It’s the credibility, stupid!
Zudem gilt vieles nicht mehr, worauf sich Bürger und Wähler jahrzehntelang verlassen konnten. Ob Renten- und Arbeitsplatzsicherheit oder die Wahrheit von Konzernbilanzen: Die Menschen haben gelernt, dass sich alles von heute auf morgen verändern kann und der Einzelne immer weniger in der Lage ist, alle Lebensbereiche zu durchdringen. Er muss sich auf Fachwissen verlassen, das er selbst nur unzulänglich nachvollziehen kann. Und ebendort spielt Vertrauen eine entscheidende Rolle: Vertrauen in Kompetenz, Expertise und Umsetzungsvermögen. Das gilt auch für die Politik. Der Einzelne muss der Politik vertrauen können. Dies ist der zentrale Anspruch der Bürger.
Bei vielen Bürgern verfestigt sich aber der Eindruck, dass keine Partei in der Lage ist, mit den ökonomischen und sozialen Problemen fertig zu werden, die Globalisierung und demografischer Wandel mit sich bringen. Die oftmals kaum nachvollziehbaren Diskussionen und wenig wirksamen Kommunikationsmechanismen führen dazu, dass sich immer mehr Bürger von der Politik abwenden, statt diese als glaubwürdig zu empfinden und ihren Vertretern Vertrauen zu schenken.
Vertrauen ist vermutlich eine anthropologische Konstante, ein Grundbedürfnis menschlichen Lebens. Der Mensch ist angewiesen auf ein verlässliches Gegenüber, auf verlässliche Worte und ebensolche Handlungen. Auf Misstrauen und Unsicherheit lässt sich kein stabiles Leben aufbauen. Der Soziologe Niklas Luhmann beschreibt Vertrauen als einen Mechanismus der Reduktion gesellschaftlicher Komplexität. Vertrauen ist für ihn ein Grundbegriff zur Beschreibung unserer modernen Welt. Aber erst das Vertrauen in Expertensysteme beziehungsweise Institutionen ermöglicht komplexe Entscheidungen. Der Mensch der Moderne muss sich auf die Leistungen des Experten und auf dessen Kompetenz verlassen können – also auf die Zuverlässigkeit von Anderen, die über Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, welche er selbst nicht hat.
Was von enttäuschter Hoffnung übrig bleibt
Vertrauen hilft, mit Unsicherheit umzugehen. Stellt sich heraus, dass bestimmte Informationen falsch oder irreführend waren, wird Vertrauen enttäuscht. Während sich falsche Informationen in der Wissenschaft als Irrtümer niederschlagen, führen enttäuschte Hoffnungen – als gap of trust – zu Vertrauensverlust. Vertrauen in einer Gesellschaft muss gegenseitig verdient und immer wieder aufs Neue erworben werden.
Vertrauen konstituiert sich in der modernen Welt in der Regel als Mischform von Vertrauen in Systeme und Technik sowie Vertrauen in Personen. Fast jede Organisation oder Partei kommuniziert über Köpfe und Charaktere, die im komplexen gesellschaftlichen System kontinuierlich um Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit ringen. Vertrauen ist also auch eine Frage der Kommunikation, sowohl hinsichtlich der Wahrheit des Informationsgehalts als auch der Glaubwürdigkeit des „Senders“. Wenn dabei Aspekte als nicht authentisch empfunden werden, hat Vertrauen wenig Chancen – ein Umstand, den zum Beispiel Hillary Clinton bei den diesjährigen Vorwahlen der amerikanischen Demokraten schmerzlich erfahren musste.
„Wahlversprechen“ werden nicht geglaubt
Am Beispiel des sinkenden Vertrauens in politische Entscheidungen zur Reform der Sozialsysteme lässt sich die notwendige Konvergenz von Beziehungs- und Inhaltsebene in der politischen Kommunikation verdeutlichen. Beobachtet man die deutsche Politik, dann fällt auf, dass viele Wähler den Reformmut der Politik nicht honorieren, egal ob ein Vorschlag von der Regierung kommt oder der Opposition. Umfragen legen den Schluss nahe, die Wähler wollten, dass alles bleibt, wie es ist. Dabei ist anderen Umfragen zufolge die Einsicht, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, ebenso weit verbreitet.
