Generation Bubble
Arbeitslosigkeit ist eine schlimme Sache in einem Land, dessen Bewohner sich stark über ihre Berufstätigkeit definieren, zu einer Zeit, da sozialer Status und Selbstwertgefühl untrennbar mit dem persönlichen Konsumniveau verbunden scheinen. Insofern verdienen die Unternehmensberater und Web-Page-Designer, die Consultants und Knowledge-Manager, die gerade im Zuge der Rezession ihre Jobs verlieren, Mitgefühl. Und selbstverständlich gilt das auch für die Journalisten, die mehr indirekt am Tropf der New Economy hingen: Hätten sie die Chancen, die sich ihnen in aufgeblähten Online- und Wirtschaftsredaktionen boten, etwa nicht nutzen sollen? Oder die Entfaltungsmöglichkeiten in den Experimentierprodukten, die ein vermeintlich unaufhaltsamer Medienboom hervorbrachte - von den Berliner Seiten der FAZ über den Spiegel-Reporter bis zum jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung?
Man müsste schadenfroh veranlagt sein, um im Nachhinein auf der Monopolyhaftigkeit dieser wilden Expansion herumzureiten. An der publizistischen Bewältigung der neuesten Arbeitsmarktkrise hingegen fällt einiges auf, was das Mitgefühl relativiert - oder jedenfalls das Bedürfnis, sich mit den Opfern zu solidarisieren: Das sind vor allem die Weinerlichkeit und die Anmaßung, die den Ton der Berichterstattung prägen. Kommen die Einschläge den einstweilen noch fest angestellten Redakteuren zu nah? Oder warum schreiben sie plötzlich mit einem Pathos, wie sie es für frühverrentete 53-jährige Köche oder Werftarbeiter seltsamerweise nie aufbringen konnten? "Wir sind die Angeschmierten", titelte der Spiegel: "Anfang 30, hoch qualifiziert - und gefeuert. Die Kündigungswelle erfasst die Leistungsträger der Gesellschaft ... Werber, Banker und Betriebswirte, die eben noch heiß begehrt waren, müssen um den Arbeitsplatz bangen - jetzt kann es jeden treffen."
In der Süddeutschen Zeitung wiederum wütete Robert Jacobi (25, dürfen wir vermuten): "Macht ruhig weiter so! Das Land wird nichts davon haben! Nein, es wird darunter leiden. Drängt die Jungen hinaus aus den Positionen, in denen sie entscheiden dürfen, ohne vorher fünfzehn Instanzen befragen zu müssen. Kommt zurück aus dem Ruhestand, ihr Alten, und schüttet Lebenserfahrung wie Kleister über diese Gesellschaft, die so viel von euch lernen kann!"
Wie Florian Illies den Kapitalismus entdeckte
Und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung jammerte Sascha Lehnartz, die leistungsbereiten 30-Jährigen seien "mobil, flexibel, neoliberal abgeklärt", sie fürchteten keine amerikanischen Verhältnisse, da sie diese kennten - und trotz alledem verlören sie ihre Traumjobs, "weil man es in Deutschland für sozialverträglich hält, in Krisenzeiten die jüngsten Mitarbeiter zuerst zu entlassen ... Ein Land, das in jüngster Zeit wirtschaftlich nicht geglänzt hat, schickt branchenübergreifend seine meistversprechenden Kräfte in die Warteschleife und wurschtelt mit denen weiter, die den Karren an die Wand gefahren haben."
Noch am ehesten bemitleidenswert klingt Florian Illies, "Generation Golf"-Erfinder und Ex-Berliner Seiten-Chef der FAZ: "Unserer Generation war schon gar nicht mehr bewusst, dass man diese Gesellschaftsform Kapitalismus nennt. Darum ist die Irritation jetzt so tief." Dass ausgerechnet der Elite dieser Umstand entgehen konnte!
