Dreht dem IS den Hahn zu!

Im Kampf gegen den "Islamischen Staat" ist es notwendig, die Finanzquellen der Terrororganisation auszutrocknen. Weniger Geld beschränkt dessen Fähigkeit, quasistaatliche Strukturen aufzubauen. Dieser Ansatz wird jedoch nur als Bestandteil einer politischen und militärischen Gesamtstrategie erfolgreich sein. Vor allem die irakische Regierung muss sich deutlich bewegen

Viele Gegner des „Islamischen Staates“ setzen große Hoffnung darauf, den IS durch das Austrocknen seiner Finanzierungs-quellen zu bezwingen. Diese Hoffnung ist zumindest teilweise berechtigt, denn Geld ist ein Schwachpunkt der Organisation. Dem IS ist es gelungen, von einer kleinen terroristischen Gruppe zu einer irregulären Armee zu werden – und er erhebt sogar den Anspruch, ein Staat zu sein. Obwohl der IS für eine Terrororganisation immens reich und für eine terroristische Armee sehr gut finanziert ist, fehlen ihm für den Aufbau eines funktionierenden Staates jedoch die Ressourcen. In den Jahren 2013 und 2014 baute der IS eine Beuteökonomie auf, die auf immer größeren Gebietseroberungen im Irak und in Syrien basierte. Jetzt, da die Expansion des IS im Frühjahr 2015 gestoppt erscheint, ist hingegen kaum noch Beute zu holen. Gelingt es, die restlichen Finanzierungsmöglichkeiten zu beschränken, dürfte dies den Staatsaufbau wirksam verhindern.

Es fehlt an überzeugenden Alternativen

Aber selbst wenn die Maßnahmen gegen die Finanzierung des IS greifen, bedeutet das nicht, dass die Organisation die Kontrolle in den eroberten Gebieten verlieren würde, weil die Bevölkerung infolge der massiven Gewaltanwendung gegen interne Gegner eingeschüchtert ist. Zudem mangelt es an einer überzeugenden Alternative zum IS. Dessen schneller Aufstieg im Irak ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die arabischen Sunniten die schiitisch dominierte Regierung im Irak noch mehr hassen als sie die Dschihadisten ablehnen. In Syrien hat sich die Zentralregierung schon seit 2013 aus den heute vom IS dominierten Regionen im Norden und Osten des Landes verabschiedet. Wer den IS schlagen will, muss den Bevölkerungen im Irak und Syrien eine politische Perspektive bieten. Gelingt dies nicht, werden alle militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen bestenfalls zur Schwächung des IS beitragen.

Die große Sommeroffensive 2014 des „Islamischen Staates“ im Irak war auch ein Beutefeldzug. Seine Kämpfer plünderten Banken, Regierungsgebäude sowie die Häuser von geflohenen Angehörigen der religiösen und ethnischen Minderheiten und der Regierungsmitarbeiter. Auch Museen und archäologische Stätten raubten sie aus und verkauften die Beute in Nachbar­länder. Tausende Geiseln wurden genommen, die teils gegen Lösegeldzahlungen von Angehörigen wieder freigelassen wurden. In Syrien und im Irak beeinflussten überdies wirtschaft­liche Interessen die Richtung der Expansion des IS. Schon 2013 konzentrierte sich die Organisation in Ostsyrien darauf, die dortigen Ölfelder einzunehmen. Im Irak galt ein besonders entschlossener Angriff des IS im Sommer 2014 der größten Ölraffinerie des Nordens in der Stadt Baidschi. Ebenso bemühte sich die Organisation um die Kontrolle der wichtigsten Staudämme im Irak und in Syrien, die für die Elektrizitäts- und Wasserversorgung zentral sind. Sogar Weizensilos in den großen Getreideanbaugebieten des syrischen Nordostens wurden zu strategischen Zielen, um die heftige Kämpfe mit kurdischen Kräften tobten.

Wichtigste Einnahmequelle ist der Ölverkauf

Mit Beginn der amerikanischen Luftangriffe im August und September 2014 konnte die Expansion des IS zwar vorerst beendet werden, jedoch gelang es dem IS, die Finanzierung seiner Aktivitäten zu sichern. Der „Islamische Staat“ verkaufte Öl, erhob Steuern und Zölle, trieb Schutz- und Lösegelder ein und erhielt Spenden aus dem Ausland. Die wichtigste Einnahmequelle dürfte bis heute der Verkauf von Öl sein. Der größere Teil stammt aus Syrien, wo der IS seit Sommer 2014 die meisten Felder im Osten des Landes kontrolliert. Zu dieser Zeit wurden dort zwischen 30 000 und 80 000 Barrel Öl pro Tag gefördert. Der Rohstoff wird in kleinen und teilweise sehr primitiven Raffinerien weiterverarbeitet und vor Ort verbraucht, oder als Rohöl in die Nachbarländer Türkei, Irakisch-Kurdistan und Iran weiterverkauft. Der IS profitierte davon, dass sich bereits in den neunziger Jahren große Schmuggelnetzwerke für irakisches Öl entwickelt hatten, die die Organisation jetzt weiter nutzen konnte. Erst die im August und September einsetzenden amerikanischen Luftangriffe reduzierten die Produktion erheblich; die US-Luftwaffe und ihre Verbündeten bombardierten die Ölfelder und Raffinerien. Auch in Zukunft wird der Erfolg der Maßnahmen gegen die IS-Finanzierung entscheidend davon abhängen, dass der Ölschmuggel möglichst weitgehend unterbunden wird. Dabei liegt der Schlüssel vor allem in der Türkei, über deren Grenzen besonders viel Öl gelangt und die erste Maßnahmen zur besseren Grenzkontrolle angeordnet haben soll. Insgesamt muss der grenzüberschreitende Handel zwischen der Türkei und dem IS-Territorium reduziert werden, wenn der Druck auf die Terrororganisation steigen soll.

