Einwanderungsgesellschaft Deutschland
Einwanderung und Integration in Deutschland – das war oft ein Gegensatz in unserem Land. Viele Jahrzehnte bestritten besonders konservative Kreise, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, obwohl es seit den fünfziger Jahren sogar Abkommen zur Einwanderung von Gastarbeitern gab. Noch in den neunziger Jahren wurden Landtagswahlen mit Kampagnen gegen Einwanderer gewonnen. Mittlerweile wird in Politik und Gesellschaft aber breit akzeptiert, dass wir ein Einwanderungsland sind. Dieser Befund gilt auch heute, obwohl fremdenfeindliche Stimmungsmacher versuchen, auf Deutschlands Straßen für Einfalt statt Vielfalt zu mobilisieren.
Jetzt müssen wir den nächsten Schritt gehen und eine echte Einwanderungsgesellschaft werden, die sich zu ihrer Vielfalt bekennt und allen Menschen – egal welcher Herkunft – gleiche Chancen bietet. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt, wenn ich etwa an die Frage der Chancengleichheit in Bildung und Ausbildung denke.
Geht es um das Thema Asyl, sind wir in diesen Tagen Zeugen einer selten zuvor dagewesenen Hilfsbereitschaft und Offenheit innerhalb der Bevölkerung. Als zu Beginn der neunziger Jahre bis zu 400 000 Schutzsuchende pro Jahr nach Deutschland kamen, waren zivilgesellschaftliche Initiativen und ehrenamtliches Engagement sehr viel seltener. Da sind wir heute ein großes Stück weiter. Dieser Einsatz sollte gewürdigt werden.
Die positive Grundstimmung in weiten Teilen der Gesellschaft sieht sich jedoch mit Bewegungen konfrontiert, die sich der populistischen und pauschalisierenden Stimmungsmache gegen Einwanderer, Asylsuchende und Muslime – kurz gegen alle angeblich „Fremden“ – verschrieben haben. Phänomene wie „Pegida“ versuchen auf Kosten dieser „Minderheiten“ in der Mitte unserer Gesellschaft Fuß zu fassen – und instrumentalisieren dabei diffuse Ängste und Drohszenarien von Überfremdung, Islamisierung, Asylmissbrauch und wirtschaftlichem Abstieg. Das ist höchst gefährlich und sollte uns vor Augen führen, dass die grundsätzliche Offenheit unserer Gesellschaft gegenüber Neuankömmlingen und Diversität kein Selbstläufer ist. Wir müssen dieses positive Klima tagtäglich stützen und aufrechterhalten. Unabdingbar ist, die Bevölkerung gut zu informieren, denn ich habe häufig das Gefühl, dass Ängste überhaupt nur entstehen können, wenn Menschen nicht wissen oder verstehen, wie Integrations- und Einwanderungspolitik in Deutschland funktionieren – und dass wir klare Regeln dafür haben, wer einwandern und bleiben kann.
Betrachtet man nämlich die politische Grundstruktur und aktuelle Einwanderungsstatistiken, muss man festhalten, dass Deutschland für die kommenden Jahre in der Integrations- und Zuwanderungspolitik gut aufgestellt ist. In einem Ranking der OECD steht Deutschland als zweitbeliebtestes Einwanderungsland direkt hinter den Vereinigten Staaten. Das liegt zum einen an Deutschlands Wirtschaftskraft, zum anderen aber auch daran, dass sich politisch und gesellschaftlich ein Paradigmenwechsel vollzieht und unser Land an positivem Image gewinnt. Hinzu kommt, dass wir 2014 wichtige Gesetze und Maßnahmen verabschiedet haben, um unsere Einwanderungsgesellschaft weiter aktiv zu gestalten:
Die Mittel für die allseits als Erfolgsgeschichte geltenden Integrationskurse zum Spracherwerb (1,4 Millionen Teilnehmer seit 2005) konnten wir im Bundeshaushalt 2014 um 40 Millionen auf 244 Millionen Euro erhöhen und im Haushalt 2015 verstetigen. Das Erlernen der deutschen Sprache ist Voraussetzung für Integration, und wir eröffnen Einwanderern die Möglichkeit dazu.