Bei Jochen Buchsteiner, ebenfalls Sonntagszeitung, schlägt das Klagen in Unheil verkündendes Grollen um: "Politisch bedeutet der Betrug an den nachwachsenden Eliten eine neue Dimension", schreibt er: "Wenn denjenigen, die dafür erzogen wurden, Verantwortung in diesem Land zu übernehmen, die Perspektive geraubt wird, ist mehr als der ‚soziale Friede‘ in Gefahr. Dann droht das Fundament des Gemeinwesens zu bröckeln: der Bestand an gemeinsamen Werten, der sich über alle Generationswechsel hinweg erhalten hat - allen voran das Vertrauen in die Qualität des politisch-wirtschaftlichen Systems."
Wieso eigentlich immer "Elite"?
Ganz schön schweres Geschütz. Aber darunter tun es die Fürsprecher der entrechteten Leistungsgeneration eben nicht: Wenn ihresgleichen Probleme hat, steht mindestens sogleich die FDGO zur Disposition. Wie gut, dass die Gewerkschaften hierzulande gemäßigter sind.
Jeder Journalist hat erkenntnisleitende Interessen. Jeder Journalist bestimmt selbst, wie sehr er sich mit den Personen seiner Berichterstattung identifiziert. Was ist so abstoßend an der Argumentation der "Generation-Golf"-Anwälte? Zuallererst die Selbstverständlichkeit, mit der sie die von ihnen beschriebene Zielgruppe - Werber, Banker, Betriebswirte - zu "Leistungsträgern" erklären; die Unbescheidenheit, mit der sie ihre Klienten (und implizit natürlich sich selbst) als "Elite" bezeichnen.
Kann man wirklich Elite werden per Selbsternennung? Oder hat nicht der emeritierte Jura-Professor Joachim Pflug recht, der erbittert anmerkt, der Ehrentitel "Elite" könne doch wohl kaum einer gesellschaftlichen Gruppe zuerkannt werden, die schon vom Ansatz ihres Denkens und Fühlens her ausschließlich auf individuelles Fortkommen und Einkommen gerichtet sei: "Eine Elite tritt mit anderem Anspruch auf. Sie macht sich eine Idee von der res publica im Ganzen. Sie mag dabei Irrtümern unterliegen, Fehler machen bei der Konstruktion ihres Gesellschaftsmodells, ihre Angehörigen mögen egoistisch sein und eine ideologisch verengte Weltsicht pflegen. Dennoch müssen sie sich bei aller individuellen Fehlsamkeit verpflichten lassen auf Ziele, die über die rein partikularen Interessen hinausweisen."
Verachtung für den Ortsvereinskassierer
Niemand, außer ihnen selbst, hält die jungen Erfolgreichen für gemeinwohlorientiert - nicht die Zahnärzte, deren Geld sie mit genialen Anlagestrategien versenkt haben; nicht die Gewerkschafter, Parteimitglieder und gesetzlich Krankenversicherten, die sich jahrelang von ihnen verachten lassen mussten; schon gar nicht die Arbeitnehmer, die auf ihren Vorschlag hin im Namen betrieblicher Effizienzsteigerung "freigesetzt" wurden. Unter Res-publica-Gesichtspunkten schneiden die "neoliberal Abgeklärten" einfach nicht besonders gut ab - da hilft auch nicht die vage und folgenlose Sympathie für das eine oder andere grüne Thema, die sie gewiss gelegentlich empfinden mögen. Selbst die Mitwirkung an Pro-bono-Projekten der Unternehmensberatung McKinsey wirkt irgendwie insuffizient, wenn man so lange kaum verhohlen auf all jene herabgesehen hat, die am Sonntag Fußballmannschaften trainierten oder - Tiefpunkt des Stilmangels - die Veranstaltungen politischer Ortsvereine in Hinterzimmern besuchte.