Der IS braucht keine staatlichen Strukturen

Die Maßnahmen gegen die Finanzierung des IS können verhindern, dass dieser in den kontrollierten Gebieten staatliche Strukturen aufbaut. Denn auch ohne die amerikanischen Luftangriffe und die Maßnahmen der Türkei zur besseren Grenzkontrolle wären die Hindernisse gewaltig. Der IS kontrolliert je rund ein Drittel des irakischen und syrischen Staatsgebietes. Auch wenn viele Einwohner geflohen sind, dürften weiterhin mehrere Millionen Menschen in diesen Gebieten leben. Selbst mit den Mitte 2014 erwirtschafteten Mitteln, die sich auf mehrere Millionen Dollar pro Tag belaufen, wäre es nicht möglich gewesen, die Bevölkerung des IS-Gebietes über einen längeren Zeitraum mit dem Nötigsten zu versorgen. Bei deutlich geringeren Einnahmen wird sich der IS immer mehr darauf beschränken müssen, seine Kämpfer und deren militärische Aktivitäten zu finanzieren. Große Probleme zeichneten sich für 2015 bereits bei der Brotversorgung ab. Denn bis Anfang des Jahres konnte der IS die Bevölkerung noch mit erbeutetem Getreide aus der letzten Ernte beliefern. Die Produktionsmenge 2015 wird jedoch enorm zurückgehen, da zehntausende Bauern von ihren Feldern und Höfen geflohen sind.

Dass dies keine uneingeschränkt gute Nachricht ist, hat vor allem mit der jüngeren Geschichte der Organisation zu tun. Denn der IS war vor fünf Jahren nicht mehr als eine Terrorgruppe von vielleicht 1 000 Kämpfern, die sich auf eine begrenzte Zahl von Anschlägen im Irak beschränken musste. Innerhalb von nur wenigen Jahren ist es ihm gelungen, eine bis zu 30 000 Mann starke terroristische Armee aufzubauen und ein großes Territorium einschließlich der beiden Städte Mossul und Raqqa einzunehmen sowie staatsähnliche Strukturen zu errichten. Weil dies relativ reibungslos gelang, ist anzunehmen, dass der IS viele Rückschläge einstecken und trotzdem eine Bedrohung für alle seine Gegner bleiben kann. Er ist nicht darauf angewiesen, staatliche Strukturen aufrechtzuerhalten, um die Kontrolle über „seine“ Territorien zu bewahren. Von Beginn an hat der IS auf strategische Gewalt gesetzt, um allen Gegnern vor Ort zu verdeutlichen, was mit denen geschieht, die sich gegen seine Herrschaft auflehnen. Die Videos von der brutalen Ermordung irakischer und syrischer Stammesangehöriger aus dem Jahr 2014 dienten genau diesem Zweck: die eigene Bevölkerung einzuschüchtern.

Wer den IS tatsächlich schlagen will, muss der Bevölkerung in den von ihm eroberten Gebieten eine Alternative bieten. In Syrien ist das zurzeit nicht möglich, da die Rebellen zu schwach sind und das Regime (zu Recht) verhasst ist. Im Irak sind die Bedingungen besser, doch dort müsste die Zentralregierung auf die arabischen Sunniten zugehen und ihnen endlich die angemessene Rolle in der irakischen Politik zubilligen, die ihnen bislang verwehrt blieb. Ohne die Hoffnung auf verbesserte Verhältnisse nach einem Ende der IS-Herrschaft wird sich die Bevölkerung nicht dafür gewinnen lassen, gegen die Terroristen aufzubegehren.

Der Irak muss auf seine Sunniten zugehen

Eine Politik, die darauf abzielt, die Finanzierungsquellen des IS auszutrocknen, muss parallel ein politisches und ein militärisches Konzept verfolgen. Ziel muss es sein, die irakische Regierung zu einem Kurswechsel zu bringen. Nur ein überzeugendes Angebot an die arabischen Sunniten kann diese dazu bewegen, gemeinsam mit der Zentralregierung gegen den IS vorzugehen. Und nur mit sunnitisch-arabischen Einheiten wird es gelingen, den IS auch dann erfolgreich zu bekämpfen, wenn er sich von einem quasistaatlichen Akteur zu einer kleineren Guerilla- und Terroristentruppe wandelt.

Guido Steinberg ist Autor des Buches „Kalifat des Schreckens: IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror“, das im März im Knaur Verlag erschienen ist. Es hat 208 Seiten und kostet 12,99 Euro.

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