Erbschaftssteuer im "Second Life"

Das derzeit populäre Computerspiel "Second Life" ist im Grunde ein dreidimensionaler Chatroom. Man darf jedoch gespannt sein, wie lange die Blase noch anhält, denn in ihrem Zweiten Leben müssen die Mitspieler echtes Geld ausgeben

"Second Life" ist auf den ersten Blick ein MMORPG: ein Massively Multiplayer Online Role-Playing Game. Bei solchen Computer-Spielen treffen sich tausende, ja zehntausende Spieler gleichzeitig im Internet, um in einer fiktiven Welt miteinander zu „spielen“. Bei jungen Leuten beliebt, besonders in Asien und in den Vereinigten Staaten, waren jahrelang Abenteuerspiele wie die vom Mittelalter inspirierte fantastische „World of Warcraft“, das Spiel „City of Heros“ oder – unvermeidlich – das Sternenspektakel „Star Wars Galaxies“. Bei diesen traditionellen MMORPGs geht es darum, Herausforderungen und Kämpfe zu bestehen – und mit Geschick und Geduld innerhalb der Cyberworld an Status zuzulegen. Das Ziel der Spieler ist ein möglichst hoher „Status“.

Das neue Spiel „Second Life“ ist völlig anders gestrickt. Diese Fantasiewelt im Internet ist so gestaltet, wie man sich die reale Welt der Schönen und Reichen vorstellt. Dort treffen sich virtuelle Menschen, um das zu tun, was man auch in der wirklichen Welt tut: miteinander plaudern, shoppen und über Sex reden („talk dirty to me“). Arbeiten ist dort verpönt.

Im Grunde ist Second Life gar kein MMORP-Spiel, sondern ein dreidimensional gestalteter Chatroom. Der Reiz: Man kann seine computeranimierte Figur „lebensecht“ kreieren. So lässt sich das Äußere der „Avatare“, also virtuellen Charakteren, beliebig chic gestalten. Sogar das Geschlecht kann gewechselt werden.

Wem das Chatten nicht reicht, der kann – wie in der wirklichen Welt – Geld ausgeben. Und zwar echtes Geld, das lediglich vorher in „Spielgeld“ gewechselt wird, in den „Linden Dollar“. Auf diese Weise kaufen sich „Spieler“ Immobilien im Second Life. Auch kann man reale Güter und Dienste bequem innerhalb des Second Life bestellen. Jederzeit kann im Cyberspace erworbenes Geld in richtiges Geld zurückgetauscht werden.

Für erfahrene Abenteurer der echten MMORP-Spiele ist das Second Life vollkommen uninteressant. „Warum soll ich mit jemandem Intimitäten austauschen, von dem ich noch nicht mal weiß, ob er Männlein oder Weiblein ist?“, fragt man sich in der Szene. Ruhm und Ehre sind ebenfalls nicht zu erlangen. Es geht vielmehr darum, Geld auszugeben, von dem man im wirklichen Leben ohnehin zu wenig hat. Man darf in der Tat gespannt sein, wie lange die Second Life-Blase anhält. Denn nur das echte Leben sorgt für die finanzielle Ausstattung in der virtuellen Scheinwelt. Und beim Sex kommt es schließlich auch auf Hormone an, die man online nicht riechen kann.

Es ist der große Nachteil von Second Life, dass im Spiel echtes Geld ausgegeben werden muss. Bei den virtuellen Abenteuerwelten wie „World of Warcraft“ ist das anders. Dort fängt jeder Spieler bei Null an. Kinder reicher Eltern haben keine Startvorteile. Wer als guter Kämpfer oder Zauberer geachtet werden will, muss sich diesen Status erspielen. Bei fast allen MMORPGs ist es verboten, sich spielstarke Figuren von anderen Spielern zu kaufen, was den Spielspaß kaputt machen würde. Es geschieht natürlich trotzdem. Um die MMORPGs nicht zu ruinieren, hat eBay kürzlich den Handel mit Avataren eingestellt. Wenn das nichts nützt, werden die Betreiber der Online-Rollenspiele über die Einführung einer Erbschaftssteuer nachdenken müssen, um wieder Gerechtigkeit und Spaß herzustellen. In der wirklichen Welt fällt es uns leider schwerer, faire Startchancen zu garantieren.

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