Europa und der Islam
D er totalitäre Islamismus zieht weiter seine blutige Schleifspur durch die Welt: Pakistan, Nigeria, Syrien, Irak und nun Frankreich. Nach den Attentaten in Paris stellt sich erneut die Frage, wie mit dem Islam umzugehen ist und der bedrückende tödliche Reigen beendet werden könnte. In Deutschland und anderswo in Europa griff man, wie schon angesichts früherer Gewaltakte, auf die Formel zurück, Morde und Terrorakte hätten nichts mit „dem“ Islam zu tun, sondern seien vielmehr eine „Perversion“ des Islam – wobei zugleich gern betont wird, „den“ Islam gebe es ohnehin nicht. Solche Versuche verfehlen aber die erhoffte Wirkung bei breiten Bevölkerungskreisen, die man für einen offenherzigen Umgang mit Minderheiten gewinnen will – ein Anliegen, das Politikern aller etablierten Parteien zu Recht am Herzen liegt.
Im Gegenteil verstärken Erklärungen, die sich zu weit von der Wirklichkeit entfernen, das Misstrauen gegen die etablierten Parteien und werden am Ende oft unfreiwillig zu Katalysatoren für Protestparteien oder außerparlamentarische Bewegungen wie Pegida.
Gewiss spiegelt Besonnenheit im Umgang mit Minderheiten den Grad des zivilisatorischen Reifeprozesses einer Gesellschaft wider. Sie zivilisiert den Umgang ihrer Bürger miteinander und führt zu einer besonderen Behutsamkeit und Sensibilität gegenüber sexuellen, ethnischen oder religiösen Minderheiten. Doch vor lauter Verzagtheit die Wirklichkeit zu verleugnen, rächt sich langfristig. Das zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen in Großbritannien, wo das Ausmaß der Einwanderung in den vergangenen zwei Jahrzehnten lange bestritten wurde, bevor es nicht länger zu leugnen war. Die Quittung war der Durchbruch der rechtspopulistischen UK Independence Party.
Indem sie davor zurückschrecken, Ross und Reiter zu nennen, verhindern europäische Politiker, dass wir das Problem verstehen, dem sich die säkularen Demokratien des Westens gegenübersehen – und damit die Entwicklung sinnvoller Gegenstrategien.
Tatsächlich ist die Welt mit einer immer noch anschwellenden fundamentalistischen Welle konfrontiert, die seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch beide großen Richtungen des Islam rast. Nach dem Ende des letzten Kalifats, des Ottomanischen Reiches, dachten Vordenker und Intellektuelle, die sich als Muslimbrüder organisierten, über die Gründe für den Niedergang der einst weltbeherrschenden islamischen Zivilisation nach. Leider lautete ihre Antwort, das Wort Gottes, niedergeschrieben im Koran, sei nicht streng genug befolgt worden. Sie verkannten das eigentliche Problem des Islam, das in seiner Erstarrung liegt, weil jedes Wort im Koran als unveränderbar und als Wort Gottes gilt. Deshalb kommt solch ein Islam auch nicht mit der modernen Welt zurecht. Er negiert die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse, er kennt keine Trennung von Staat und Kirche, und 50 Prozent aller Muslime, die Frauen, werden als Menschen zweiter Ordnung behandelt.
Der islamische Zivilisationskreis fällt immer weiter zurück, er kann im Wettbewerb der Kulturen weder mit Indien, China oder der westlichen Welt mithalten, trotz der Ölbillionen, die aus dem Wüstensand sprudeln. Die Varianten des Todeskults, die der Islam hervorbringt – seien es Al-Kaida, IS, Boko Haram, Hamas oder Al Shebab –, sind allesamt religiös motiviert. Sie wirken wie pathologische Reaktionen einer sterbenden, zum Untergang verurteilten Kultur, die nie eine Reformation erfuhr und die anders als das Christentum (wie widerstrebend auch immer) keine Allianz mit Wissenschaft und Vernunft einging.
Die islamische Welt kann letztlich nur aus sich selbst heraus gerettet werden. Ausgerechnet jetzt, angesichts der jüngsten Massaker, keimt ein erstes zartes Pflänzchen der Hoffnung. Kaum beachtet vom medialen Mainstream in Europa wie den Vereinigten Staaten, mit Ausnahme der USA Today, hat Ägyptens Präsident Abd al-Fattah as-Sisi als erster Staatschef eines islamischen Landes in einer Rede vor 600 religiösen Würdenträgern an der Alzhar Universität in Kairo in erstaunlich mutigen und klaren Worten eine islamische Reformation gefordert und die anwesenden Imame aufgefordert, unverzüglich ans Werk zu gehen. Der Präsident erklärte, eine „religiöse Revolution“ sei dringend erforderlich, um die bedrohliche Erstarrung des Islam zu beenden. Die Umma, die islamische Welt, werde durch „unsere eigenen Hände zerstört“. Sie sei für die gesamte restliche Welt ein Quell der Angst vor Mord und Gewalt geworden. Dies nannte er einen „unerträglichen, unmöglichen“ Zustand. Ein positives Zeichen, gewiss, aber für den Präsidenten lebensgefährlich. Ihm droht ein Schicksal wie dem Reformer Anwar as-Sadat, der von einem Islamisten ermordet wurde.
Der Westen mag auf solche Reformbewegungen hoffen und kann sie unterstützen. Jedoch muss er zwingend zugleich seine eigenen Werte und Freiheiten hochhalten und darf nicht der Versuchung erliegen, die Feinde der Demokratie zu besänftigen oder freundlicher zu stimmen, indem er sie beschwichtigt. In einigen europäischen Ländern – auch Großbritannien gehört dazu – sind Teile der politischen und medialen Klasse dieser Versuchung erlegen. Die Geschichte lehrt, dass sich Appeasement stets als falsch erwiesen hat. Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Glaubensrichtungen ja – auch das zählt zum westlichen Wertekodex. Aber bitte ohne die fatale Neigung, das eigene Wertesystem und die eigene Identität preiszugeben oder geringzuschätzen.