Das erscheint zunächst widersprüchlich, hat jedoch einen rational erklärbaren Grund. Die Politik ist für die Gesetzgebung auf das Fachwissen von Experten angewiesen und nützt dieses auch. Sie muss jedoch letztlich immer auch die Zustimmung der Bevölkerung für ihre Politik erhalten. Die Bürger wiederum sehen die Sachfragen zunehmend verknüpft mit Machtfragen. Sie halten die angebotenen Sachlösungen zunehmend für interessengeleitet, also für ein Mittel zum Zweck des Machtkampfes. Daher zweifeln sie an der Glaubwürdigkeit der politischen Kommunikation.
Verstärkt wird dieser Vorbehalt durch die in Wahlzeiten besonders intensiv gepflegte Tradition haltloser Versprechen und die Wahl hauptsächlich monologischer Kommunikationsinstrumente. Bereits das Wort „Wahlversprechen“ ist ein Indikator: Unter Wahlversprechen versteht der Volksmund ein Versprechen, das normalerweise nicht gehalten wird, also keine ernsthafte und glaubwürdige politische Information. Informationen, die wenig personalisiert und individualisiert aufbereitet sind, zudem keinen Raum für Interaktion oder Rückfragen zulassen, erscheinen schnell als rein „werblich“ und von wenig echtem Interesse am Bürger geleitet.
Die politische Kommunikation weist also derzeit erhebliche Defizite auf: Zum einen ist da die große Kluft zwischen den Botschaften, die Parteien und Politiker vor und nach Wahlen vermitteln. Auch der Hinweis auf Koalitionszwänge oder veränderte Rahmenbedingungen kann nicht verhindern, dass die Wähler die Differenzen zwischen Vorher und Nachher negativ beurteilen und als Unehrlichkeit interpretieren. Zum anderen erweisen sich die vorherrschenden hauptsächlich monologischen und top down gestalteten Kommunikationsstrategien der deutschen Politik immer noch als zu starr, zu wenig unterscheidbar und zu wenig mobilisierend.
Unpolitischere Sprache könnte helfen
Deswegen ist es an der Zeit für mehr Kommunikation und weniger Wahlkampfgetöse, Zeit für mehr Dialog. Die verfügbare Zeit der Menschen und ihre Aufmerksamkeit ist heute ein rares Gut, ebenso die Bereitschaft, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Mit stetig mehr Plakaten oder Kurzstatements in politischen Talkshows lässt sich das Problem nicht lösen. Zu glaubwürdiger politischer Kommunikation gehört zum einen eine „unpolitischere“ Sprache, zum anderen der Wille, mit Inhalten und Themen nachhaltig zu punkten sowie Überzeugungsarbeit im Dialog zu leisten. Hieraus kann Engagement für die Partei, den Kandidaten und letztlich die Demokratie entstehen.
Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen in den Vereinigten Staaten anders sind: Die Amerikaner sind wahre Meister, was das Verständnis für die Wähler und Wählerinnen sowie die Gestaltung dialogischer Kommunikation über alle Kanäle angeht. Der Wahlkampf des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama demonstriert eindrücklich, wie erfolgreich sich mittels Dialog Vertrauen schaffen lässt. Obamas Website www.barackobama.com steht im Zentrum seiner Strategie der Graswurzelkampagne. Hier haben mehrere 10.000 Unterstützer „Wahlkampf-Büros“ eröffnet – in Form von Blogs sowie unter Nutzung angebotener Event-Tools und Dialog-Marketing-Funktionen in einem so genannten Online Action Center. Über 5.000 Freiwilligen-Gruppen organisieren sich über das Internet. Der Stab von Obama konnte in den meisten Fällen für einen Wahlkampf in einem Bundesstaat auf ein breites Fundament von Unterstützern aufbauen, die ihrerseits neue Aktivisten aus ihrem direkten Umfeld aktivieren, ohne dieses selbst organisieren zu müssen
Authentizität gewinnt: Das Beispiel Obama
Obamas Strategie des community-building, die er unter jungen Wählern gestartet hatte und später deutlich ausbauen konnte, hat sich der traditionellen Kampagnen-Infrastruktur als überlegen gezeigt. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Obama nicht auf Großspender angewiesen ist, sondern seinen Wahlkampf über die vielen kleinen Spenden finanzieren kann, die über die Internet-Kampagne getätigt werden. Obama hat mit seinem Motto „Ein Stück dieser Kampagne gehört Dir!“ bereits von mehr als 1,5 Millionen Menschen Wahlspenden erhalten. Damit steht Obamas Wahlkampf in deutlichem Gegensatz zu dem, was viele Amerikaner dem „Washingtoner Establishment“ ankreiden: dass große Konzerne zunehmend wie Eigentümer der Regierung erscheinen und agieren – ein Image-Problem, das wesentlich zum Machtverfall von George W. Bush beitrug. Obama hingegen kann das Vertrauen von Multiplikatoren gewinnen, damit in breiteren Schichten agieren und gleichzeitig seine Wahlkampffinanzierung auf eine nie da gewesene breite Basis stellen.
Gerade die durch die Kampagne gewonnene finanzielle Unabhängigkeit gegenüber den Konzernen und einflussreichen Privatpersonen hat die Glaubwürdigkeit des Kandidaten Obama nachhaltig gestärkt: Sein Image als Kritiker des Washingtoner Polit-Establishments wurde anhand seiner Kampagnen-Strategie erlebbar. Authentizität gewinnt. Zudem setzte Obama im Gegensatz zu Clinton auf die Dynamik der Begeisterung und das Entstehen einer Bewegung, die von den Menschen getragen und im Dialog stetig vergrößert wird.
Dialog entsteht natürlich auch in der Zeit des Web 2.0 nicht nur im Internet, sondern immer und überall, wo er angeboten wird und Verbraucher oder Wähler ihn annehmen. Im Briefkasten, auf der Website, am Telefon und – ganz wichtig – über Freiwillige, die Mundpropaganda auch in neue, bisher unerreichte Gruppen hineintragen. Die Dialogmedien zeichnen sich durch eine hohe Effektivität aus. Der Fokus auf kleinere Bedürfnisgruppen – zum Beispiel bestimmte Akteursgruppen oder Einzelpersonen, allein erziehende Mütter, arbeitslose Jugendliche, Freiberufler oder Senioren – erlaubt es, diese effektiver mit den passenden Themen zu versorgen. So erreichten etwa die Franzosen dank moderner Technologien und offen angelegter Dialog- und Diskussionsprogramme bei den Präsidentschaftswahlen 2007 die höchste Wahlbeteiligung seit 40 Jahren: fast 85 Prozent.
Auch die Medien stecken in der Krise
Medien spielen in der modernen demokratischen Gesellschaft eine zentrale Rolle für die Orientierung der Menschen. Aber die Medien selbst sind in der Krise: Die klassischen Leitmedien verlieren an Bedeutung, Vertrauen und Reichweite. Damit nimmt auch die Wirksamkeit und Reichweite klassischer Werbung ab. Immer mehr Medien und Kanäle sehen sich einer immer weiter eingeschränkten Aufmerksamkeit der Konsumenten gegenüber. Einerseits hat sich die Anzahl der TV-Spots zwischen 1990 und 2000 versiebenfacht, andererseits lässt die Werbeerinnerung massiv nach. Auch die Aufmerksamkeit zerfällt in immer kleinere Partikel: Statistisch betrachtet schaltet der Durchschnittszuschauer 63 Mal pro Fernsehtag um. Also alle drei Minuten.
