Femen: Mehr als nackter Populismus?

Oberflächlich, effekthaschend und nicht nachhaltig - so wird Femen kritisiert. Was auch immer vom Aktivismus der Ukrainerinnen zu halten ist, eines steht fest: Sie setzen ungelöste feministische Fragen wieder auf die Tagesordnung

Was könnte da jetzt noch kommen? Hat die feministische Gruppe Femen nicht bereits alles aus der Idee rausgeholt, oben ohne und mit eindringlichen Slogans gegen das Patriarchat aufzubegehren, und zwar dort, wo die Medien auch garantiert vor Ort sind? Und wurde nicht schon alles kommentiert und kritisiert, seit Femen zur Bohème des politischen Aktivismus´ aufgestiegen ist? War es das jetzt?

Einiges deutet darauf hin. Die Begeisterung über den ausnahmsweise so unkompliziert wirkenden Feminismus ebbt ab, während die kritischen Stimmen, die die Gruppe begleiten, auch nicht mehr originell sind. Zudem werden die Auftritte der Aktivistinnen immer seltsamer, um die Medien nicht mit den immer gleichen Bildern zu langweilen: Seien es die Proteste gegen einen radikalen Islam mit einem Turban auf dem Kopf oder eine Aktion gegen legale Sexarbeit, verkleidet als SS-Angehörige mit Hitlerbärtchen und umgeschnalltem Dildo.

Gut ist, was Quote bringt – oder nicht?

Das ist kaum noch zu toppen. Viele Feministinnen waren ohnehin von Anfang an wenig beeindruckt. Proteste oben ohne? Schon in den zwanziger Jahren demonstrierten in Afrika Frauen so gegen die Kolonisierung und ein westlich geprägtes Bild von Nacktheit. Und das gute alte „auf die Straße gehen“ kennen Fachfrauen für das Emanzipatorische ebenso gut wie die Forderungen von Femen: Die Gruppe streitet für das Recht, über den eigenen Körper verfügen zu können, für das Recht auf ein gewaltfreies Leben oder gegen die Ausbeutung von Frauen. Statt über diesen oft als „neuen Feminismus“ titulierten Aktivismus der Ukrainerinnen in Aufregung zu geraten, wandten sich viele anderen Dingen zu. Schließlich muss die Arbeit an der feministischen Basis weitergehen, auch wenn das längst keine Nachricht mehr wert ist.

Journalisten und Journalistinnen, die die Geschichte der Frauenbewegungen oft nur in Ausschnitten kennen, lassen sich da schon leichter hinter dem Ofen hervorlocken. Und angesichts der Bilder von den Aktivistinnen – jung, schön, provokativ – versteht sich eine Berichterstattung quasi von selbst.

Handelt es sich also bloß um einen aufgewärmten Aktivismus, vermischt mit einer ordentlichen Portion Medienkompetenz und inhaltlicher Verknappung? Wird der Feminismus hier einfach nach allen Regeln des Populismus verkündet? Und: Wäre das überhaupt das Schlechteste? Nein, meinen Femen-Fans. Ihnen ist alles willkommen, was feministische Themen in die Medien und vor allem in die Massenmedien bringt. Kritikerinnen und Kritiker der Bewegung hingegen sehen in der Reduktion auf eindrucksvolle Bilder keinen Gewinn. Das Medium sei nicht mehr die Botschaft, wie Femen selbst meint, sondern es verdränge diese.

Doch unabhängig davon, wie man dem politischen Potenzial von Femen gegenübersteht: Fest steht, dass es durch Femen richtig große Themen wieder auf die diskursive Tagesordnung geschafft haben, die innerhalb feministischer Debatten schon seit langem vor sich hin köcheln. Sei es die Frage, ob und wer sich zur feministischen Fürsprecherin aller Frauen aufschwingen darf, ob Sexarbeit per se die Versklavung von Frauen bedeutet, ob die Befolgung religiöser Kleiderordnungen als „freiwillig“ erachtet werden kann oder ob feministisches Engagement männliches Mitmischen ausschließt. Und schließlich die Frage: Wie universell können Forderungen nach Frauenrechten formuliert werden, ohne die Lebensrealitäten von Frauen zu vergessen oder gar zu diskreditieren? Diese Probleme sind beileibe nicht nur theoretischer Natur. Sie bestimmen die politischen Handlungsmöglichkeiten maßgeblich mit.

Nehmen wir etwa jene Frage, die durch Femen im September dieses Jahres den roten Teppich bei den Filmfestspielen in Venedig betreten hat: Muss feministischer Aktivismus „women only“ bleiben, um glaubwürdig zu sein? Die Regisseurin Kitty Green hatte die Dokumentation „Die Ukraine ist kein Bordell“ über die Arbeit von Femen präsentiert. Über einen Aspekt des Films herrschte nach der Premiere helle Aufregung: Femen soll sich von einem Mann den Takt vorgegeben lassen haben. Viktor Swijazki soll den Frauen vorgeschrieben haben, welche Slogans sie sich auf die nackte Brust schreiben und wie und wo sie sich in Szene setzen sollen.

Müssen alle Frauen gerettet werden?

