Inszenierung und Politik
Wer sich vom Rosamunde-Pilcher-Titel nicht abschrecken lässt, wird durch die Lektüre dieses bemerkenswerten Buches durchaus belohnt. Es liest sich zwar recht gefällig: Auch hier menschelt es allerorten, mit Kindern und Pferden, mit Pasta und Parmesan, mit Festen und Hausmusik. Aber die Entfaltung des Innenlebens einer bürgerlichen Familie im 20. und 21. Jahrhundert mit seinem äußeren Stress und seiner inneren Ruhe hat durchaus ihren eigenen Wert.
Im Mittelpunkt dieses Buches stehen jedoch nicht das Innenleben der Familie des früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht sowie die Erlebnisse seiner Tochter, der siebenfachen Mutter Ursula von der Leyen, früher „Röschen“ genannt, sondern das öffentliche Leben der gegenwärtigen Verteidigungsministerin. Es handelt von der Art und Weise, „wie sie Politik macht“ – eine Politik, die nach Inhalt und Methode nicht ohne ihren biografischen Hintergrund zu verstehen ist: lange Auslandsaufenthalte, Volkswirtschafts- und Medizinstudium, spätere berufliche Tätigkeit als Ärztin.
Wie ist Politik überhaupt noch möglich?
Peter Dausend und Elisabeth Niejahr gelingt es zu erklären, wie sich die persönliche und politische Geschichte Ursula von der Leyens gegenseitig erklären und legitimieren. Genau dies gibt dem Buch seine aktuelle Bedeutung – schließlich kann man sich, Autoren wie Leser, die Hauptperson des Stückes durchaus als Kanzlerin von (über)morgen vorstellen. En passant gibt das Buch zugleich aber auch eine Antwort auf die Grundfrage unserer Zeit: Wie ist Politik in einem anspruchsvollen Sinne heute überhaupt noch möglich? Hat die Demokratie in einem emphatischen Sinne noch eine Zukunft? Die Antwort fällt durchaus positiv aus, nennt aber drei Bedingungen für den Erfolg: erstens eine gute Inszenierung; zweitens Mut zur Politik – auch gegen Widerstände; und drittens Akteure, die ihr Handwerk verstehen.
Inhalte, Aufmerksamkeit, Mehrheiten
So behandelt das Buch ausführlich die Inszenierung von Politik. Wer wollte bestreiten, dass Ursula von der Leyen eine große Meisterin dieser Disziplin ist? Unproblematisch ist das nicht, denn spätestens seit ihrem Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg steht Politik unter massivem Inszenierungsverdacht: Inszenierung statt Politik, so lautet der Vorwurf. Da dieser Verdacht allgegenwärtig ist, reden die Autoren auch gar nicht erst darum herum. Im Gegenteil sammeln sie eifrig Belege, die den Eindruck bestätigen, von der Leyens Inszenierung diene vor allem ihr selbst. So erfahren wir, wie der Teller mit Obst auf dem Medientag der Bundeswehr in Hammelburg drapiert war, als hätte der „Feinschmecker Hand angelegt“. Es wird sorgfältig recherchiert, was es mit jenem Bild auf sich hatte, das die Verteidigungsministerin mit schwarzer Jacke und entschlossen-bedeutungsschwerem Blick in die Ferne zeigte – einem Bild, das in allen Zeitungen zu sehen war. (Es stellt sich schließlich heraus, dass sich Ursula von der Leyen die Jacke „am Morgen von ihrer Tochter geschnappt hatte“.) Und wir lesen im Kapitel über die Idylle ihrer Kindheit (Tundrinsheide), dass „Röschen“ schon von klein auf die Aufmerksamkeit in der Familie und in der Öffentlichkeit auf sich gezogen habe.
Inszenierung, so lernen wir, soll Anlässe und dadurch öffentliche Aufmerksamkeit schaffen, die wiederum Voraussetzung dafür ist, bestimmte politische Inhalte und Aussagen transportieren zu können – Voraussetzung, um (anfangs oft genug an Partei und Regierung vorbei) gesellschaftliche Mehrheiten zu mobilisieren. Als Solistin und Quereinsteigerin in der Politik und ohne Hausmacht in der CDU sei von der Leyen jedoch dringend darauf angewiesen gewesen.
Viel Gespür für die richtigen Mitarbeiter
Inszenierung um der Politik willen, Inszenierung und Politik – eine durchaus kühne These der Autoren, was die Person, aber auch was Politik im Allgemeinen betrifft. Problematisch ist demnach nicht die Inszenierung an sich, sondern das Verschwinden der Politik – man könnte auch sagen: die selbstverschuldete Entpolitisierung der Politik. Um diese These zu untermauern, zeichnen die Autoren die politischen Spuren Ursula von der Leyens seit ihrem Einstieg in die Politik im Jahr 2003 detailliert nach: zunächst als Sozialministerin in Niedersachsen, wenig später als Bundesfamilienministerin in der Großen Koalition. In diese Zeit fällt der von ihr anfangs gegen Widerstände in der Union durchgesetzte Paradigmenwechsel in der Familienpolitik mit Elterngeld, Vätermonaten und Kita-Ausbau, den ihre Vorgängerin Renate Schmidt bereits vorbereitet hatte.
Bei alledem vergessen die Autoren nicht von der Leyens gutes Gespür für die richtigen Mitarbeiter, die ihr politisches Handwerk verstehen und auch über strategische Kompetenz verfügen, zu erwähnen. Das Familienministerium gab in ihrer Amtszeit Studien und demoskopische Umfragen in Auftrag, ließ fünfzig Jahre Familienpolitik evaluieren, gründete mit den Wirtschafts- und Sozialverbänden „Lokale Bündnisse für die Familie“, prägte gemeinsam mit Wissenschaftlern Begriffe und Konzepte („Rushhour des Lebens“, „Die überforderte Generation“) und verstärkte so das öffentliche Klima, das einen Politikwechsel überfällig machte. Sozialdemokraten mögen sich bei der Lektüre fragen, worin das öffentliche Scheitern anderer bekannter Reformvorhaben – man denke an die Agenda 2010 – begründet war. Und die Verteidigungsministerin selbst mag ins Grübeln kommen, ob ihr neues Projekt („Deutschland muss mehr Verantwortung in der Welt übernehmen“) angesichts der Grundströmung im Lande nicht einem Bohren deutlich dickerer Bretter gleichkommt.
Peter Dausend und Elisabeth Niejahr, Operation Röschen: Das System von der Leyen, Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2015, 240 Seiten, 19,99 Euro