Auch hierzulande erkennen Politiker ebenso wie Kommunikationsverantwortliche in Unternehmen, dass wirksame Kommunikation ohne den Dialog nicht auskommt und verlagern ihre Budgets entsprechend. Denn obwohl die Kosten für die Schaltung von Werbung in den klassischen Massenmedien steigen, sind die großen Reichweiten nicht mehr zu erzielen. „Wer in den siebziger Jahren sechs Spots auf ARD und ZDF schaltete, erzielte eine Reichweite von mehr als 70 Prozent. Wenn man heute sechs Spots in allen Sendern schaltet, kommt man kaum auf eine Reichweite von 50 Prozent“, sagt der Mediaplaner Paul Vogler.
Wer unter 25 ist, sieht nicht mehr fern
Hinzu kommt, dass die Gruppe der unter 25-Jährigen fast kein Fernsehen mehr sieht, sondern sich überwiegend online informiert. Viele digitale Fernsehkanäle ersetzen die wenigen analogen. Das Internet entwickelt sich zum Leitmedium, mit dem selbst ältere User mittlerweile gut zurechtkommen. Bei der Analyse der Fernseh-Spots von George W. Bush während des Präsidentschaftswahlkampfes 2004 wurde deutlich, dass man über die großen Networks ABC, NBC, CBS und Fox während der Hauptsendezeit nur noch knapp 20 Millionen Zuschauer erreichte – deutlich weniger als zuvor. Es reichte also nicht mehr aus, nur dort Wahlspots zu schalten. Neue Medien und Kanäle mussten gefunden werden: Die Ansprache via Brief, Internet und Telefon wurde stärker in die Kommunikationskonzepte integriert, andererseits Spartensender gezielt belegt, um zwar kleinere, aber deutlich differenzierbarere Zielgruppen zu erreichen.
Hierbei ist in der politischen Kommunikation ein deutlicher Unterschied zwischen Deutschland und den USA festzustellen. Während sich die amerikanischen Politiker stark auf den einzelnen Wähler konzentrieren, lebt hierzulande noch immer die Mentalität des „Eine Botschaft für alle“ fort. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass in Deutschland akuter Handlungsbedarf besteht, um das Verhältnis zwischen den Wählern und ihren Repräsentanten zu verbessern.
Politiker und Parteien müssen deshalb umdenken und neue Kommunikationskanäle in einer deutlich kontinuierlicheren Frequenz nutzen, wenn sie in den kommenden Jahren glaubhaft kommunizieren wollen. Erfolgreiche politische Kommunikation wird in Zukunft nur mit deutlich mehr Dialog möglich sein. Dialog, der Schlüssel zur erfolgreichen Kommunikation, basiert auf Interaktion und baut Vertrauen auf. Er schafft Verständnis für Themen, Personen und Anliegen, bevor sich Wähler – auf später nur noch schwer zu verändernde Weise – festgelegt haben.
Entscheidungsvorbereitung durch dialogische Kommunikation fördert die Bereitschaft zu Kooperation und Beteiligung. Im Dialog kann das Gefühl von Gemeinsamkeit gestärkt werden. Mit dem, was aus gut konzipierten und kontinuierlich geführten Dialogen erwächst, kann die Demokratie durch Einverständnis von Politik und Wählern die Kraft aufbringen, um die schwierigen Herausforderungen zu bewältigen, mit denen sie heute konfrontiert ist.
Das ist zugleich die Voraussetzung für die Rückgewinnung von Vertrauen, das letztlich die Grundlage jeder erfolgreichen Beziehung ausmacht. Hierzu bedarf es einer Kontinuität in der Kommunikation jenseits taktischer Beliebigkeit: Vertrauen entsteht erst über längere Zeiträume, in denen Erwartungen erfüllt und die Botschaften der Gesprächspartner vom Gegenüber immer wieder als authentisch wahrgenommen werden. Authentizität zu erlangen und Vertrauen wieder aufzubauen – genau darin also liegt heute die große Aufgabe für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.