Ein freies Leben führen
Es mag ja sein, dass Gestus und Praxis mancher Spielarten des Feminismus der einen oder dem anderen auf die Nerven gehen. Niemand muss Latzhosen oder Birkenstock-Sandalen mögen. Doch im Kern ist das gängige Genörgel über „eklige“ Ausdrucksformen des Feminismus, aus denen dann flugs auf die vermeintliche Langweiligkeit und Unsexiness des feministischen Anliegens schlechthin geschlossen wird, ein einziges großes Ablenkungsmanöver. Denn im Kern geht es beim Feminismus natürlich nicht um irgendwelche Outfits, sondern um Fundamentales. „Der Sinn von Feminismus ist Freiheit“, schreibt Laura Törkel in diesem Heft. „Feminismus ist die schlichte Überzeugung, dass Frauen Menschen sind und alle Menschen gleiche Rechte haben sollten“, ergänzt Anke Domscheit-Berg im Interview. Dass dieser Anspruch in Deutschland (und erst recht in vielen anderen Gesellschaften) noch nicht eingelöst ist, liegt auf der Hand.
Eben davon handelt der Feminismus. Das ist sein Kern. Wer deshalb „den Feminismus“ schlechthin ablehnt und sich dabei auf irgendwelche ästhetischen Geschmacksgesichtspunkte beruft, der steht in Wahrheit nicht mit Latzhosen und Sandalen auf Kriegsfuß, sondern mit Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung. Es ist das Verdienst der Beiträge im Schwerpunkt dieses Heftes, dies klar und deutlich herauszuarbeiten. „Anstelle von Debatten, ob der Feminismus nun langweilig oder ekelig sei, sollten wir daher feministische Debatten führen: Debatten über Freiheit und Gleichheit“, fordert Laura Törkel. Genau das machen wir.
Dass eine Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit, der Diversität und Chancenfairness im 21. Jahrhundert auch in ökonomischer Hinsicht die erfolgreichere und lebenswertere ist, sollte sich im Grunde ebenfalls von selbst verstehen. „Wer Kunden im eigenen Land und international zufriedenstellen will“, schreibt der Manager Thomas Sattelberger, „braucht eine Mitarbeiterstruktur, die diese nationale wie globale Welt mit ihren Ansprüchen, Wünschen und Forderungen widerspiegelt.“ Auch davon handelt diese Sommerausgabe. Stattdessen herrscht in vielen deutschen Unternehmen noch immer eine verhockte „German Business Angst“, die wiederum Bestandteil eines defensiven Gegenwartszeitgeistes ist, den Ralf Christoffers und Thomas Falkner als „Spätbiedermeier 2.0“ beschreiben: Deutschland geht es gut, aber wir nehmen uns ganz einfach zu wenig vor – und gefährden genau damit unsere Zukunft.
Aufschlussreich ist, dass diese Besorgnis mittlerweile an ganz verschiedenen, teilweise unerwarteten Orten formuliert wird. Ralf Christoffers und Thomas Falkner zählen zu den Reformern innerhalb der Linkspartei. Auch IG Metall-Chef Detlef Wetzel warnt angesichts der „großen Transformation“ in Wirtschaft und Arbeitswelt vor jeder Selbstgefälligkeit: „Wir müssen uns nicht nur genauso schnell verändern, wie sich die Welt verändert – wir müssen sogar noch schneller sein!“ Und SPD-Arbeitsstaatssekretär Jörg Asmussen erinnert beschwörend an Willy Brandts Motto: „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.“ Zeichnet sich hier eine „Koalition der neuen Dringlichkeit“ ab? Gut wäre es, denn eines steht fest: Mit dem Phlegma der Merkel-Ära gewinnt unser Land seine Zukunft ganz sicher nicht.