Inna Shevchenko von Femen reagierte auf die Enttäuschung und Häme über die vermeintlich männliche Femen-Chefetage mit einem Artikel in der Huffington Post. Ja, Swijazki habe die Gruppe zunächst unterstützt, sich dann aber herrschsüchtig gezeigt und sei eben deshalb nicht mehr Teil der Gruppe. Damit wäre eigentlich alles gesagt. Dennoch litt die Glaubwürdigkeit von Femen. An diesem Fall wird deutlich, woran geschlechterspezifische Konfliktlinien noch immer vorrangig festgemacht werden: am „Frau sein“ und am „Mann sein“. Zurrt einen das biologische Geschlecht so sehr an einen Platz im sozialen Raum fest, dass einzig Frauen für Gleichberechtigung kämpfen können?

Oder liegt das Problem in Wahrheit nicht vielmehr in einem gewissen Stil, der mit „Männlichkeit“ assoziiert wird, als in einer „biologischen Männlichkeit“? Beispielsweise bedient sich die Femen-Gruppe sehr stark einer militarisierten Sprache – „Kampf“ oder „Waffen“ sind beliebte Begriffe im Femen-Wortschatz –, und sie ist nicht gerade basisdemokratisch organisiert. Viele Feministinnen hätten große Schwierigkeiten, wenn sich eine Mitstreiterin plötzlich als „Chefin“ bezeichnet. Exakt dies tut Anna Huzol bei Femen. Außer Huzol tauchen in den Medienberichten nur zwei oder drei andere Namen auf. Alle übrigen Aktivistinnen bleiben namenlos.

Es geht also vielmehr um die konkrete Gestaltung von politischer Arbeit, denn um das Geschlecht der Aktivistinnen und Aktivisten. Darin ist sich auch das Gros der Feministinnen einig. Und trotzdem liegt die Diskussion nicht ad acta. Regelmäßig wird darüber debattiert, ob sich bei feministischen Demos Männer anschließen sollen und dürfen. Völlig zu Recht, denn warum nicht – zumindest einmal im Jahr am Frauentag – den politischen Protest ausschließlich durch „uns“ auf den Straßen repräsentieren?

Doch wer sind „wir“ überhaupt? An dieser Frage nagt sowohl die feministische Theorie als auch der feministische Aktivismus seit langem. Es ist eine der schwierigsten und schmerzhaftesten Fragen, denn sie lässt auch die vielen blinden Flecken zutage treten, die im Laufe der Frauenbewegung entstanden sind. Weiße Europäerinnen, meist im Besitz von Bildung, Privilegien und Absicherungen, sollten nicht allein darüber sprechen, was „wir Frauen“ zu erkämpfen haben und wie wir dabei vorgehen müssen. Seit Anfang des neuen Jahrtausends haben sich in Europa vor allem Musliminnen gegen den vereinnahmenden und paternalistischen Universalismus westlicher Feministinnen zur Wehr setzen müssen. Und wieder waren es die Femen, die die Grenze zwischen Engagement für Frauenrechte und Bevormundung beispielhaft illustrierten. Zwar hat die Gruppe stets auch andere Religionen als patriarchal kritisiert, die deutlichste Bildsprache fand Femen allerdings in ihrem Protest gegen den Islam als frauendiskriminierende Religion.

Auf besonders viel Ablehnung und Kritik stieß Femen im Zuge eines Aktionstages gegen Bevormundung und Diskriminierung von Frauen durch den Islam. Sowohl Musliminnen und Muslime, als auch nicht religiöse Feministinnen konnten die Symbolik des „Topless Jihad Days“, wie sie den Aktionstag nannten, nicht mehr nachvollziehen: Eine Aktivistin posierte mit einem Turban, einem langen aufgeklebten Bart und aufgemalten zusammenwachsenden Augenbrauen in betender Pose – der Inbegriff einer rassistischen Darstellung eines gläubigen Muslims. „Wir brauchen Euch als Befreierinnen nicht“, hieß es von Seiten muslimischer Frauen, die sich wegen eines Kopftuches nicht auf den Status des Opfers reduzieren lassen wollten.

Wie auch das im deutschsprachigen Raum so gewichtige Magazin Emma propagiert Femen, einer religiösen Kleiderordnung könne man nur unter Zwang folgen. Auch in Bezug auf Sexarbeit sind sie sich darin einig, dass diese unter keinen Umständen freiwillig sein kann. Da mögen Frauen, die als Sexarbeiterinnen arbeiten, noch so oft antworten: „Ihr müsst uns nicht retten“.

Mit ihrem konsequenten Fokus auf Aufmerksamkeit, Einfachheit und ihrem enormen Einsatz – oft unter gefährlichen Bedingungen – haben Femen zweifelsohne ein beeindruckendes Kapitel für die feministische Bewegung aufgeschlagen. Feministischer Populismus, warum zur Abwechslung mal nicht? Keine Abwechslung bietet die Gruppe allerdings mit ihrem universalistischen Anspruch, Fragen nach einem selbstbestimmten Leben für alle Frauen beantworten zu können. Doch zumindest haben sie damit – neben anderen Stolpersteinen des politischen Aktivismus – einen besonders großen Brocken des feministischen Engagements auf das Tapet gebracht und gezeigt, dass die Debatte um diesen Anspruch auch nach so vielen Jahren noch um keinen Deut weitergekommen ist.

Vielleicht war es das jetzt mit Femen, dem so unkompliziert wirkenden Feminismus, der uns so spektakulär vorführte, wie kompliziert alles ist.

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