Niemand hat das reduzierte Politikverständnis der jungen Besserverdienenden schöner auf den Punkt gebracht als ein paar namenlose Analysten der HypoVereinsbank, die im Wirtschaftsteil der FAZ mit der Einschätzung zitiert wurden, ein Regierungswechsel nach der Bundestagswahl sei grundsätzlich gut für die deutschen Aktienkurse: "Mit dem größeren Maß an möglichen Änderungen ergibt sich mehr Raum für Phantasie, die an den Märkten eingespeist werden kann." Von allen denkbaren Gründen, die im Herbst 2002 für Stoiber und gegen Schröder sprachen, ist dies sicher derjenige, der am wenigsten mit "Gemeinwohl" zu tun hat. Im Gegenteil: Es ist der kurzatmigste ökonomistische Imperativ. Die gleichen Leute glauben wahrscheinlich auch immer noch an "kreative Zerstörung" als sinnvolles Prinzip der Unternehmensführung.
Das Drama des begabten Egomanen
Sieht es - unter Elitegesichtspunkten - wenigstens mit der fachlichen Exzellenz der High Potentials besser aus? Wenn sie tatsächlich so fähig gewesen wären, all die Helden der New Economy, hätten sie dann nicht die eine oder andere Firmenpleite voraussehen, gar verhindern müssen? Oder liegt es, in ihrem jeweils persönlichen Fall, dann eben doch an "der Weltwirtschaft", auf die ja auch Gerhard Schröder im Wahlkampf nur zu gern hinwies, wenn an der Konjunkturentwicklung herumgemäkelt wurde? Womöglich hieß elitär doch nur, dass man optimal an die herrschende Ideologie angepasst war: trotz aller anderslautenden Beteuerungen kein Querdenker, keine Persönlichkeit, kein Mensch mit Charakter. Weil man dafür nämlich gegen die Konvention, um jeden Preis unkonventionell zu sein, manchmal das Langsame hätte loben müssen, das Alte und das Stabile, das Bewährte, Sichere und Einschätzbare? Wer von unseren High Potentials hätte dazu den Mut gehabt?
Vielleicht ist es kein Zufall, daß der spektakulärste wirtschaftliche Zusammenbruch aller Zeiten ausgerechnet bei Enron passierte, jenem amerikanischen Konzern, der am konsequentesten nach den "Exzellenz"-Prinzipien der Unternehmensberatung McKinsey arbeitete: was im Ergebnis dazu führte, dass Leute nicht in verantwortliche Positionen befördert wurden, weil sie etwas konnten, sondern weil sie erfolgreich den Eindruck erweckten, sie würden eines Tages etwas können. Vor dem Hintergrund des Enron-Beispiels fragt sich eben doch, ob es nicht ganz gut ist, wenn Berufsanfänger einige Instanzen befragen müssen, bevor sie Entscheidungen treffen dürfen, die für andere Menschen Folgen haben.
Der Siegeszug der erfahrungsfeindlichen Ideologie ist in Deutschland fürs erste gewiss gebremst - gestoppt ist er noch lange nicht. Die selbstgerechteren Opfer der jüngsten Krise ziehen aus der Erfahrung ihres Scheiterns nicht etwa die Konsequenz, nun vormals belächelte Werte wie Solidarität oder Errungenschaften wie Arbeitnehmerrechte in freundlicherem Licht zu sehen (obwohl die Zahl der Betriebsratsgründungen in New-Economy-Unternehmen in bemerkenswerter Weise gestiegen ist). "Ich hab halt ein Problem damit, mich auf eine Stufe zu stellen mit den Drückebergern", lässt sich ein geschasster Wirtschaftsingenieur, 29, über den Gang zum Arbeitsamt zitieren.
Sollen sie doch die Alten entlassen!
