlicher als unter der rot-grünen Vorgängerregierung. Diese Verbesserung hätte angesichts des desolaten Verhältnisses zwischen George W. Bush und Gerhard Schröder vermutlich schon der bloße Personalwechsel an der Spitze bewirkt. Tatsache ist: Man gibt sich im großkoalitionären Berlin Mühe mit den Amis, aber ohne sich dabei zu verbiegen.
Angela Merkel serviert dem Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht nur im salzigen Ostseewind gegrilltes Wildschwein, sondern bei Bedarf auch unbequeme Meinungen. Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist gleich zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit Bedacht zu „Condi“ nach Washington gereist, obwohl er im Vergleich zu seiner Chefin mit dem Transatlantischen gefühlsmäßig eher fremdelt. Der deutsch-amerikanische Koordinator Karsten D. Voigt und die zuständigen Referenten in Bundeskanzleramt und Außenamt sind in Washington bestens verdrahtet, auch die junge Parlamentarierriege von Guttenberg bis Mützenich findet in der amerikanischen Hauptstadt offene Türen vor.
Mit anderen Worten, die transatlantische Maschinerie läuft wieder, zur Erleichterung aller Beteiligten. Der Antrieb ist dabei weder Gefühl noch Kalkül (was nicht heißt, dass das eine oder das andere im Einzelfall ausgeschlossen wäre), sondern nüchterner Pragmatismus auf beiden Seiten: Wir brauchen die anderen. Und wenn sie noch so nerven.
Letztlich geht es um uns selbst
Aber das war es leider auch schon. Denn in der deutschen Politik gibt es nur noch wenige Transatlantiker, vermutlich sogar weniger denn je seit Beginn der Nachkriegsrepublik, die überdies kulturell ziemlich isoliert sind. Der gefühlte Anti-Amerikanismus in Deutschland, von Freunden und Kollegen vielfach bestätigt, ist mit harten Zahlen zu belegen: Man muss nur mal die Tourismusämter oder die Schüler- und Studentenaustauschwerke fragen.
Auch in den Parteien herrscht eine antiamerikanische Stimmung vor, keineswegs nur unter Sozialdemokraten, bei denen Corinna Emundts zu Recht eine „regelrechte Misstrauenskultur“ gegenüber Amerika diagnostiziert. Der Anti-Amerikanismus geht weit über konkrete Anlässe wie das Gefangenenlager in Guantanamo oder den Irak-Krieg hinaus – das zeigen die jüngsten Debatten über Tornado-Einsätze in Afghanistan und das geplante Raketenabwehrsystem auf europäischem Boden. Wie immer, wenn wir Deutschen uns am „Anderen“ reiben – es geht letztlich um uns selber.
In Afghanistan hat sich anlässlich des Streits um die Entsendung deutscher Tornados eine neue Diskussion über Sinn und Unsinn der amerikanischen Militärstrategie im Südosten des Landes entzündet. Anlass dafür gibt es genug. „Normal“ – die Sehnsuchtsvokabel der deutschen Außenpolitik nach 1989 – wäre es allerdings gewesen, die Verbündeten hätten sich im Nato-Rat zusammengesetzt und die Strategie neu verhandelt. Nicht normal wäre es hingegen, den Verbündeten Vereinigte Staaten die Unterstützung ganz aufzukündigen (wie es nicht nur in einer Verfassungsklage der Linksfraktion verlangt wurde, sondern auch von vielen Stimmen in den Medien) und dabei andere Alliierte wie Kanada oder Polen gleich mit im Stich zu lassen. Eigentlich erstaunlich, dass noch niemand die Frage aufgeworfen hat, ob unser Verhalten eigentlich den Russen gefällt.
Das neue Raketenabwehrprojekt der Amerikaner lässt wichtige technische Fragen unbeantwortet und wurde reichlich ungeschickt eingefädelt. Das gibt man auch auf der anderen Seite des Atlantiks seufzend zu. Wenn aber hierzulande die iranische Bedrohung geleugnet und gleichzeitig behauptet wird, die zehn geplanten Abfangraketen der Vereinigten Staaten könnten das gewaltige russische Nukleararsenal beeinträchtigen, sind auch die Europafreunde in Washington (es gibt sie!) ratlos. Mit Argumenten kann man sich unter Freunden auseinandersetzen, mit Wahrnehmungsblockaden nicht.
In seinem Essay Of Paradise and Power (2003) hat Robert Kagan die ebenso paradoxe wie plausible These aufgestellt, die Friedensliebe der Europäer wurzele nicht so sehr in einer abweichenden Bedrohungsanalyse als in ihrer mangelnden Bereitschaft, für die eigene Verteidigung zu bezahlen. Was, wenn der Anti-Amerikanismus deutscher und anderer Provenienz eine ähnliche Art intellektueller Ersatzhandlung wäre: weniger in unserem Wissen über Amerika wurzelnd als in unserer mangelnden Fähigkeit, ein europäisches Selbstbewusstsein zu entwickeln, das unserer global gewachsenen Verantwortung entspricht?
Der Text gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder und nicht die des German Marshall Fund.