Faust auf’s Auge
Einsamer Liberaler:
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem Juli-Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Wie ihr aus Dunst um Niebel auf mich steigt;
Habe nun, ach, VWL und BWL, auch Politologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemüh’n.
Da steh ich nun, ich armer Tor,
Und bin so gelb und blau gehaun, wie nie zuvor.
Heiße Mitglied, heiße Kassierer gar
Und ziehe schon an die dutzend Jahr,
Herauf, herab und quer und krumm,
Die Wähler an der Nase herum –
Und sehe, daß sie nichts wissen wollen!
Da ist mir schier das Herz verquollen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Sozen,
Schwarzen, Linken und andren Rotzen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchtet’ mich weder vor Nahles noch Teuffel –
Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
Bilde mir doch ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir doch ein, ich könnte was ändern,
Die Menschen zu bessern in Stadt und Ländern.
Auch hab ich reichlich Gut und Geld,
Auch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Doch möcht’ kein Hund so länger leben,
wo all die Macken an mir kleben,
die Guido, Philipp und die anderen haben!
Traf den Möllemann, sogar Kubicki
reist’ mit Flyern bis Waikiki,
sprach nur in ehrfurchtsvollem Ton
von des Marktes Religion,
doch immer wieder, klotz, pardutz,
kam daher der böse Prutz!
Sprach die elend’ Litanei von dem Ende der Partei:
„Pereant, die Liberalen, die nur reden, die nur prahlen, / stets mit Worten nur bezahlen, aber arm an Taten sind: / Die bald hier – bald dort hin sehen, / bald nach rechts, nach links sich drehen, wie die Fahne vor dem Wind: / Pereant die Liberalen / jene Blassen, jene Fahlen, / die in Zeitung und Journalen / philosophisch sich ergeh’n: / Aber bei des Bettlers Schmerzen, / weisheitsvoll, mit kaltem Herzen, / ungerührt vorübergehn: / Pereant die Liberalen!“
Welch böse Worte, welche Qual,
Poesie als Jammertal!
Dennoch blieb ich treu dabei,
sang den Chorus der Partei:
Die Steuer ist’s, die unsre Welt
im Innersten zusammen hält!
Ohne diesen Feind, wär’n wir Liberalen nie vereint:
Steuern runter! Staat versenken! Früher konnten wir noch denken!
Heute sind wir muksch und klein, kriechen Angie auf den Leim.
Direktor:
Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten sehn!
Indes ihr Depressionen drechselt,
Kann etwas Nützliches geschehn.
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probiert ein jeder, was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospekte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das blau, und gelbe Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
Nun liefert, Mannen! Aus vollen Kannen!
Famulus Philipp:
Ich will! Ich will! Ich will!
Doch darf ich können?
Läßt mich der Rainer noch?
Es irrt der Mensch, so lang er strebt!
Ich weiß: Mein Liberalismus lebt!
Liberalismus:
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir!
(verschwindet)