Nein, die Sprecher der Generation Bubble wollen unbeirrbar noch mehr vom Gleichen: Sollen doch die Alten entlassen werden, die spießigen Familienväter, die doppelbelasteten, angeblich unflexiblen working mothers, auf denen zum Beispiel die Autorin Katja Kullmann (Generation Ally) herumhackt. Sascha Lehnartz findet es nicht "sozialverträglich", dass die jüngsten, behaupteterweise "meistversprechenden" Mitarbeiter in die Warteschleife geschickt werden. Wäre es also besser, diejenigen zu schicken, die noch für andere Menschen als sich selbst sorgen? Oder die, die garantiert nie wieder einen Arbeitsplatz finden - nicht weil sie wenigversprechend, sondern weil sie innerhalb eines ideologisch durchgesetzten Jugendkults zu alt wären? "Sozialverträglich" in Lehnartz′ Sinn heißt: gut für mich. Aber so kann man eine Gesellschaft nicht organisieren.
Nicht nur die - mal feinere, mal unfeinere - Unterscheidung zwischen menschlich irgendwie tragischer Bauarbeiter-Arbeitslosigkeit und politisch angeblich bedeutsamer "Eliten"-Enttäuschung prägt die Debatte in unangenehmer Weise. Im Hintergrund wabert auch die Annahme, dass der Jobverlust für diejenigen besonders schlimm sei, die früh erfolgreich waren. Subjektiv mag das stimmen. Objektiv aber lässt sich aus dem voraussetzungslosen Erfolg in einer Bubble-Economy kein moralisches Recht darauf ableiten, dass es immer so weitergeht. Und schon die Prämisse stimmt ja nicht: Nur ein Bruchteil der Endzwanziger bis Enddreißiger hat den Berufseinstieg als vollkommen problemlos und glatt erlebt. Kann sich wirklich niemand mehr an die verzweifelten Ingenieure und jobbenden Informatiker von vor zehn Jahren erinnern? An die kurzarbeitenden Pastoren und traditionell überflüssigen Geisteswissenschaftler? Von den nicht-akademischen Arbeitslosen und den Abgewickelten im Osten - wie immer - ganz zu schweigen? Arbeitslosigkeit ist spätestens seit Ende der achtziger Jahre ein Massenphänomen in der Bundesrepublik. Nur hat es die chattering classes immer weniger interessiert.
Pop-Journalismus und New Economy, Florian Illies und Nemax sind nicht zufällig aneinander gekoppelt. Die Journalisten hatten die depressiven Sozialreportagen satt, das gutmenschelnde Engagement, die langweiligen und komplizierten Einzelheiten von Bildungs-, Renten-, Gesundheitspolitik. Sie wollten am sich ausbreitenden guten Leben teilhaben: Hummer im Glas essen, wenn bei VW Gehaltsverzicht verkündet wird. Und sich dabei unschuldig fühlen.
Warum nicht mal die ganze Gesellschaft?
Furore konnte man mit radikaler Subjektivität machen, Geld gab es für die Selbstanbetung des Autoren-Ichs. Selbstverständlich schrieben nicht alle Leute so (übrigens ebenso wenig, wie alle Leute Aktien besaßen). Aber der Trend war gesetzt - und er wirkte bis weit in konservative Redaktionen hinein. Das Ergebnis sei ein Journalismus gewesen, der sich über Details definiere, haben Frank Hornig und Thomas Schulz im Spiegel geschrieben: Aber es waren gerade nicht die fleißig, akribisch und uneitel gesammelten Details, die für eine wirksame Kritik an der Ökonomisierung aller Lebensbereiche nötig gewesen wären. Keine radikale Empirie, sondern überdrehte Introspektion - und die Überinterpretation belangloser Oberflächenphänomene vom Café macchiato bis zur Turnschuhmarke. Die Gesellschaftsberichterstattung dehnte sich unglaublich aus, aber sie handelte nicht mehr von der Gesellschaft, sondern nur von ihren Events und Inszenierungen.
Falls die Generation Bubble ein neues Thema sucht, käme deshalb durchaus die Beschäftigung mit dem Ganzen der Gesellschaft in Betracht. Junge Arbeitslose selbstverständlich eingeschlossen.