2014 war migrationspolitisch vor allem geprägt von der steigenden Zahl der Asylanträge. Die vielen Kriege und gewaltsamen Konflikte, vor allem im Nahen Osten, brachten etwa 200 000 schutzsuchende Frauen, Männer und Kinder zu uns – eine Herausforderung, der sich unser Land stellt. Mit Blick auf die Flüchtlingssituation weltweit (laut UNHCR sind aktuell 51 Millionen Menschen auf der Flucht, davon 17 Millionen über Landesgrenzen hinweg) und die Zahl an Schutzsuchenden, die zum Beispiel von der Türkei oder dem Libanon aufgenommen werden, lässt sich aber auch eines festhalten: Es kommen mitnichten – wie häufig von Rechtspopulisten suggeriert – alle Flüchtlinge dieser Welt zu uns nach Deutschland.
Aber natürlich brauchen unsere Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen besondere Unterstützung. Deshalb hat der Bund 500 Millionen Euro für 2015 bereitgestellt – und weitere 500 Millionen Euro für 2016, sofern die Belastungen der Länder und Kommunen fortbestehen. Die Länder beteiligen sich hier mit der hälftigen Rückzahlung an den Bund in den nächsten 20 Jahren. Zusätzliche Änderungen im Baurecht eröffnen den Kommunen zudem neue und schnellere Wege der Unterbringung.
Die Situation von Flüchtlingen in unserem Land zu verbessern, bedeutet immer auch eine Verbesserung für unsere Gesellschaft als Ganzes. Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und wissen, dass wir frühe Zugänge für Schutzsuchende in die Gesellschaft brauchen. Es nützt niemandem, auch nicht unseren sozialen Sicherungssystemen, wenn wir Schutzsuchende unmündig zum Herumsitzen in den Unterkünften verdonnern. Auch wir profitieren, wenn wir den gekommenen Frauen, Kindern und Männern schneller ein selbstbestimmtes Dasein ermöglichen. Darum haben wir für Asylbewerber und Geduldete den Arbeitsmarktzugang bereits nach drei Monaten (anstatt bisher nach neun beziehungsweise zwölf Monaten) ermöglicht. Deshalb ermöglichen wir jungen Flüchtlingen früher, eine Ausbildung zu beginnen. Und deshalb haben wir endlich die Residenzpflicht abgeschafft, die Schutzsuchenden das Verlassen des jeweiligen Landkreises, in dem sie wohnen, untersagte. Auch das Asylbewerberleistungsgesetz ist nun verfassungskonform und sichert ein menschenwürdiges Existenzminimum. Ebenso greift hier nun nach drei Monaten eine deutliche Verbesserung: Die Schutzsuchenden erhalten dann Geld- statt Sachleistungen.
Besonders freue ich mich, dass nun auch alle Kinder aus Flüchtlingsfamilien vom ersten Tag an Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket haben. Denn Teilhabe und Bildung – das sind für mich die wesentlichen Aspekte, die hinter dem häufig austauschbaren Begriff der „Integration“ stehen. Ein besserer Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit, nicht nur für Flüchtlinge, nicht einmal nur für Menschen mit Einwanderungsbiografie, sondern für alle in Deutschland lebenden Menschen ist entscheidend!
Dieser Fokus auf die wesentlichen Punkte gerät in den oftmals aufgeregten Debatten über Einwanderung und Integration oft ins Hintertreffen. Für eine zukunftsgewandte und effektive Integrationspolitik sollten wir uns daher alle um eine sachliche und unaufgeregte Herangehensweise, aber stets um ein entschlossenes Handeln bemühen.